Marokko liegt nicht nur strategisch günstig, sondern ist auch klimatisch begünstigt. Das Land will sich als Weltmarktführer im Bereich der Energiewende positionieren und Sonne und Wind zur Erzeugung grüner Energie nutzen.

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Aufgrund seiner Lage – vor den Toren Europas im Norden, vor den Toren des Maghreb im Osten und vor den Toren Afrikas südlich der Sahara im Süden – befindet sich Marokko in einer strategisch guten Position auf dem afrikanischen Kontinent. Wirtschaftlich gesehen hat die Gesundheitskrise das Königreich schwer getroffen. Die Regierung reagierte zwar schnell und konnte den Schaden begrenzen, einen starken Rückgang des BIP im Jahr 2020 (–6,3%) jedoch nicht verhindern. Im vergangenen Jahr erholte sich das Land mit einem Wachstum, das der IWF in seinem jüngsten „World Economic Outlook“ auf 3,1% geschätzt hat. Diese leichte Erholung kann durch die Abschwächung der Pandemie und das Ende einer zwei Jahre andauernden Dürre erklärt werden. Darüber hinaus wird für 2021 ein Handelswachstum von über 20% prognostiziert.

Marokko ist derzeit von zwei wichtigen Wirtschaftszweigen abhängig: dem Agrarsektor, der etwa 14% des BIP ausmacht und in dem etwa 40% der Beschäftigten tätig sind, sowie dem Tourismussektor, der 12% des BIP und der Gesamtbeschäftigung ausmacht. Im Rahmen seiner Bemühungen um eine sektorale Diversifizierung hat sich das Land in den vergangenen Jahren der nachhaltigen Entwicklung und insbesondere der Erzeugung grüner Energie zugewandt. Ziel ist es, den Verbrauch und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern.

Angesichts der Folgen der Pandemie, des Klimawandels und seiner Abhängigkeit von der Landwirtschaft hat Marokko beschlossen, einen Schwerpunkt auf die Stärkung des Industriesektors und insbesondere des Sektors der erneuerbaren Energien zu legen. Die Industrialisierung, die Urbanisierung und der steigende Lebensstandard der Bevölkerung tragen dazu bei, dass der Energiebedarf des Landes ständig wächst. In dem Bestreben, sich als Weltmarktführer im Bereich der Energiewende zu positionieren, und im Bewusstsein seiner Energieabhängigkeit vom Ausland hat sich Marokko zum Ziel gesetzt, den Anteil der erneuerbaren Energien im Land bis 2030 auf 52% zu steigern. Gemäß den jüngsten Zahlen des Ministeriums für Energiewende und nachhaltige Entwicklung lag der Anteil Ende Dezember 2021 bei 37%. Auch die Quote der Energieabhängigkeit fiel von 97,5% im Jahr 2009 auf 90,51% 2021. Ziel der Regierung ist es, bei der Stromproduktion immer weniger abhängig vom Ausland zu sein und die Quote bis 2030 auf unter 85% zu senken.

Eine führende Position bei der Energiewende

Marokko kann aufgrund seines Klimas und seiner strategischen Lage auf verschiedene Arten grüner Energie setzen. Schon heute gehört das Königreich zu den arabischen Ländern, die die Herausforderung der Umstellung gemeistert haben, und verzeichnet in diesem Sektor ein beispielloses Wachstum, ebenso wie die Vereinigten Arabischen Emirate.

Seit Anfang Januar 2022 beziehen die Hochgeschwindigkeitszüge ihren Strom aus Windenergie. ONCF, das staatliche Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmen, möchte die Nutzung von grüner Energie bis 2023 schrittweise auf 50% steigern. Das Museum Mohammed VI für moderne und zeitgenössische Kunst hat ebenfalls auf grüne Energie umgestellt. Es wird nun mit Solarenergie betrieben und ist damit das erste Museum in Afrika, das seinen Strom selbst erzeugt. Seit Kurzem interessiert sich Marokko zudem für eine andere Energiequelle – insbesondere zur Verwendung im eigenen Industriesektor: grüner Wasserstoff. Dieser spielt auch im Rahmen des 2019 vorgelegten Green Deal der EU eine entscheidende Rolle. Nachdem eine Studie bestätigt hatte, dass Marokko dazu fähig ist, bis zu 4% der weltweiten Nachfrage nach dieser Energie zu bedienen, führte das Land 2020 eine entsprechende Entwicklungsstrategie ein.

Im Mai 2021 startete IRESEN (Institut de Recherche en Energie Solaire et Energies Nouvelles), das im Bereich Solarenergie und erneuerbare Energien forscht, in Fortsetzung des „Memorandum of Understanding“ mit Deutschland, das ein Jahr zuvor unterzeichnet worden war, das Projekt „Cluster GreenH2“. Ziel dieses Projekts ist es, die Branche durch innovative Kooperationsprojekte in Marokko und im Ausland zu fördern. Zu den interessierten Indus-trieunternehmen gehören Engie aus Frankreich und Siemens Energy. Langfristig und in großem Maßstab würde die Nutzung von Wasserstoff je nach Herstellungsverfahren verschiedene Anwendungen ermöglichen, z.B. Wärmeerzeugung, Erzeugung synthetischer Kraftstoffe, Stromerzeugung, Düngemittelproduktion u.v.m.

Diese von der Regierung angestrebte Strategie der Energiewende bleibt nicht ohne Auswirkungen auf entscheidende Fragen des Wasserressourcenmanagements. In einem Land, das gelegentlich mit Wassermangel umgehen muss, sind eine flächendeckende Wasserversorgung und effiziente Lösungen für die Abwasser­entsorgung Dauerthemen. Das Bevölkerungswachstum, die Urbanisierung sowie die stetig steigende Nachfrage aus Landwirtschaft und Industrie sind große Herausforderungen für Marokkos Wassermanagement. Im Agrarsektor werden 90% der Trinkwasserressourcen verbraucht.

Der Wasserverbrauch steigt stetig an: 2014 waren es 13,7 Mrd m3. Für 2022 belaufen sich die Schätzungen auf über 15 Mrd m3, wovon etwa 90% für die Bewässerung und 10% für die Industrie verwendet werden sollen. Für die Produktion von erneuerbaren Energien und insbesondere von grünem Wasserstoff wird ebenfalls viel Wasser benötigt. Bisher sind im Königreich rund 50 Projekte im Bereich erneuerbare Energien mit einer Gesamtkapazität von 3.950 MW in Betrieb. Nach Angaben des Ministeriums für Energiewandel und nachhaltige Entwicklung plant das Land bis 2025 eine zusätzliche Kapazität von über 4.000 MW aus erneuerbaren Energien, wodurch das Problem der Wasserverteilung zwischen den verschiedenen Wirtschaftssektoren weiter verstärkt wird. Mit ihrem 2020 gestarteten nationalen Wasserprogramm will die Regierung bis 2030 die Wasserversorgung im ganzen Land sicherstellen. Zwischen 2020 und 2027 sollen insgesamt rund 12 Mrd USD investiert werden: die Hälfte davon in den Bau von Staudämmen, der Rest in Bewässerungssysteme für den Agrarsektor und das Abwasserrecycling.

Aussichten für den Export- und Importsektor

Nach Abkühlung der diplomatischen Beziehungen zwischen Marokko und Deutschland seit März 2021 aufgrund „tiefgreifender Missverständnisse“ insbesondere in der Westsahara-Frage scheinen sich Berlin und Rabat nach den „positiven und konstruktiven“ Äußerungen der neuen deutschen Regierung zur Lösung dieses Konflikts wieder anzunähern. Deutschland bezeichnet Marokko als wichtiges Bindeglied zwischen dem Norden und dem Süden, sowohl politisch als auch wirtschaftlich, und als Schlüsselpartner der EU und Deutschlands in Nordafrika.

Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern werden vom Warenaustausch dominiert. Im Jahr 2020 importierte Deutschland aus Marokko Waren im Wert von 1,4 Mrd EUR, während es Waren im Wert von 1,9 Mrd EUR exportierte. Deutschland liefert vor allem Fahrzeuge und Fahrzeugteile (18,7%), chemische Erzeugnisse (15,1%) und Maschinen (13,1%) nach Marokko, während Marokko vor allem Lebensmittel (28,4%), Textilien/Bekleidung (27,0%) sowie Elektrotechnik (16,0%) exportiert.

Vielversprechende Investitionsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen bestehen daher in den Bereichen erneuerbare Energien und Wassermanagement, aber auch im Bau- und Infrastruktursektor. Darüber hinaus ist Marokko Teil der G20-Initiative „Compact with Africa“, die darauf abzielt, die Rahmenbedingungen für private Investitionen zu verbessern. Zudem könnte Marokko aufgrund seiner geografischen Lage für die rund 300 vor Ort ansässigen Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung als Ausgangsstandort dienen, um die Märkte Subsahara-Afrikas zu erschließen. Deutsche Unternehmen aus den Bereichen Energie, Bauwesen und Maschinenbau könnten so ihre Aktivitäten auf dem afrikanischen Kontinent ausweiten.

Die ODDO BHF Gruppe verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich der Handelsfinanzierung und begleitet deutsche und europäische Exporteure bei ihren Auslandsaktivitäten. Auch aufgrund der Partnerschaften mit führenden Korrespondenzbanken kann ODDO BHF in Nordafrika und speziell in Marokko eine breite Palette an Finanzdienstleistungen anbieten.

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