Das südkaukasische Land verfolgt das Ziel einer ausgewogenen Außenpolitik. Auf diese Weise will man sich künftig auch als zuverlässiger Energielieferant gegenüber der Europäischen Union positionieren – und Investoren anlocken.

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Aserbaidschan, umgeben vom Kaspischen Meer, dem mächtigen Kaukasus und den Nachbarländern Russland, Iran, Georgien, Armenien sowie der Türkei, hat sich geostrategisch zwischen Europa und Asien positioniert. Einst zugehörig zur Sowjetunion, befindet sich das seit dem Jahr 1991 unabhängige, aufstrebende Land in einer Transformationsphase des Aufschwungs. Als Mitglied zahlreicher internationaler Organisationen, wie der UNO, der OSZE, des Europarats, der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation, der Weltbank und der UNESCO, verfolgt die aserbaidschanische Regierung nicht zuletzt aufgrund der geografischen Lage das Ziel einer ausgeglichenen Außenpolitik. Sie umfasst sowohl die energie- und sicherheitspolitischen Beziehungen als auch wirtschaftliche Interessen mit dem Westen, Russland, aber auch der Türkei. Zu berücksichtigen ist zudem die aktuelle Entwicklungs- und Aufbauplanung von aserbaidschanischen Regionen, die von den Auswirkungen des Bergkarabach-Konflikts mit Armenien im Jahr 2020 betroffen sind.

Orient und Okzident: auf EU-Kurs

Aserbaidschan zeigt Präsenz auf internationalen Plattformen: Geprägt von Öl- und Gasvorkommen, könnte das Land am Kaukasus von den steigenden Rohstoffpreisen auch künftig profitieren und sich als zuverlässiger, strategisch günstig gelegener Partner für die Europäische Union erweisen. Derzeit zählt Aserbaidschan zu den 25 größten Öl- und Gasproduzenten der Welt und ist v.a. für seine umfangreichen Kohlenwasserstoffreserven im Kaspischen Meer bekannt.

Bereits heute ist die EU einer der wichtigsten Handelspartner Aserbaidschans mit ca. 44,8% des gesamten Handels (Quelle: IWF, Stand 2021). Umgekehrt spielt das südkaukasische Land auch in Europa eine nicht unbedeutende Rolle in puncto Energiesicherheit. Die hier zugrunde liegende Energiepartnerschaft wurde bereits 2006 geschlossen, im Februar 2017 nahmen die EU und Aserbaidschan Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen auf. Des Weiteren ist das Land am Kaukasus Teilnehmer an einem EU-Projekt „Strengthening the National Accreditation System of the Republic of Azerbaijan“. Darüber hinaus hat Aserbaidschan grundsätzlich das Potenzial, für Stabilität und Wachstum in der globalen Energiesicherheit eine wichtige Rolle zu spielen.

Im geschichtsträchtigen Aserbaidschan findet man zahlreiche politische, wirtschaftliche und kulturelle Spuren der Vergangenheit, vom Einfluss Persiens bis hin zur Sowjetunion. Das Land mit seinen über 10 Millionen Einwohnern setzt auf traditionelle Werte, u.a. auch mit Fokus auf die Institution „Familie“, was die demografischen Verhältnisse des Landes enorm verbessert. Das sowjetische Erbe hinterlässt bis heute eine ausgeprägte Kultur der russischen Sprache, die sich auch in den Schulen manifestiert.

Spuren der sowjetischen Verstaatlichung von Produktionsstätten sind bis heute in der Region sichtbar. Der stetig wachsende Trend der Modernisierung und der Investitionen des Westens geben jedoch einen wirtschaftlichen und kulturellen Vorstoß in Richtung Zukunft. Besonders in der Hauptstadt Baku treffen Tradition und Moderne aufeinander und vermischen sich zu einer aufregenden Atmosphäre, vom kulturellen Spirit der Architektur, Kulinarik und Lifestyle bis hin zu wirtschaftlichem Aufschwung: Aserbaidschan verbindet orientalische Elemente mit westlichen Einflüssen.

Nächste Schritte bei der Energiewende

Die Folgen der Corona-Pandemie, der Klimawandel und insgesamt eine derzeit herausfordernde geopolitische Situation haben einen Einfluss auf die Entwicklung der Energiewende. Die aserbaidschanische Regierung hat in diesem Zusammenhang beschlossen, sich mehr auf die Stärkung des Sektors der erneuerbaren Energien zu fokussieren.

Industrialisierung, Urbanisierung und der steigende Lebensstandard der aserbaidschanischen Bevölkerung tragen dazu bei, dass der Energiebedarf des Landes insgesamt wächst. Im Bestreben, sich als einer der Vorreiter im Bereich der Energiewende zu positionieren und im Bewusstsein seiner Anfälligkeit für Energieabhängigkeit, hat sich das Land am Südkaukasus zum Ziel gesetzt, den Anteil der erneuerbaren Energien signifikant zu erhöhen.

„Im Bestreben, sich als einer der Vorreiter im Bereich der Energiewende zu positionieren und im Bewusstsein seiner Anfälligkeit für Energieabhängigkeit, hat sich das Land am Südkaukasus zum Ziel gesetzt, den Anteil der erneuerbaren Energien signifikant zu erhöhen.“

Unter der Berücksichtigung, dass im Landesinneren verschiedene Klimazonen herrschen und dies zur Förderung der grünen Energie vorteilhaft sein kann, werden zahlreiche Möglichkeiten im Bereich der Erneuerbaren strategisch ausgearbeitet. Die aserbaidschanische Regierung hat die Bedeutung dieses Zukunftsmarkts erkannt und entsprechende Förderprogramme aufgelegt, die insgesamt eine wesentliche Grundlage für die Weiterentwicklung des Landes sowie künftige internationale Geschäftschancen darstellen. Bereits zum Jahreswechsel 2019 kündigte Energieminister Parviz Shahbazov, der von 2005 bis 2016 das Amt des Botschafters der Republik Aserbaidschan in Deutschland innehatte, an, den Anteil der erneuerbaren Energien in Aserbaidschan bis 2030 auf 30% zu erhöhen.

Wirtschaftswachstum: Chancen und Hindernisse

Die erlassenen US- und EU-Sanktionen gegen Russland wirken sich auf die Gesamtwirtschaft der Südkaukasus-Region in unterschiedlichen Verflechtungen aus. Für Aserbaidschan als Handelspartner Russlands bedeutet es, dass der spürbar eingeschränkte Handel, wie der Export und Import von Nahrungsmitteln, zu einer angespannten Situation auf dem Versorgungs- und Arbeitsmarkt führt. Entsprechend hat Aserbaidschan die Wachstumsprognosen für das Bruttoinlandsprodukt 2022 nach unten korrigiert.

Um Abhängigkeiten und Verluste einzudämmen, werden Gegenmaßnahmen ergriffen. So soll z.B. die Selbstversorgungsquote von Milch- und Fleischprodukten von aktuell 84% auf bis zu 99% gesteigert werden. Diese und weitere Maßnahmen in Bezug auf den Ausbau des internationalen Handels dürfte Aserbaidschan auch in Zukunft neben der Reform des Energiesektors weiter vorantreiben.
Durch die fortlaufenden Sanktionen gegen Russland und die Abkehr von russischem Gas und Öl wird jedoch auf lange Sicht die gesamte Wirtschaft Aserbaidschans von den steigenden Rohstoffpreisen profitieren. Insbesondere der Import von diesen Rohstoffen entlang des historisch geprägten Handelskorridors „Neue Seidenstraße“, die über Aserbaidschan weiter über den Seeweg in die EU führt, ist für Europa eine echte logistische Alternative zu den herkömmlichen Handelswegen.

Weitere Projekte des ambitionierten Aserbaidschans wie der Ausbau neuer Eisenbahntrassen zur Kapazitätserweiterung im Land zeigen eine klare Stellung als Bindeglied und Handelspartner zwischen Europa und Asien. Auch in puncto Ausbau der Infrastruktur und des Tourismus hat das Land bereits die Weichen gestellt.

Friedensverhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan

Ende 2020 tobte mit Armenien ein erbitterter Krieg um die Region Bergkarabach, an dessen Ende Aserbaidschan einen Teil seines völkerrechtlich angestammten Territoriums zurückerobern konnte. Nach einem Treffen des armenischen Premierministers Nikol Pashinyan und des aserbaid­schanischen Präsidenten Ilham Aliyev mit dem Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel in Brüssel im Mai haben sich beide Länder angenähert und einvernehmlich beschlossen, umfangreiche Gespräche zur Aushandlung eines Friedensvertrages aufzunehmen. Dies bietet sich als reale Chance einer positiven Entwicklung für die Wirtschaftsverflechtungen im gesamten Südkaukasus an. Die Wahl des Standorts Brüssel als Plattform für die letzten Friedensgespräche ist kein Zufall – es zeigt offensichtlich eine sukzessiv wachsende Bedeutung der EU als Partner beider Länder.

Region Karabach: Industriestandort mit Potenzial

Die Region Karabach birgt heute eine große Entwicklungschance: Zum umfangreichen Wiederaufbau von Karabach sind im aserbaidschanischen Staatshaushalt für das Wirtschaftsjahr 2022 Gelder in Höhe von rund 1,3 Mrd USD veranschlagt worden. Das Budget soll vor allem für den Ausbau der Versorgungs- und Transportinfrastruktur, den Wiederaufbau von Städten, die Förderung verarbeitender Industrien sowie für den Abbau von Bodenschätzen verwendet werden.

Die Maßnahmen des Wiederaufbaus sollen u.a. zur Attraktivität der Region beitragen und auch das Interesse für internationale Investitionen in diesem Gebiet wecken. Mit der Eröffnung eines neuen Flughafens in Füzuli und der Grundsteinlegung für zwei etwa 200 ha große Gewerbeparks in Agdam und Dschäbrajil im vergangenen Jahr sind die ersten Schritte bereits getan.

Die von der aserbaidschanischen Regierung geplanten Steuerrabatte bei einer Ansiedlung in den neu geschaffenen Industriestandorten Karabachs sind ebenfalls einer der vielen Faktoren lukrativer und strategisch vielversprechender Investitionsmöglichkeiten für internationale und auch deutsche Unternehmen.

Die ODDO BHF Gruppe verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich der Handelsfinanzierung und begleitet deutsche und europäische Exporteure bei ihren Auslandsaktivitäten. Dank der Partnerschaften mit führenden Korrespondenzbanken kann ODDO BHF im Südkaukasus und speziell in Aserbaidschan eine breite Palette an Produkten und Finanzdienstleistungen, insbesondere Handels- und Projektfinanzierung anbieten.

zuzana.franz@oddo-bhf.com

evgeniy.epifanov@oddo-bhf.com

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