Seit der Umbenennung des Facebook-Konzerns in Meta ist das „Metaverse“ in aller Munde. Was sich hinter dem Schlagwort verbirgt, welche Geschäftschancen damit verbunden sein können und wer außer Facebook profitieren könnte.
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Was ist das „nächste große Tech-Ding“? Seit nunmehr 15 Jahren treibt der Smartphone-Trend die Tech-Industrie an, doch langsam gerät die Technologie an ihre Grenzen. Noch bessere Kameras, höhere Auflösungen oder klappbare Displays werden keinen neuen Nachfrage-Hype auslösen und auch nicht ganz neue Geschäftsfelder ermöglichen. Zugleich haben die Anwendungen rund um virtuelle und erweiterte Realität – kurz: VR (Virtual Reality) und AR (Augmented Reality) – die Hoffnungen ihrer Entwickler noch nicht erfüllt. Trotzdem war das Echo groß, als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg das „Metaverse“ als Vision zeichnete.
In der Games-Welt sind Vernetzung und gemeinsames Spielen längst Standard. Spieler tauschen sich in Echtzeit über Spielzüge aus, treten im virtuellen Raum mit- und gegeneinander an. Durch die Corona-Pandemie sind es Menschen nun auch im Arbeitsumfeld durch Videokonferenzen und virtuelle Veranstaltungen gewohnt, im digitalen Raum zu interagieren. Der eigene Avatar streift durch eine digitale Ausstellung, bei MS Teams können alle Teilnehmer gemeinsam in weißen virtuellen Sesseln Platz nehmen und miteinander konferieren.
Das Metaverse geht aber viel weiter. Menschen sollen alles, was virtuell geschehen kann, auch dort erleben: Der Avatar geht ins Büro, zum Standesamt, zum Konzert, auf Reisen, ins Bekleidungsgeschäft. Die Erlöserwartung des Metaverse ist entsprechend gigantisch. Zum Ersten aus Marketingsicht: Wenn Menschen ihre Freizeit im Metaverse verbringen, nehmen sie (fast) nur noch dort Werbung wahr. Zum Zweiten aber, so die Hoffnung, würden sie sich eine parallele Welt aufbauen. Kleidung, Haus, Möbel, Reisen für den Avatar, alles in digital. Die Herstellkosten sind fast null, die Marge erheblich. Wie gut das funktioniert, zeigt die Games-Branche: Spieler zahlen viel reales Geld für virtuelle Ausrüstung. Vielleicht geht es sogar so weit, dass reale Dinge und Erlebnisse deutlich weniger nachgefragt werden: Wer die Welt vor allem durch eine VR-Brille wahrnimmt, wird weniger echte Reisen, Möbel, Kleidung nachfragen. In den Lockdown-Zeiten der Corona-Pandemie stieg die Nachfrage nach Jogginghosen; Oberhemden und Anzüge hingegen wurden kaum nachgefragt.
Anziehungskraft des Metaverse
Damit das Metaverse funktioniert, braucht es nicht nur VR-Brillen oder leistungsstarke Rechner, sondern vor allem attraktive Anwendungen. Doch das ist schwieriger als gedacht. Zwar gelten Spieleplattformen wie Roblox, die es jedem Nutzer erlauben, eigene 3-D-Anwendungen für alle zu entwickeln, als Vorläufer eines Metaverse. Das Ziel sind unzählige virtuelle Angebote zum Spielen, Austauschen, Konsumieren. Die ersten Konzerne aus der „echten Welt“ wie Coca-Cola und Gucci zeigen sich bereits im Roblox-Versum. Auch Epic, Herausgeber des erfolgreichen Spiels Fortnite, arbeitet bereits an einer eigenen Vision vom Metaverse und hat dafür 1 Milliarde US-Dollar von Investoren eingesammelt.
Andere Ansätze wie „Second Life“ sind aber nach kurzer Begeisterung wieder „entvölkert“ worden; Googles „Daydream“-Plattform ist nie richtig abgehoben und wurde nun leise begraben. Auch Facebooks neues Angebot „Horizon Workrooms“ trifft bislang auf wenig Interesse. Die virtuellen Welten haben zwei grundsätzliche Schwierigkeiten: Zum einen ist teure Hardware wie VR-Brillen und leistungsstarke Prozessoren notwendig. Zum anderen hat der virtuelle Raum noch enge Grenzen.
Eine Expedition der weltgrößten Höhle in Vietnam per Oculus-VR-Brille ist faszinierend, aber am Ende nicht viel mehr als ein Film. Gerüche, Haptik, Temperatur fehlen für eine echte „Immersion“ in die andere Realität, das Erlebnis hat sich schnell abgenutzt. Auch ist es sehr aufwendig, solche komplexen 3-D-Videosequenzen noch mit spielerischen und Interaktionselementen wie Kommunikation mit anderen Besuchern in Echtzeit zu verschmelzen. Nur selten stellt sich bislang das Gefühl ein, in eine neue Dimension einzutauchen.
Allein wird es nicht gehen
Experten schätzen, dass es noch fünf bis zehn Jahre dauern wird, ein echtes Metaverse zu schaffen, das grenzenlos zu sein scheint (wie es heute das World Wide Web ist). Metaverse-Vordenker Matthew Ball rechnet eher in Dekaden. Denn für ihn ist die Grenzenlosigkeit nicht nur nach außen, sondern auch innerhalb des Metaverse unverzichtbar: Das bei Porsche virtuell entworfene Fahrzeug soll sich dann bei Roblox einsetzen lassen; die bei Fortnite erworbene Waffe kann in einem anderen Spiel eingesetzt werden. Außerdem verschwinden die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt; Avatare besuchen den Eifelturm gemeinsam mit echten Menschen.
Balls Vision: Das Metaverse ist nicht nur eine Evolution des Internets, sondern wird strukturell komplett anders gedacht. Während heute Server jeweils bilateral miteinander kommunizieren, ist die neue Infrastruktur komplett offen und vernetzt. Auch wenn das Internet streamt und Kommunikation in Echtzeit zulässt, wäre es strukturell völlig überlastet von einem echten Metaverse. Wie die Struktur aber aussehen kann, ob es dafür einen dominanten Eigentümer wie Zuckerbergs Meta oder eher eine Open-Source-Architektur braucht – das ist alles noch völlig offen und umstritten.
Klar ist nur: Es wird schwierig werden, sich auf gemeinsame Standards und Protokolle zu einigen. Ein Unternehmen allein wird das Metaversum nicht erbauen können, zugleich wird aber jeder Erbauer versuchen, durch eine dominante Marktstellung seine Standards durchzusetzen. Erst wenn es diese Standards und Schnittstellen gibt, werden die unterschiedlichen Welten von Meta, Epic, Roblox und vielen anderen Entwicklern dann miteinander verbunden werden können. Noch ist völlig unklar, wem das gelingen könnte. Vielleicht sind es tatsächlich die genannten Roblox oder Epic, vielleicht Facebook mit seiner riesigen Zahl registrierter Nutzer. Aber auch Microsoft mit seinen Cloud-Kapazitäten und Erfahrungen in der vernetzten Berufs- wie Spielewelt (Xbox), Amazon oder Apple könnten sich als späterer Standard-Setter des Metaverse erweisen.
Gewinner und Verlierer
Profitieren dürften von der Errichtung eines Metaverse natürlich auch alle Komponentenhersteller von VR-Brillen, leistungsstarker Rechnerinfrastruktur und die Entwickler attraktiver Software-Anwendungen. Auch wenn Vordenker Ball das Metaverse nicht mit einem gigantischen App-Store verglichen sehen will, dürfte sich wohl wie in den zahlreichen anderen Fällen der Tech-Welt ein Oligopol oder Monopol herausbilden; die führenden Unternehmen werden entsprechend allen anderen die attraktivsten Marktplätze zur Verfügung stellen.
Verlieren dürften dauerhaft die Unternehmen, die allein auf die analoge Welt setzen. Vertrieb und Onlinemarketing haben die Gewichte in vielen Branchen schon deutlich verschoben; das Metaverse könnte auch die materiellen Gegenstände betreffen, die eigentlich nicht zu digitalisieren sind. Wer beim möglicherweise „nächsten heißen Tech-Ding“ Metaverse mitmischen will, sollte künftig auch Luxushandtaschen, Fahrzeuge oder Möbel digital anbieten – und sich gegen eine ganz neue Konkurrenz durchsetzen können in einer Welt, in der andere Werte als handwerkliche Fertigungskunst oder ein zuverlässiger Antrieb zählen. Das dürfte Markenherstellern leichter fallen, wenn sie ihre Strahlkraft aus der echten Welt in die virtuelle übertragen können.
Vielen deutschen Mittelständlern hingegen, die vor allem auf überzeugende Produktqualität als Verkaufsargument setzen, wird es schwerfallen zu profitieren: Sie haben selten eine im Metaverse relevante Marke. Und ihre Stärken in der Fertigung werden sie nur schwer ins Digitale übertragen können – nicht zuletzt, weil sie nicht selbst Urheber der Digital-Repliken sein werden, sondern das an Softwarehäuser abgegeben haben. Es wird eine große Herausforderung werden, Produkteigenschaften und andere Vorteile ihrer Produkte in nachgefragte Vorteile in einer virtuellen Welt zu übersetzen.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Bank. Den dazugehörigen Link finden Sie HIER.