Coface hat seine Wachstumsprognosen für das Jahr 2022 revidiert und damit auf den Krieg in der Ukraine sowie die umfangreichen Sanktionen reagiert. Starke Rückgänge im Bruttoinlandsprodukt verzeichnen erwartungsgemäß die beiden Kriegsparteien, eine verbesserte Prognose erhalten vereinzelt rohstoffreiche Länder in Afrika und im Nahen Osten.

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Ökonomisch betrachtet zählen sowohl Russland als auch die Ukraine aufgrund der Sanktionsmaßnahmen bzw. der Zerstörung der Produktionsmittel zu den größten Verlierern. In der Ukraine erwartet Coface derzeit einen preisbereinigten Rückgang des Bruttoinlandprodukts von 15% gegenüber dem Vorjahr, in Russland wurde die Prognose um etwa 10 Prozentpunkte auf –7,5% nach unten revidiert. Eine verbesserte Wachstumsprognose erhalten vor allem Länder, die reich an Rohstoffen und zugleich kaum abhängig von Importen aus Russland und der Ukraine sind. Hierzu zählen Länder im Nahen Osten wie Saudi-Arabien oder der Iran, der durch seine großen Ölreserven wieder eine Annäherung an die USA und zumindest eine Teil-aufhebung des Ölembargos erreichen könnte. Gleiches gilt für einzelne Länder im südlicheren Afrika wie Angola und Gabun, deren Ölexporte mehr denn je gefragt sein dürften.

Gewinne und Verluste gleich sich aus

Beim Blick auf die Weltkarte (Abbildung) wird deutlich, dass es Regionen gibt, deren ursprüngliche Wachstumsprognosen trotz der russischen Invasion in der Ukraine stabil bleiben. Das gilt für weite Teile Lateinamerikas und Afrikas. Eine gleichbleibende BIP-Prognose bedeutet jedoch nicht, dass ein Land nicht vom Krieg beeinflusst wird. Beispiel Norwegen: Dort profitiert die Ölindustrie, die jetzt deutlich mehr investieren kann und starke Exportzahlen vermeldet. Aber es gibt auch die Verlierer. Das sind die norwegischen Konsumenten, denn der Staat gibt das Öl an seine Einwohner nicht vergünstigt ab. Die Norweger müssen also ähnlich hohe Preise zahlen wie Westeuropäer. Die Gewinne und Verluste für die norwegische Wirtschaft als Ganzes gleichen sich schlussendlich aus.

Die meisten Länder auf der Welt sind vom Ukraine-Krieg direkt oder indirekt betroffen. © Coface

In den meisten Ländern Europas wurden die BIP-Prognosen für das Jahr 2022 um 0,5 bis 1,5 Prozentpunkte nach unten revidiert. Grund hierfür sind weniger die direkten Handelsbeziehungen – vielmehr spielen der Preiseffekt von Rohstoffen sowie Zulieferprobleme eine herausragende Rolle. Obwohl Russland seinen Verpflichtungen bei Gas- und Öllieferungen fast unverändert nachkommt, haben die Finanzmärkte hier einen deutlichen Rückgang antizipiert. Das hat zu einem starken Anstieg der Öl- und Gaspreise in Europa geführt. Diese hohen Energiepreise übersetzten sich in hohe Produktions- oder Transportkosten, die dann fast alle Güter mehr oder weniger stark verteuern. In der Folge bezahlen Konsumenten mehr für ihre normalen Einkäufe und haben weniger Geld für andere Anschaffungen, wodurch das BIP-Wachstum abgebremst wird. Das gilt auch für Unternehmen, denen dann weniger Liquidität für Investitionen zur Verfügung steht. Deutschland ist als Industriestandort mit einer starken Energienachfrage von den genannten Entwicklungen besonders betroffen. Coface rechnet nach aktuellem Stand nur noch mit einem Wachstum von 1,8% (–1,6 Pp.) für 2022, auch aufgrund des starken Anziehens der Inflationsrate, die mit 6,9% dieses Jahr in Richtung der Werte von 1974 (erster Ölpreisschock) gehen könnte.

In den Niederlanden erwartet Coface ein BIP-Wachstum von 3,7% (vorher 4,4%) und eine Inflation, die dieses Jahr die 10%-Marke durchbrechen sollte. Die Niederlande sind zwar seit 2017 ein Netto-Energie-Importeur, könnten aber mittels anderer Bezugsquellen zumindest unabhängig von russischem Gas werden. Dennoch fällt der negative Effekt gestiegener Gaspreise auf die niederländische Wirtschaft ähnlich stark aus wie in den Nachbarländern, da über 70% der Einwohner mit Gas heizen. Steigende Gaspreise betreffen in der Folge also deutlich mehr Menschen als bspw. in Deutschland, wo 37% der Bevölkerung mit Gas heizen. Hinzu kommt, dass 3,5 Millionen Haushalte in den Niederlanden (44%) einen variablen Heizvertrag haben – d.h. mit einer Laufzeit von sechs Monaten, nach denen der Preis angepasst wird. Bei weiteren zwei Millionen Haushalten läuft der Gasvertrag in diesem Jahr aus und muss neu verhandelt werden. Damit übersetzen sich die Energiepreisanstiege in den Niederlanden wesentlich schneller in hohe Verbraucherpreise und einen damit verbundenen Rückgang der Kaufkraft.

In Belgien ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Hier erwartet Coface eine Inflationsrate von 9% im Jahr 2022. Neben den hohen Energiepreisen kommt hier zum Tragen, dass in Belgien die Löhne von Beamten, Rentnern und Sozialhilfeempfängern innerhalb weniger Monate an die Inflation angepasst werden. Dadurch wird es in Belgien besonders schwierig, eine sich drehende Inflationsspirale wieder abzubremsen. In puncto BIP-Wachstum prognostiziert Coface für das Königreich einen Wert von 3,1% (–0,7 Pp.) für 2022.

Finnland ist stark betroffen

Im Norden Europas gibt es unterschiedliche Effekte durch den Ukraine-Krieg: Mit Blick auf das BIP rechnet Coface in Norwegen mit keiner Veränderung, während die Inflationsrate von 3,5% auf 4% nach oben revidiert wurde. In Finnland sind die Auswirkungen hingegen deutlicher zu spüren. Denn Finnland und Russland haben nicht nur eine gemeinsame Grenze, sondern sind auch durch Handelsabkommen miteinander verbunden. Diese Beziehungen aufgrund der europäischen Sanktionen weiter herunterzufahren dürfte schwierig und kostspielig zugleich werden. Daher prognostizieren wir ein BIP-Wachstum von 2,5% im Jahr 2022 (–0,7 Pp.). In Dänemark und Schweden dagegen sind die direkten Handelsbeziehungen zu Russland oder der Ukraine weniger ausgeprägt und Gas macht nur einen kleineren Anteil am Netto-Energiekonsum in beiden Ländern aus.

christiane.von-berg@coface.com

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