Die Rezession ist überwunden, und die Konjunkturaussichten für das größte Land Südamerikas haben sich in den vergangenen Monaten deutlich verbessert. Die Bevölkerung blickt mit banger Erwartung auf die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Oktober, die auch eine neue wirtschaftspolitische Weichenstellung bringen dürften. Der Abschluss eines Handelsabkommens mit der EU könnte Bewegung in den bilateralen Warenaustausch bringen.

Beitrag in der Gesamtausgabe

Der Blick auf die wichtigsten Auslandsmärkte der deutschen Unternehmen stimmt nachdenklich: Die USA wollen ihr Handelsdefizit mit Deutschland und China verringern, Großbritannien verlässt den Binnenmarkt und erschwert dadurch den bilateralen Warenverkehr, China klettert die Wertschöpfungsleiter immer weiter nach oben und macht deutschen Technologieanbietern zunehmend Konkurrenz. All dies bringt die bisherigen globalen Wertschöpfungsketten in Bewegung.

Südamerika setzt auf Freihandel

Während in anderen Regionen protektionistische Tendenzen sichtbar werden, setzt Südamerika auf eine Öffnung der Märkte. Der Rückgang der Rohstoffpreise und die Suche nach neuen Märkten haben den Verhandlungen zwischen dem Mercosur und der EU über ein Freihandelsabkommen Auftrieb gegeben. Zwar dürfte sich der Abschluss bis nach den Wahlen in Brasilien im Oktober 2018 verschieben. Doch für 2019 stehen die Zeichen gut, dass sich beide Seiten einigen. Dann dürften sich auch die strategischen Zielsetzungen konkretisiert haben.

Marcos Prado Troyjo, Direktor des BRICLab an der Columbia University, erläuterte auf dem Weltwirtschaftsforum zu Lateinamerika in São Paulo Mitte März 2018, dass Brasilien wie die meisten lateinamerikanischen Länder bislang keine Strategie für den Abschluss von Freihandelsabkommen habe. Das Land habe bis zum Verfall der Rohstoffpreise eine Strategie der Importsubstitution verfolgt. Die regionale Integration fände daher nicht im Bereich des Warenhandels, sondern im Ausbau der Infrastruktur (transkontinentale Eisenbahn) und der Angleichung von Standards statt. Wenn Donald Trump das Weiße Haus verlasse und die Reglobalisierung komme, sei Lateinamerika darauf vorbereitet, erklärte Troyjo.

Handelskonflikt wäre schädlich

In einer aktuellen Analyse der Auswirkungen eines Handelskonflikts auf Brasilien sieht die Santander Bank für das Land moderate Auswirkungen. Sollte die chinesische Wirtschaft durch US-Zölle leiden, würde sich auch das brasilianische Wachstum abschwächen. Über den direkten Effekt geringerer Exporte nach China und in die USA hinaus würden der Druck auf die Rohstoffpreise und die Wachstumseinbußen weiterer Handelspartner die brasilianische Wirtschaft belasten. Für das Jahr 2018 rechnet die Santander Bank im Falle eines Handelskonflikts mit einer Verringerung der realen Wachstumsrate von 3,2% auf 2,8%, 2019 würde das Wachstum statt 3,2% nur noch 2,1% erreichen.

Rahmenbedingungen anspruchsvoll

Auch wenn die Zeichen bislang auf eine stärkere Nachfrage und einen besseren Marktzugang in Brasilien hindeuten, bleibt die unternehmerische Realität vor Ort eine Herausforderung. Von der Auswahl der Dienstleister, die den Gang auf den brasilianischen Markt begleiten, bis hin zu steuerlichen Fragen bewegten sich die Prüfsteine für deutsche Unternehmen, die die Marktchancen nutzen wollten, sagt Dr. Jochen Walter, Regional Manager der Messe München. Angesichts eines fehlenden Doppelbesteuerungsabkommens mit Deutschland und mangelnder Konformität mit den OECD-Standards seien die Buchführung und Bilanzierung in Brasilien aufwendig.

Gute Mitarbeiter vorhanden

Während die Suche nach geeigneten Dienstleistern in Brasilien nicht einfach sei, habe man gute Mitarbeiter für die Expansion der Messe München in Brasilien gefunden, berichtet Walter. André Müller Carioba, Vorsitzender des Beirats von LIDE Deutschland, empfiehlt deutschen Investoren, sich auf starke Gewerkschaften und eine Vielzahl von Einzel­gewerkschaften einzustellen. Die Lohnkosten seien zwar deutlich niedriger als in Deutschland, aber die Produktivität sei geringer, und die Lohnnebenkosten überstiegen oft die Lohnkosten. Müller Carioba hält eine erfahrene Personalführung mit lokalen Kräften für essentiell.

Veranstaltungshinweis

Der ExportManager und das Unternehmernetzwerk LIDE Deutschland veranstalten gemeinsam mit der Messe München und der Santander Bank am 4. Juni 2018 in Frankfurt am Main ein Forum zu Brasilien, auf dem die genannten Experten über die aktuelle wirtschaftliche und politische Situation des Landes sowie über die Rahmenbedingungen und Erfahrungen mit der Geschäftstätigkeit in Brasilien berichten werden.

gunther.schilling@frankfurt-bm.com

Aktuelle Beiträge

Cookie-Einwilligung mit Real Cookie Banner