Zwei aktuelle Ereignisse haben Belarus, besser bekannt als Weißrussland, jüngst ins Blickfeld des deutschen Mittelstands gerückt: zum einen die Bildung der Eurasischen Wirtschaftsunion, der neben Belarus und Russland auch Kasachstan, Armenien und Kirgistan angehören, zum anderen die neue Rolle von Präsident Lukaschenko. Als Gastgeber der Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine wurde er zu einem vom Westen zumindest wieder akzeptierten Akteur.

Von Johann Asarow, Spezialist Exportfinanzierung, Commerzbank AG

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Belarus hat einen großen Handelspartner: Russland. Wie eng die Beziehungen sind, zeigt ein Blick auf die Handelsstatistik: Der Anteil Russlands lag 2014 bei 55%. Mit weitem Abstand und einem Anteil von 7,8% am gesamten Außenhandel belegt die Ukraine Platz zwei – und dann folgt schon Deutschland mit rund 6%. Auch in der politischen „Eiszeit“ – gegen Präsident Lukaschenko hat die Europäische Union ein Einreiseverbot verhängt – sind die wirtschaftlichen Beziehungen insbesondere zu Deutschland nie zum Erliegen gekommen.

Dabei machte es Belarus Investoren in den vergangenen Jahren nicht gerade leicht. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wurde 2008 und 2011 durch zwei schwere Währungs- und Liquiditätskrisen gebremst – ausgelöst durch eine zu lockere Geld- und Fiskalpolitik. Das zuvor rasche Wachstum sank von ca. 7% auf nur noch 1,5%. Die Anlageinvestitionen brachen um 14% ein. Der Weißrussische Rubel (BYR) begab sich ebenfalls auf Talfahrt: Der offizielle BYR/USD-Wechselkurs wurde in mehreren Schritten um insgesamt 178% abgewertet. Lediglich aufgrund eines Stand-by-Kreditprogramms des Internationalen Währungsfonds (IWF) und mit Unterstützung der Weltbank in Höhe von zusammen 3,7 Mrd USD wurde eine Rezession abgewendet.

Trotz beider Krisen verfügt Belarus im Vergleich zu anderen ehemaligen Sowjetrepubliken nach wie vor über ein relativ hohes sozioökonomisches Entwicklungsniveau. Laut Weltbank besitzt das Land die niedrigste Armutsquote in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Eine stark regulierte Arbeits- und Preispolitik führte zu einer breiten gesellschaftlichen Verteilung des Bruttoinlands-produkts. Die Wirtschaftsleistung kommt hauptsächlich aus der Metallurgie, der chemischen und petrochemischen Industrie, dem Maschinenbau und dem Agrarsektor. Der Binnenmarkt ist mit 9,5 Millionen Einwohnern zwar recht klein, doch der zollfreie Zugang zu 183 Millionen Verbrauchern in der Eurasischen Wirtschaftsunion verheißt attraktive Perspektiven.

Aufgrund seiner wenigen natürlichen Ressourcen ist Belarus das Land mit der höchsten Importabhängigkeit in der Region. Der Großteil der Öl- und Gasimporte wird subventioniert aus Russland bezogen, gewinnbringend weiterverarbeitet und anschließend in die Europäische Union exportiert. Doch die engen Bindungen an Russland zeigen auch unerwünschte Folgen: So bekam Belarus erst kürzlich die Rezession Russlands, die Abwertung des Rubel und den fallenden Ölpreis mit Macht zu spüren.

Der Verfall des Erdölpreises und die wirtschaftliche Schwäche Russlands führen Belarus voraussichtlich in die erste Rezession seit 1995. Zur Jahreswende hat die Zentralbank den Weißrussischen Rubel zum US-Dollar erneut stark abwerten müssen. Der IWF sagt Minsk einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 2,3% im laufenden und von 0,1% im kommenden Jahr voraus. Die offizielle Inflationsrate lag 2014 bei 16,2%.

Eine leichte Belebung ist bei den wirtschaftlichen Aktivitäten ausländischer Unternehmen im Bereich Handel und Dienstleistung festzustellen, auch wenn bei den Direktinvestitionen noch Zurückhaltung geübt wird. Um diesen Prozess zu forcieren, locken Sonderwirtschaftszonen beispielsweise für IT-Unternehmen mit umfangreichen Steuervergünstigungen. Wichtige Schritte im Bereich Rechts- und Investitionssicherheit wurden in den letzten Jahren gegangen, jedoch ist es bis zum Erreichen westeuropäischer Standards noch ein weiter Weg. Unternehmen, die im Land aktiv sind, bemängeln, dass sich rechtliche Bestimmungen schnell und oft ändern und ihnen Bürokratie, Korruption und Zollbehörden das Leben oftmals schwer machen. Trotz intensiver Bemühungen zur Eingrenzung von Korruption in den öffentlichen Verwaltungen rangiert Belarus nur auf Rang 119 von 175 im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International (2014).

Durch seine geographische Lage ist Belarus das Drehkreuz für den Handel zwischen den Staaten der Europäischen Union und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Es eignet sich daher in besonderem Maße als Ausgangspunkt für die Erschließung der Märkte der Zollunion der Eurasischen Wirtschaftsunion. Fördermaßnahmen staatlicher Stellen konzentrieren sich sehr stark auf Großunternehmen und Staatsbetriebe. Die Zahl kleinerer und mittlerer Unternehmen ist gering.

Grundlegende Modernisierungs- und Ausbauvorhaben an Industrie- und sonstigen Produktionsanlagen (Glas-, Holz- und Metallverarbeitung, Lebensmittelproduktion, chemische Industrie und Ölindustrie) bieten Chancen für westliche Technologieanbieter. Zahlreiche deutsche Unternehmen liefern und montieren entsprechende Anlagen oder errichten diese in Zusammenarbeit mit belarussischen Partnern im Rahmen eines Joint Venture.

Ihre Lage zwischen Russland und der EU, gut ausgebildete und günstige Arbeitskräfte sowie die verhältnismäßig gute Infrastruktur bescheren der weißrussischen Wirtschaft einen strategischen Vorteil als verlängerte Werkbank für Europa. Seit 2014 fördert Minsk mit einem neuen Regierungsprogramm ausländische Investitionstätigkeiten. Daraus resultieren interessante neue Chancen. So werden z.B. Anstrengungen unternommen, den Anteil der erneuerbaren Energien – u.a. durch Windparks – bis 2020 auf 32% auszubauen. Dynamisch entwickelt sich ebenfalls der IT-Sektor: Weißrussische Fachleute programmieren für westliche Softwareunternehmen – z.B. im Hightechpark Minsk für SAP und IBM. Darüber hinaus ist das Interesse von Belarus an „kritischen Importgütern“ – vor allem an modernen Technologien aus Deutschland – ungebrochen hoch. Entsprechend groß ist das potentielle Handelsvolumen sowie der Bedarf an passgenauen Finanzierungs- und Absicherungslösungen.

Die Commerzbank ist seit 1993 mit ihrer Repräsentanz in Minsk vertreten und unterhält heute acht aktive Rahmenkreditvereinbarungen mit den wichtigsten Banken. Im Geschäft mit ECA-gedeckten Finanzierungen zählen sowohl staatliche Banken als auch Banken mit russischer Beteiligung dazu. Die Rahmenkreditvereinbarungen ermöglichen eine schnelle und effiziente Abwicklung von Exportfinanzierungen. Gemeinsam mit ihren weißrussischen Bankpartnern bietet die Commerzbank darüber hinaus individuelle, komplexe Finanzierungslösungen an. Bei den ECA-gedeckten Finanzierungen blickt sie bereits auf über 110 Einzelkreditverträge ohne Ausfall zurück.

Gerade bei mittel- und langfristigen Finanzierungen spielt die Euler Hermes Kreditversicherung eine wesentliche Rolle. Ohne diese Möglichkeit kämen viele Exportgeschäfte nicht zustande. Euler Hermes ist in Europa die aktivste staatliche Exportkreditagentur und hat allein in den letzten zehn Jahren in Weißrussland Bruttorisiken aus deutschen Exportgeschäften in Höhe von insgesamt ca. 1 Mrd EUR abgesichert.

Am 15. Januar 2015 hat der interministerielle Ausschuss für Exportkreditgarantien beschlossen, statt Halbjahresplafonds wieder einen zeitlich unbefristeten Plafond für Weißrussland einzurichten. Damit endet eine Sonderregelung, die seit 2009 galt. Der zeitlich unbefristete Plafond hat ein Volumen von 80 Mio EUR. Noch verbliebene Mittel aus dem bestehenden Plafond können weiter genutzt werden. Die Orientierungsgröße von ca. 10 Mio EUR je Auftragswert eines Einzelgeschäfts sowie die übrigen Deckungsbestimmungen bleiben unverändert.

Initiativen der weißrussischen Regierung zur Stärkung des Unternehmertums und zur Modernisierung von Schlüsselindustrien unterstützen das Investitionsklima nachhaltig. Auch der große Bedarf an Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen sowie der Ausbau der Infrastruktur bleiben wichtige Treiber für den deutsch-weißrussischen Außenhandel. Im Ergebnis wird Belarus für deutsche Investoren und Unternehmen künftig in bestimmten Bereichen hochattraktiv und spannend sein, jedoch auch ein Standort mit Risiken und Unwägbarkeiten bleiben.

Kontakt: johann.asarow[at]commerzbank.com

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