Der Volksrepublik steht die Omikron-Welle wohl noch bevor. Während das Exportgeschäft boomt und das RCEP-Abkommen erste Früchte trägt, macht sich das Land innenpolitisch mit bedenklichen Methoden das Leben schwer.
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Im zweiten Corona-Jahr war Chinas Wirtschaft trotz zeitweisen Lockdowns, gestörten Lieferketten, Stromknappheit und einem strauchelnden Immobilienmarkt so stark wie seit fast 20 Jahren nicht mehr. Aufs Gesamtjahr 2021 betrachtet wuchs das chinesische BIP um 8,1%, vor allem dank eines bärenstarken ersten Quartals. Doch die Wachstumsdynamik scheint im vierten Quartal an Schwung verloren zu haben und verlangsamte sich auf „nur“ noch 4%. Chinas Null-Covid-Strategie war lange Zeit erfolgreich und schien dem Rest der Welt in dieser Pandemie überlegen zu sein. Aber was nun, wenn der Rest der Welt die Omikron-Welle überstanden hat und allmählich zur Normalität zurückkehrt? Aber was nun, wenn der Rest der Welt die Omikron-Welle überstanden hat und allmählich zur Normalität zurückkehrt? Schafft China diese Zeitenwende?
Schattenseite der Null-Covid-Politik
Die Null-Toleranz-Strategie von China im Kampf gegen das Coronavirus hat einen hohen Preis – nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch in sozialen und persönlichen Aspekten. Eine einzige positiv getestete Person kann dafür sorgen, dass ein Wohnviertel oder Firmengelände mit mehreren Zehntausend Menschen abgeriegelt wird. In der Stadt Xi’an z.B. hielt die Regierung 100.000 Studierende und Lehrkräfte in nebeneinander liegenden Campus-Universitäten über Monate hinweg fest, nur weil es ein Dutzend Corona-Fälle gegeben haben soll. Herzinfarktpatienten oder hochschwangere Frauen wurden von den Notaufnahmen der Krankenhäuser abgewiesen, nur weil der PCR-Test um wenige Stunden abgelaufen war. Als die Athleten aus aller Welt im Februar bei den Olympischen Winterspielen zu Gast waren, erfuhren sie am eigenen Leib, wie ernst die Chinesen das Virus nehmen.
In erster Linie sind die Einheimischen die Leidtragenden, aber auch ausländische Firmen klagen über hohe Belastungen. Produktionsanlagen können nicht in Betrieb genommen werden, weil die erfahrenen Techniker aus dem Ausland nicht einreisen dürfen. Viele Firmen hatten ohnehin den Plan, ihren Produktions-standort nach Südostasien zu verlegen – die Null-Covid-Politik hat diesen Prozess noch einmal beschleunigt.
Die noch größere Herausforderung ist, wie China mit der stärker ansteckenden Omikron-Variante zurechtkommen wird, die um die Landesgrenze der Volksrepublik bestimmt keinen Bogen machen wird. Fast alle Länder der Welt lassen allmählich die Corona-Einschränkungen fallen, nur China darf das nicht tun. Sobald sich der Reiseverkehr etwas normalisiert, wird Omikron auch die Volksrepublik heimsuchen. Es ist im Nachhinein ein Fehler, dass Chinas Führung den Kampf gegen Corona schon längst als gewonnen erklärt hat. Es wäre aus Sicht von Xi Jinping ein politisches Fiasko, falls die Volksrepublik am Ende gar die Erfahrungen des Westens übernehmen sollte. China ist quasi fest in den eigenen Ansprüchen gefangen, ein Covid-freies Land zu sein.
Hartes Durchgreifen bei Fintechs und im Nachhilfesektor
Der Binnenkonsum läuft in China auch nicht so rund, wie man es gern hätte. Fast über Nacht hat die Regierung einen florierenden Wirtschaftszweig für außerschulische Nachhilfe eliminiert, an dem Millionen hochqualifizierte Arbeitsplätze hängen. Die Begründung war, dass die finanzielle Belastung junger Eltern so groß sei, dass die demografische Entwicklung durch niedrige Geburtenraten in Schieflage gerate. Für fast zehn Millionen Akademiker wurde quasi ein Berufsverbot verhängt. Man kann nur rätseln, wieso China so hart mit sich selbst ins Gericht gegangen ist. Es wäre doch naiv zu glauben, dass die Schülerinnen und Schüler dadurch weniger Lerndruck vom familiären und sozialen Umfeld bekommen würden – oder sich sogar junge Eltern motiviert fühlten, mehr Kinder in die Welt zu setzen.
Im Fintech-Sektor passiert Ähnliches: Tech-Giganten wie Alibaba oder Tencent mussten für die vermeintlich unzweckmäßige Nutzung von personenbezogenen Daten Milliarden an Bußgeld zahlen – und das, obgleich gerade in China Datenschutz noch nie ein besonders ernstes Thema gewesen ist. Eine auffällige Gemeinsamkeit der betroffenen Konzerne ist, dass sie erfolgreiche, profitable, privat geführte Unternehmen sind. Zu dem beeindruckenden BIP-Wachstum des vergangenen Jahres dürften sie allerdings kaum etwas beitragen haben. Vielleicht ist eine gewisse Umverteilung doch das beabsichtigte Ziel von Peking.
Schwankender Immobiliensektor
Die hohe Verschuldung des Immobiliensektors war schon immer das Damoklesschwert über Chinas Binnenwirtschaft. Als die China Evergrande Group, einer der größten Immobilienentwickler des Landes, die Kuponzahlung für die ausstehenden Anleihen nicht mehr in vollem Umfang bedienen konnte, kam weltweit Panik auf, dass eine zweite Lehman-Krise für die Weltwirtschaft ausbrechen könnte. Immerhin macht der Immobiliensektor mehr als ein Drittel von Chinas BIP aus. Dieser Wert liegt weit höher als im internationalen Durchschnitt. Nach einem langen Tauziehen konnte der Staat mit größten Mühen eine drohende Katastrophe abwenden und die China Evergrande Group in einem kontrollierten Verfahren zerschlagen.
Exportboom hält an
Als wahrer Wachstumstreiber hat sich erstaunlicherweise der florierende Export erwiesen. Die zeitweise Schließung von Containerhäfen, Engpässe bei der Verschiffung und der Halbleitermangel: All diese Hindernisse spiegeln sich in den Handelsstatistiken nicht wirklich wider. Chinas Importe und Exporte legten 2021 gegenüber dem Vorjahr jeweils um ca. 30% zu. Dabei erreichte der Exportüberschuss einen Rekordwert von 676 Mrd USD und übertraf sogar den bisherigen Höchststand von 2015. Trotz Abkühlung der politischen Verhältnisse blieben die USA der größte Abnehmer chinesischer Waren. Auf der Importseite legten die ASEAN-Länder spürbar an Bedeutung zu. Sie belieferten die Volksrepublik mit den meisten Waren. Eine Entwicklung, die möglicherweise auf das RCEP-Abkommen zurückzuführen ist, die Regional Comprehensive Economic Partnership, die seit 2020 in Kraft ist.
Fazit
Für das Reich der Mitte wird 2022 voraussichtlich auch kein leichtes Jahr. Die Straffung der Geldpolitik vonseiten der amerikanischen Zentralbank Fed und die hohe Inflation in den USA werden für eine sinkende Kaufkraft der amerikanischen Konsumenten und somit für weniger Nachfrage nach Importwaren aus China sorgen. Die Binnennachfrage ist durch staatliche Eingriffe ebenfalls geschwächt. Geopolitische Spannungen im Indopazifik könnten durch die weitere Eskalation des Russland-Ukraine-Konflikts zunehmen. Nicht zuletzt fehlt China eine tragbare, langfristige Covid-Strategie, um sich aus dem jetzigen Dilemma zu befreien. Eine breite Grenzöffnung für ausländische Besucher ist in den kommenden 12 bis 18 Monaten nicht zu erwarten. Für Unternehmen aus Deutschland, die keine lokale Präsenz vor Ort haben, dürften eine Geschäftsanbahnung und Markterschließung weiterhin schwierig sein.