Brasilien hat großes Potential, bleibt aber hinter seinen Möglichkeiten zurück. Der wichtige Rohstoffexport schwankt mit der Entwicklung der Weltmarktpreise und prägt die Konjunktur. So folgten auf eine Phase starken Wachstums und großzügiger Sozialprogramme eine Rezession und politische Turbulenzen. Die jüngsten Korruptionsskandale zeigen ein politisch gespaltenes und verunsichertes Land. Exporteure sollten bei Geschäften mit Brasilien auf eine gute Absicherung achten.
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Brasilien hat es endlich aus der Rezession geschafft. Nach zwei Jahren mit phasenweise deutlich schrumpfender Wirtschaftsleistung wächst Brasiliens Bruttoinlandsprodukt seit Anfang 2017 wieder – schwach zwar, aber es wächst. Insbesondere steigende Rohstoffpreise haben geholfen, die brasilianische Wirtschaft aus der Rezession zu führen.
Das südamerikanische Land verfügt über einen enormen Rohstoffreichtum. Neben Erzen und Agrarrohstoffen lagern auf brasilianischem Territorium gewaltige Öl- und Erdgasreserven. Das Land könnte sich nach Schätzung der Internationalen Energieagentur IEA zu einem der größten Öl- und Gasförderer entwickeln. Die noch unerschlossenen Öl- und Gasfelder im Atlantik könnten Brasilien beim Gas zum Selbstversorger machen, beim Öl zu einem bedeutenden Exporteur.
Attraktiver Markt
Mit seinen rund 210 Millionen Einwohnern ist Brasilien für ausländische Unternehmen darüber hinaus ein ebenso großer wie attraktiver Markt. Das Volumen ausländischer Direktinvestitionen belief sich hier im Mittel der vergangenen Jahre auf rund 3% des Bruttoinlandsprodukts. Nach den zahlreichen Krisen der Vergangenheit hat Brasilien sein Währungssystem flexibilisiert und die Notenbank zur Wahrung der Preisstabilität verpflichtet. Exporteuren bietet dies vergleichsweise sichere Finanzierungsbedingungen. Seine hohen Devisenreserven, rund 380 Mrd EUR, übersteigen zudem die kurzfristige Fremdwährungsverschuldung um ein Vielfaches. Dadurch ist die Gefahr einer Zahlungsbilanzkrise gering.
Strukturelle Schwächen
Trotz all seiner Stärken hinkt Brasilien im internationalen Vergleich hinterher. Im „Global Competitiveness Index“ des World Economic Forum (WEF) belegte es im vergangenen Jahr nur einen schwachen 80. Rang und blieb damit deutlich hinter anderen großen Schwellenländern zurück. Dafür gibt es viele Gründe: So rangiert Brasilien in puncto Arbeitsproduktivität hinter vielen anderen Emerging Markets. Die Lohnkosten im Land sind hoch, die Flexibilität auf dem brasilianischen Arbeitsmarkt ist gering. Unternehmen zahlen im Vergleich mit anderen Schwellenländern hohe Steuern und müssen sich mit einer überbordenden Bürokratie herumschlagen. Die OECD bescheinigt Brasilien zudem eine unterdurchschnittliche Infrastruktur. Die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit sowie hohe Zölle und Importschranken führen dazu, dass Brasilien kaum in die globalen Wertschöpfungsketten integriert ist. Das hemmt wiederum den Ausbau der Industrie und den technologischen Fortschritt im Land.
Auch der Staatshaushalt hängt schief. Größte Schwachstelle ist das teure Pensionssystem, das mit rund 12% einen deutlich höheren Anteil des Bruttoinlandsprodukts verschlingt als im OECD-Durchschnitt. Ein Brasilianer, der mit 20 Jahren ins Arbeitsleben eintritt, geht im Schnitt mit 55 Jahren – oft sehr gut versorgt – in den Ruhestand. Das für ein Schwellenland eher schwache Wirtschaftswachstum und die hohen Staatsausgaben haben Brasiliens Staatsverschuldung in die Höhe getrieben. In der Folge hat es bei den drei großen Ratingagenturen sein Investmentgraderating verloren und rangiert mittlerweile im spekulativen Bereich.
Präsidentenwahl im Schatten politischer Verunsicherung
Größter Hemmschuh für Brasiliens Entwicklung ist die Politik. Die Korruptionsskandale der jüngeren Zeit haben das Vertrauen der Bevölkerung in die Politiker erschüttert. Staatsunternehmen wie Petrobras hatten zu überhöhten Preisen Bauaufträge vergeben. Die Baufirmen zahlten im Gegenzug hohe Summen an Petro-bras-Manager, Parteien und einzelne Politiker. Mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert sehen sich auch die Exstaatspräsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff sowie der noch amtierende Michel Temer. Lula trat im April eine mehrjährige Haftstrafe an. Der politische Scherbenhaufen, den die Skandale hinterlassen haben, dämpft die Risikobereitschaft und damit die Investitionstätigkeit von Unternehmen, bremst Reformen aus und macht das Land anfälliger für Turbulenzen an den Finanzmärkten.
Alles in allem hat Brasilien großes Potential – und bleibt doch chronisch hinter seinen Möglichkeiten zurück. Mit einem beherzten Reformkurs könnte die Wirtschaft des Landes in den kommenden Jahren deutlich stärker wachsen als mit einem „Weiter so“. Für tiefgreifende Reformen wären aber politische Anstrengungen über die Parteigrenzen hinweg vonnöten.
Angesichts des desolaten Zustands, in dem sich Brasiliens politische Klasse befindet – das geradezu groteske Ausmaß der jüngsten Korruptionsskandale spricht hier für sich –, erscheint eine tiefgreifende Wende vorerst aber illusorisch. Das Wirtschaftswachstum dürfte folglich auch in den kommenden Jahren unterdurchschnittlich ausfallen. Momentan läuft Brasilien nach dem Abstieg aus der Topliga der Schwellenländer eher Gefahr, in eine untere Liga abzusteigen. Sehr viel wird also vom Ausgang der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abhängen, in denen sich nach der ersten Runde ein Wahlsieg der Konservativen abzeichnet.
Wichtiger deutscher Absatzmarkt
Im vergangenen Jahr exportierten deutsche Unternehmen nach Angaben des Statistischen Bundesamts Waren im Wert von rund 8 Mrd EUR nach Brasilien. Wichtigste Exportgüter waren Maschinen, Autos und Autoteile sowie Arzneimittel. Für deutsche Firmen stellt Brasilien den wichtigsten Handelspartner in Lateinamerika dar, auch wenn das Volumen der Ausfuhren in den vergangenen Jahren aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Probleme zurückgegangen ist.
Exporteure sollten angesichts der schwierigen Lage in Brasilien auf eine gute Absicherung achten. Darüber hinaus sollten sie ihren brasilianischen Geschäftspartnern von vornherein auch eine Finanzierung anbieten. Dadurch werden viele Geschäfte überhaupt erst möglich. Das zeigt die Erfahrung der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), die seit 20 Jahren deutsche Unternehmen in Brasilien begleitet. Das sechsköpfige deutschsprachige Team sitzt in São Paulo, dem Finanzzentrum Brasiliens. Von dort aus betreuen die LBBW-Berater auch Kunden in den Nachbarstaaten Argentinien, Chile, Uruguay und Paraguay.
Ausbau der Infrastruktur
Deutsche Banken haben in Brasilien einen starken Stand. Viele Infrastrukturprojekte in dem südamerikanischen Land wurden mit Hilfe deutscher Kreditinstitute finanziert. Dazu gehören der Bau von Kraftwerken und Eisenbahnen ebenso wie die Errichtung von Sportstätten, etwa für die Olympischen Spiele, die im Jahr 2016 in Brasilien stattfanden.
Ein aktuelles Beispiel für ein Projekt unter Beteiligung der LBBW: die Modernisierung der Corcovado-Bergbahn. Die mehrspurige Zahnradbahn führt auf den 710 Meter hohen Corcovado, jenen Berg vor den Toren Rio de Janeiros, auf dem die monumentale Christusstatue „Cristo Redentor“ steht. Die „Trem do Corcovado“ transportiert jedes Jahr Hunderttausende Touristen zu Brasiliens berühmtester Sehenswürdigkeit. Ab Mitte 2019 werden die alten Züge durch eine neue Zahnradbahn ersetzt. Zumindest in diesem Teil Brasiliens wird es dann schneller aufwärtsgehen.