Angesichts des massiven Wandels in der Automobilbranche geht Atradius davon aus, dass sich das Risiko für Forderungsausfälle und -verzögerungen entlang der Wertschöpfungskette in den kommenden fünf Jahren erhöhen wird.

Die Zulieferer der Automobilbranche stehen vor großen Herausforderungen. Innovationszyklen müssen sich verkürzen, um zum Beispiel den Anforderungen an emissionsarme Technologien, dem Trend des autonomen Fahrens oder dem veränderten Nutzungsverhalten gerecht zu werden. Nicht alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette werden diese Entwicklung überstehen.

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Aus einer aktuellen Marktanalyse von Atradius geht hervor, von welchen Unternehmen der Branche derzeit das größte Zahlungsrisiko ausgeht. Untersucht wurden für Deutschland, Großbritannien, Italien, Frankreich, Polen, die Tschechische Republik und China die Risiken von Tier-1-Lieferanten, die den Hersteller direkt beliefern, sowie Tier-2- und Tier-3-Lieferanten, zu denen unter anderem Komponenten- (Tier 2) und Teilelieferanten (Tier 3) zählen.

Was sind die Herausforderungen für Lieferanten?

  • Die Vorgaben der Hersteller, wie beispielsweise flexible Abnahmezahlen von Serienteilen, stellen die Lieferanten zunehmend vor Probleme. Durch die weltweit rückläufigen Autoverkäufe werden weniger Teile abgenommen als kalkuliert. Die Unternehmen geraten so schnell in Liquiditätsnöte.
  • Die Umstellung auf Elektro- und Hybridantriebe bedarf hoher Investitionen. Zwischen Auftragserteilung und Lieferung liegen häufig Jahre. Kleine und mittlere Zulieferer leiden so unter einer hohen Vorfinanzierungslast.
  • Die für E-Autos benötigten Komponenten sind weniger komplex als jene für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Ein Großteil der Zulieferteile wird künftig nicht mehr benötigt werden.

Insolvenzprognose

Der Rückgang bei den erwähnten weltweiten Neuzulassungen verschärft die Situation für die Branche. Prognosen zufolge gehen die weltweiten Verkaufszahlen 2019 um 5% gegenüber 2018 zurück. Das Insolvenzrisiko in der Automobilbranche nimmt insgesamt zu. Auch in großen Märkten dürften die Insolvenzzahlen in den kommenden zwölf Monaten zunehmen:

  • Großbritannien +7% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, gefolgt von
  • China und Italien mit jeweils +5% sowie
  • Frankreich und Polen mit jeweils +3% und
  • Deutschland und Tschechische ­Republik mit +2%.

Steigendes Forderungsausfallrisiko

Besonders eingetrübt hat sich dabei der Ausblick für die erwähnten europäischen Volkswirtschaften und für China. Die Länderanalyse im Detail:

Deutschland

Das Forderungsrisiko gilt aktuell als erhöht. 2018 lag die Einschätzung noch bei „durchschnittlich“. Gerade für Anbieter von Komponenten für Benzin- und Dieselmotoren (Tier 2) drängt die Zeit, ihr Geschäftsmodell anzupassen und Produkte und Lösungen für die neue Mobilität zu entwickeln. Ihre Liquiditätssituation ist häufig angespannt, und es fehlt oft an Finanzmitteln, um die benötigten Innovationen voranzutreiben. Auch unter den deutschen Automobilhändlern sind die Unsicherheiten seit dem vergangenen Jahr größer geworden.

Weiterhin gut stehen die deutschen Automobilhersteller und zahlreiche Tier-1-Zulieferer da. Trotz der aktuellen Absatzschwäche bleibt ihr finanzieller Spielraum groß. Ihre Marktsituation ist stark genug für den technologischen Wandel in der Industrie. Unsicherheiten könnten allerdings auch hier entstehen, wenn es zu US-Zöllen auf europäische Automobilteile oder einer globalen Rezession kommt.

Großbritannien

Bei britischen Herstellern und Tier-1-Zulieferern schätzt Atradius die Gefahr von Zahlungsausfällen und -verzögerungen als insgesamt durchschnittlich ein. 2018 lautete das Rating noch „gut“. Durch die anhaltende Brexit-Unsicherheit ist die Konsumstimmung im Vereinigten Königreich verhalten, was sich auch auf die Produktions- und Verkaufszahlen von Automobilen niederschlägt. Allein die Zahl der neu registrierten Pkw in Großbritannien sank laut dem Europäischen Automobilherstellerverband ACEA im ersten Halbjahr um fast 7%. Bei Tier-2-Zulieferern sowie bei Automobilhändlern müssen Lieferanten derzeit von einem erhöhten Forderungsrisiko ausgehen. 2018 wurden beide Untersektoren noch mit einem mittelmäßigen Risiko bewertet.

Italien

Auch in Italiens Automobilbranche hat sich der wirtschaftliche Ausblick verschlechtert und die Gefahr von Forderungsausfällen erheblich erhöht. Grund dafür sind die jüngsten Kostensenkungsprogramme der Hersteller. Diese erhöhen den Preisdruck auf die Zulieferer. Von Geschäften mit italienischen Herstellern geht derzeit ein mittelmäßiges Forderungsrisiko aus, herabgestuft von „gut“ (2018).

Im italienischen Zulieferersektor (Tier 1 und Tier 2) ist das Risiko erhöht und um zwei Stufen schlechter als noch im Vorjahr (2018: gut). Unverändert ist die Situation bei den italienischen Automobilhändlern („mittelmäßig“). Der Tier-1-Bereich in Italien gilt zwar als technisch fortschrittlich, die Anbieter sind allerdings häufig von externer Finanzierung abhängig, weil sie über verhältnismäßig wenig Eigenkapital verfügen. Der schwache italienische Finanzsektor könnte zum Problem für die Lieferanten werden. Im Tier-2-Bereich werden weitere Anbieter von technisch einfachen Komponenten infolge der sich wandelnden Nachfrage aufgeben müssen, nachdem es hier bereits zwischen 2008 und 2012 Unternehmensschließungen gab.

Frankreich

Nach zwei guten Jahren ist in den kommenden zwölf Monaten insbesondere bei Geschäften mit kleineren französischen Zulieferern mit Zahlungsverzögerungen zu rechnen. Die Absatzzahlen sind im ersten Halbjahr 2019 zurückgegangen. Das spüren vor allem kleinere Tier-1- und Tier-2-Firmen, deren Umsatzlage sich generell verschlechtert hat und die unter den schrumpfenden Margen leiden. Die Sparmaßnahmen, die die französischen Hersteller eingeführt haben, um in neue Technologien zu investieren, erhöhen den Preisdruck auf einige Subunternehmer in den kommenden zwei bis drei Jahren. Das Forderungsrisiko bei Geschäften mit französischen Herstellern und großen Tier-1-Firmen dürfte hingegen erst einmal moderat bleiben, da die drohenden US-Zölle die französischen Automarken nur geringfügig beeinträchtigen.

Polen

Polnische Automobilhersteller und -zulieferer sind stark vom Export abhängig. 2018 wurden 55% des Umsatzes darüber generiert. Die Produktion der polnischen Autobranche ging um 4,4% gegenüber 2017 zurück. Die durchschnittliche Zahlungsdauer beträgt derzeit 115 Tage. Atradius bewertet das Zahlungsrisiko bei Herstellern aktuell als mittelmäßig, bei Tier-1- und Tier-2-Lieferanten sowie bei Automobilhändlern als erhöht. Aufgrund des hohen Wettbewerbs verfügen Tier-2-Firmen nur über wenig Verhandlungsspielraum. Das Gleiche gilt für Autoteile- und Reifenhändler. Die Zunahme von Elektroautos steigert das Forderungsrisiko, da nur wenige über die finanziellen Mittel für Innovationen verfügen. Ein ungeordneter Brexit und US-Zölle würden die polnische Automobilwirtschaft aufgrund ihrer Exportabhängigkeit ebenfalls hart treffen.

Tschechische Republik

Sowohl die Automobilproduktion als auch der Auftragseingang haben sich seit dem vierten Quartal 2018 aufgrund einer rückläufigen EU-Nachfrage und gestiegener globaler Untersicherheiten wie der Handelsstreitigkeiten und des drohenden Brexits verlangsamt. Erhöhte Energie- und Personalkosten üben Druck auf die Margen aus. Diese Entwicklungen treten für viele tschechische Unternehmen zu einem ungünstigen Zeitpunkt ein, da die Branche jetzt in E-Mobilität und Automatisierung investieren muss. Atradius geht davon aus, dass der Preisdruck insbesondere an die Zulieferer im Tier-2-Sektor weitergegeben wird. Aufgrund der zurückliegenden zehn guten Jahre ist die Situation aktuell jedoch noch nicht alarmierend.

China

Im weltweit größten Automobilmarkt verschlechterte sich das Zahlungsrisiko zuletzt vor allem bei den Automobilhändlern signifikant von gut auf erhöht. Hintergrund sind die zuletzt schwachen Verkaufszahlen im Reich der Mitte (–12,4% im ersten Halbjahr 2019 gegenüber dem Vorjahreszeitraum). Atradius geht davon aus, dass die Absatzschwäche bis ins kommende Jahr andauern wird. Ebenfalls mit erheblichen Unsicherheiten verbunden ist das Geschäft mit chinesischen Tier-2-Zulieferern. Gerade kleinere Anbieter sowie Unternehmen im Privatbesitz verfügen häufig über wenig Eigenkapital, gleichzeitig ist ihr Zugang zu Bankfinanzierungen eingeschränkt.

E-Autos gewinnen zwar weiterhin Marktanteile in China, jedoch steigt die Gefahr von Überkapazitäten, da neue Wettbewerber auf den Markt drängen. Die Insolvenzzahlen von kleineren Herstellern von Komponenten für die Elektromobilität nehmen in den kommenden zwölf Monaten voraussichtlich um 5% zu. Bei Lieferungen an chinesische Hersteller und ­Tier-1-Zulieferer bewertet Atradius das Forderungsrisiko weiterhin als gut. Nach dem schwachen ersten Halbjahr 2019 sieht Atradius die Gefahr von Zahlungsausfällen in der chinesischen Automobilwirtschaft insgesamt als erhöht an. Die Auswirkungen des Handelsstreits mit den USA auf die Branche sind derzeit noch moderat.

Eine relativ sichere Branche gerät ins Schlingern

Angesichts des massiven Wandels in der Automobilbranche geht Atradius davon aus, dass sich das Risiko für Forderungsausfälle und -verzögerungen entlang der Wertschöpfungskette in den kommenden fünf Jahren erhöhen wird. Vor allem Geschäfte mit kleineren und mittleren Zulieferern, die bislang schwerpunkt­mäßig Komponenten für Verbrennungsmotoren hergestellt haben, dürften zunehmend unsicher werden – und zwar weltweit. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, bei künftigen Kunden nicht nur die Bonitätslage zu berücksichtigen, sondern auch die Zukunftsfähigkeit ihrer Produkte und Dienstleistungen. Atradius unterstützt seine Kunden hierbei mit seinem umfangreichen Wissen über Märkte und Zahlungsrisiken. So lassen sich auch künftig sichere Geschäfte mit Unternehmen in einer Branche machen, die lange Zeit als sicher galt, aber nun droht, ins Schlingern zu geraten.

Den „Market Monitor Automotive 2019“ von Atradius mit umfangreichen Statistiken und Grafiken können Sie kostenlos anfordern mit einer kurzen E-Mail an presse.de@atradius.com.

michael.karrenberg@atradius.com

www.atradius.de

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