Lateinamerika reagiert auf das amerikanisch-chinesische Kräftemessen im Außenhandel und orientiert sich im Welthandel um. Das bietet Chancen für die deutsche Exportwirtschaft. Begleitet wird dieser Prozess in vielen Ländern südlich des Rio Bravo aber von einem politischen Umbruch, der das Ende der sogenannten Rosa Welle zu markieren scheint und kurzfristig noch für Unsicherheit sorgt.
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Wie in anderen Regionen der Welt werden die wirtschaftlichen Perspektiven auch in Lateinamerika derzeit mehr denn je von externen Faktoren mitbestimmt. Dazu gehört in erster Linie die Politik von Donald Trump in den USA. Betroffen davon ist zuallererst Mexiko. Rund ein Drittel der mexikanischen Wirtschaft hängt vom Export ab, mehr als 80% davon gehen in die USA. Umso schmerzlicher waren die von Trump verhängten Importzölle von 25% auf Stahlimporte und 10% auf Aluminium aus Mexiko, Kanada und der Europäischen Union (EU).
Inzwischen scheint sich das Verhältnis zur US-Regierung aber zu entspannen. Der Bau einer Mauer an der Grenze zwischen Mexiko und den USA war wohl vor allem Wahlkampfrhetorik. Auch für die Nachfolge des von den USA aufgekündigten Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) zwischen Kanada, den USA und Mexiko zeichnet sich nun eine Lösung ab. Nachdem die Kritik Trumps am „schlechtesten Deal aller Zeiten“ verklungen ist, einigten sich die drei Regierungen am 30. September 2018 auf die Grundzüge eines neuen Abkommens. Kanadas Premierminister Justin Trudeau begrüßte es als wichtigen Schritt zu „freieren Märkten, fairerem Handel und kräftigem Wirtschaftswachstum in unserer Region“. Als politisches Zugeständnis an Trump soll die neue Vereinbarung nicht mehr NAFTA heißen, sondern einen anderen Namen tragen: US-Mexiko-Kanada-Abkommen (United States Mexico Canada Agreement, kurz USMCA).
Wird China der Hauptnutznießer der amerikanischen Entfremdung?
Unabhängig von ihrem Verhältnis zu den USA wollen Mexiko und andere lateinamerikanische Länder ihre Handelsbeziehungen nachhaltig diversifizieren. Sie fassen Europa ins Auge, vor allem aber China. Doch Produkte, die ursprünglich für den amerikanischen Markt gemacht wurden, lassen sich nicht ohne weiteres in Asien absetzen. Es geht schließlich nicht nur darum, Schiffe von Kalifornien oder New York nach Peking oder Schanghai umzuleiten. Handelsverlagerungen brauchen Zeit und hängen von den passenden Produkten für die neuen Märkte ab. Beispielsweise lassen sich Rohstoffe viel leichter in eine neue Lieferkette integrieren als Halbfertigwaren, Konsum- oder Investitionsgüter.
Deshalb sind Länder wie Brasilien – dort machen Rohstoffe derzeit 45% der Exporte aus – klar im Vorteil, wenn es darum geht, Verbindungen mit dem ressourcenhungrigen China auszubauen. In Mexiko sind die Aussichten für ein stärkeres China-Geschäft dagegen begrenzt, denn die Rohstoffexporte machen nur 10% der Gesamtausfuhren aus.
Neuer Mix von Chancen und Risiken für deutsche Unternehmen
Dieses Umfeld mit seinem neuen Mix von Chancen und Risiken, insbesondere der Wunsch nach einer Diversifizierung der Handelsbeziehungen, macht Lateinamerika auch für deutsche Unternehmen wieder interessanter.
Die Herausforderungen sind allerdings kaum weniger geworden, so dass ein kompetenter Bankpartner vor Ort unverzichtbar ist. Gerade angesichts der Konsolidierung des brasilianischen Bankenmarktes füllt die Commerzbank Brasil S.A. mit ihrem Sitz in São Paulo eine entscheidende Lücke – als strategischer Finanzpartner mit engen Beziehungen zu deutschen und europäischen Unternehmen sowie mit einem Netzwerk von fast 200 Korrespondenzbanken in der Region, um Risiken beispielsweise bei Im- und Exporten zuverlässig abzudecken.
„Superwahljahr 2018“ prägt zukünftige Rahmenbedingungen
Die wirtschaftliche Neuorientierung Lateinamerikas wird begleitet von einem anhaltenden politischen Trend hin zum konservativen Lager. Das „Superwahljahr 2018“, in dem zwei Drittel der Bürger Lateinamerikas an die Wahlurnen gingen oder noch gehen, bestätigt ihn erneut.
In einzelnen Ländern allerdings wird er von nationalen Besonderheiten überlagert, vor allem in Venezuela. Nach der umstrittenen Wiederwahl des sozialistischen Staatschefs Nicolás Maduro treibt Venezuela weiter ins Chaos von Armut und Hyperinflation.
Kolumbien: Blockieren die Rebellen das Wachstum?
Ganz anders zeigt sich die Situation in Kolumbien. Hier durfte Präsident Juan Manuel Santos nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten nicht wieder kandidieren. In der Stichwahl am 17. Juni 2018 setzte sich Iván Duque aus dem rechtskonservativen Lager durch. Damit dürfte der wirtschaftsliberale Kurs der vergangenen Jahre fortgeführt werden. Zudem versprach Duque Steuererleichterungen für Unternehmen. Auch die Aufnahme Kolumbiens in die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Mai 2018 – als drittes Land Südamerikas nach Mexiko und Chile – stärkt das Vertrauen ausländischer Investoren in Kolumbien.
Ein Fragezeichen aber bleibt: Bei der Präsidentschaftswahl ging es auch um die Zukunft des historischen Friedensabkommens mit der linken Guerillabewegung FARC. Duque will das Abkommen in wichtigen Punkten ändern und könnte die Ex-rebellen damit zurück in den Untergrund treiben. Überdies lehnt er die laufenden Friedensgespräche mit den noch nicht entwaffneten ELN-Rebellen ab.
Brasilien: ein Favorit in Haft, ein anderer im Krankenhaus
Erst kürzlich hat die größte Wirtschaft Lateinamerikas die Rezession hinter sich gelassen. Nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird sie 2018 um 2,3% wachsen. Getrübt wird das positive Bild durch die besondere Konstellation bei den Präsidentschaftswahlen, zu denen im Oktober 145 Millionen Brasilianer aufgerufen sind. Nach übereinstimmenden Analysen würde sich dabei wohl der frühere Präsident Lula Da Silva durchsetzen, doch der wurde wegen Korruption zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt und darf nicht kandidieren.
So ist der Weg frei für Jair Bolsonaro, einen Exmilitärfunktionär mit rechtsradikalen Positionen. Häufig wird er als „Donald Trump Brasiliens“ bezeichnet, weil er u.a. das Tragen von Waffen erlauben will. Er führt die Umfragen an, wurde aber kürzlich bei einem Attentat schwer verletzt. Trotzdem entschied er die erste Runde der Präsidentschaftswahl mit über 46% für sich. Für die Stichwahl am 28. Oktober 2018 gilt er daher als Favorit. Wird er nach der Wahl wie angekündigt im großen Stil Privatisierungen durchsetzen? Unsicherheiten begleiten Investoren sicher noch eine ganze Weile.
Nach Erdrutschsieg in Mexiko: Obrador als Mann der Mitte?
In Mexiko führten die Präsidentschaftswahlen vom Juli 2018 zu einem politischen Erdrutsch. Andrés Manuel López Obrador, der Kandidat der Mitte-links-Sammlungsbewegung „Morena“, gewann die Wahlen mit über 53% der Stimmen. Niemals zuvor hatte ein Präsidentschaftskandidat im demokratischen Mexiko in der ersten Runde mehr als die Hälfte der Stimmen erhalten. Er wird sein Amt am 1. Dezember antreten.
Obrador traf mit seiner Wahlkampagne den Nerv der Bevölkerung. Aber bei konkreten Lösungen der vielfältigen Probleme ist er bisher vage geblieben und hat nur einzelne Sofortmaßnahmen verkündet – von einer einheitlichen Altersrente bis hin zum Verkauf des Präsidentenflugzeugs, von der Halbierung der Gehälter hoher Staatsbeamter bis zur Steigerung der nationalen Produktion, um Mexiko unabhängiger zu machen.
In der ersten Rede nach seiner Wahl versuchte Obrador, die Märkte zu beruhigen. Er wolle die Unabhängigkeit der Zentralbank und die unternehmerischen Freiheiten respektieren, Enteignungen und eine Änderung der Verfassung schloss er aus. Wird Obrador tatsächlich zum Mann der Mitte? Die nächsten Monate werden es zeigen.
thomas.krieger@commerzbank.com