Das Vereinige Königreich tritt am 29. März 2019 aus der Europäischen Union und damit auch aus der Zollunion, der Gemeinsamen Handelspolitik und dem europäischen Binnenmarkt, der es zur Personenfreizügigkeit verpflichtet, aus. Wenige Monate vor dem Ausstieg sind die zukünftigen zollrechtlichen Beziehungen zwischen den Verhandlungsparteien noch völlig ungewiss. Die Unsicherheit ist Gift für den Außenhandel.

Beitrag in der Gesamtausgabe

„Wenn wir die EU verlassen, verlassen wir auch die EU-Zollunion“. Unter dieser Prämisse hatte das Vereinigte Königreich (VK) auf seinem Weg aus der Europäischen Union (EU) bereits 2017 erste Ideen zur zukünftigen zollrechtlichen Zusammenarbeit mit der EU sowie die Grundzüge für ein eigenständiges Zollgesetz vorgestellt. Das „Partnerschaftspapier“ und das Weißbuch „Gesetzgebung des Vereinten Königreiches im Bereich Zoll-, Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuern“ sollten die Verhandlungspartner und das eigene Volk auf zukünftige Veränderungen vorbereiten, auch auf die Eventualität eines sogenannten „harten Brexits“.

Seitdem wird verhandelt. Zwar wurden die „Scheidungsmodalitäten“ zum Großteil im März dieses Jahrs mit der Ver­öffentlichung eines 120-seitigen Entwurfs für ein Austrittsabkommen geklärt, doch eine Einigung über die zukünftige Zusammenarbeit ist nicht in Sicht. Die Briten wollen das schier Unmögliche: die EU-Zollunion verlassen und dennoch keine physische Zollgrenze mit Grenzkontrollen („Soft Brexit“). Sie wollen zukünftig eigene, unabhängige Handelsabkommen mit den USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Indien usw. abschließen, aber dennoch reibungslosen Handel ohne Grenzkontrollen mit der EU betreiben. Idealerweise soll dazu ein Freihandelsabkommen mit der EU bereits ab Brexit-Stichtag, Mitternacht 29. März 2019, anwendbar sein. Dazu wird es nicht kommen. Auch wird das VK bis dahin wohl kein neues britisches Zoll-, Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuersystem implementiert haben. Die Zeit für Ratifizierung und Umsetzung ist dazu einfach zu kurz. Vielmehr soll es eine Übergangsfrist von zwei Jahren geben, in der die Zoll-, Handels- und Marktregeln der EU uneingeschränkt anzuwenden sind, allerdings ohne dass das VK Mitglied der EU bleibt. Brexit-Befürworter sprechen bereits von dem VK als einem zweijährigen Satelliten- oder Vasallenstaat, also einem Land, das zwar formal unabhängig ist, aber politisch von einem stärkeren Staat dominiert wird.

Stolpersteine

Ein besonderes Problem bei den Verhandlungen ist die einzige Landesgrenze zwischen Großbritannien (GB) und der EU, die zwischen Nordirland und der Irischen Republik. Beide Seiten sind sich einig, dass das endgültige Brexit-Abkommen eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik vermeiden und das Karfreitagsabkommen von 1998 schützen muss. Eine Rückkehr zur „harten Grenze“ der Vergangenheit soll auf jeden Fall verhindert werden, inklusive jeglicher physischer Grenzinfrastruktur.

In einem separaten Positionspapier wurden von Großbritannien digitale, flexible Lösungen vorgeschlagen. Es wurden neun Schlüsselprinzipien zur Schaffung einer „unsichtbaren“ Landesgrenze skizziert, auf denen künftige Zollabsprachen an der Grenze zwischen Nordirland und Irland basieren sollen. Sie wurden jedoch bereits seitens der EU abgelehnt.

Den Lösungsvorschlag der EU, einen Verbleib Nordirlands in der EU-Zollunion mit einer Zollgrenze in der Irischen See, lehnt nun aber die britische Regierung ab. Denn dieser Vorschlag würde eine Grenze innerhalb des VK ziehen und damit die verfassungsmäßige Integrität des VK verletzen. Die EU schlägt die Schaffung eines „gemeinsamen Regulierungsraums“ nach dem Brexit auf der irischen Insel vor, wenn keine andere Vereinbarung gefunden werden kann. Aus Sicht der EU-Kommission sollte Nordirland weiterhin an die EU-Vorschriften zum Handel mit Waren gebunden sein, um Grenzkontrollen zu vermeiden. Dieser „Backstop“ würde allerdings nur dann in Kraft treten, wenn keine bessere Lösung vereinbart würde.

Viele Zollneulinge

Ein weiteres Problem entsteht natürlich auch durch die neu anfallenden Zollabfertigungskosten in den Häfen nach dem Brexit, vor allem beim volumenreichen Roll-on/Roll-off Verkehr zwischen den Niederlanden/Belgien/Frankreich und Großbritannien. Erst im Mai 2018 berechnete die britische Zoll-und Steuerbehörde HRMC Kosten von ca. 32,50 GBP (also ca. 38 EUR) pro abgegebener Zollanmeldung nach dem Brexit. Der Nationale Rechnungshof Großbritanniens erwartet ca. 200 Millionen zusätzliche Zollanmeldungen, nachdem das VK die EU und ihre Zollunion verlassen hat. Des Weiteren sind Häfen auf beiden Seiten des Ärmelkanals bisher nicht auf die neue Situation ab März 2019 vorbereitet.

Zahlreiche kleinere und mittlere europäische Unternehmen mit Exporten nach Großbritannien (und umgekehrt) haben bisher nur Handel innerhalb der EU betrieben. Nach dem Brexit müssten sie sich erstmalig mit Zollverfahren und Handelsregeln auseinandersetzen, Zollkompetenz aufbauen und in Zollsoftware investieren. Außerdem müssten sie mit erheblichen Mehrkosten durch Verzollungen (Zolltarif, Bearbeitungsgebühr) rechnen, die bei ihnen oder dem Importeur anfallen, die Gesamtkosten für ihre Produkte in die Höhe treiben und deren Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Verschiedene betriebliche Abläufe müssten neu geregelt werden. In der Praxis könnte auch ein Zollagent, zum Beispiel eine Spedition, die Ausfuhranmeldung vornehmen, nachdem das Unternehmen alle notwendigen Daten übermittelt hat.

Die Studie „Mittelstandsradar“ der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) und des Tübinger Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) zeigt, dass der deutsche Mittelstand bereits heute die Wirtschaftsbeziehungen zu Großbritannien extrem kritisch sieht. Demnach beurteilen derzeit gut 40% der Mittelständler Großbritannien als Absatzmarkt negativ. Und mehr als die Hälfte der Befragten sieht das VK als Schlusslicht bei den Produktionsstandorten.

Produktzulassungen und Kennzeichnungen

Nach dem Brexit gelten die Produktzulassungen und Kennzeichnungen der EU, z.B. das CE-Kennzeichen, formal nicht mehr. Auch andere amtliche Grenzkontrollen, die dem Schutz von Mensch, Tier und Umwelt dienen, müssten neu geregelt werden. Dazu gehören z.B. die Vorschriften für grenzüberschreitende Bewegungen großer Bargeldbeträge, von Schusswaffen, Sprengstoffen, Betäubungsmitteln und Artefakten sowie Tier-, und Pflanzengesundheitskontrollen. Sollten das VK und die EU bei diesen Neuregelungen nicht effektiv zusammenarbeiten, könnte es zu großen Verzögerungen im Warenfluss kommen.

Präferenzieller Ursprung in Gefahr

Der Brexit birgt auch für Unternehmen Risiken, die Freihandelsabkommen nutzen und ihre Vormaterialien ganz oder teilweise aus dem VK beziehen. Nach dem Brexit müssten entsprechende Präferenzkalkulationen neu durchgeführt werden, um zu klären, ob es sich (noch) um Ursprungsware im Sinne eines Freihandelsabkommens handelt oder nicht. Hier besteht die Gefahr, dass nach dem Brexit (und damit dem Wegfall des britischen EU-Ursprungsanteils) die in der EU hergestellte Ware die Ursprungsregelungen nicht mehr erfüllt und Drittlandzölle anfallen.

Fazit

Viele EU-Verordnungen und Direktiven aus 45 Jahren Mitgliedschaft, inklusive des Unionszollkodexes, sowie die vielen, jahrelang mühsam ausgearbeiteten Freihandelsabkommen mit Staaten weltweit stehen nach dem EU-Austritt für Großbritannien – nach Ablauf der vereinbarten Übergangsfrist – auf „null“. Sollten sich die EU und das VK bis zum Stichtag auf keine Form der Zusammenarbeit einigen, kommt es zum „Hard Brexit“ mit „Cliff-Edge“. Exporteure müssen dann mit zusätzlichen Kosten durch geänderte Zolltarife und Verwaltungsaufgaben sowie Verspätungen beim Warenverkehr rechnen. Das Handelsvolumen zwischen Großbritannien und Deutschland wird voraussichtlich sinken.

arnemielken@amberroad.com

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