Bulgarien verzeichnet seine stärkste Konjunkturphase seit der Finanzkrise 2009. Zwischen 2015 und 2017 beschleunigte sich das Wirtschaftswachstum auf durchschnittliche 3,7%, dies ist eine der höchsten Wachstumsraten in der EU. Für das laufende Jahr wird ein ähnliches Niveau erwartet. Danach rechnen die Analysen von Credendo mit einem geringeren Anstieg von 2,8% im Jahr 2020.

Beitrag in der Gesamtausgabe

Ein vorteilhaftes externes Umfeld sowie eine robuste Konsumnachfrage infolge zunehmenden Vertrauens erklären maßgeblich den positiven Wachstumstrend der vergangenen Jahre. Zudem hat sich die bulgarische Wirtschaft seit ihrem Beitritt zur EU im Jahr 2007 auf einen zusätzlichen Impuls durch den EU-Strukturfonds verlassen können. Die hohe Absorptionsrate (95% im Jahr 2016) hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert und ist nun vergleichbar mit der anderer Länder. Als Konsequenz des Brexits könnte der kommende EU-Haushalt 2020 jedoch geringer ausfallen und sich in geringeren Zahlungen an die größten Empfängerländer wie Bulgarien niederschlagen.

Zwillingsüberschuss mit soliden Fundamentaldaten

Bulgarien zeigt starke makroökonomische Fundamentaldaten mit einem Zwillingsüberschuss. Nach 20 Jahren mit negativem Saldo weist Bulgariens Leistungsbilanz seit 2016 einen Überschuss auf. Dies ist überwiegend auf stärkere Exporte in die EU (dominiert von Indus-triegütern, gefolgt von Nahrungsmittelerzeugnissen) und höhere Tourismuseinnahmen (10% der Gesamtexporte) zu-rückzuführen. Der Überschuss belief sich im vergangenen Jahr auf 4,5% des BIP.

Bis 2023 wird langsam eine Rückkehr zu einer ausgeglichenen Leistungsbilanz erwartet. EU-Fonds sowie steigende ausländische Direktinvestitionen, die von weiterhin relativ niedrigen Lohnkosten angelockt werden, dürften die Zahlungsbilanz langfristig im positiven Bereich halten.

Der Haushaltssaldo war mit 0,9% des BIP 2017 ebenfalls positiv. Die fiskalische Konsolidierung hat die öffentlichen Finanzen seit 2015 verbessert und dürfte den Haushalt auch bis 2020 weitgehend ausgeglichen halten. Bulgariens Finanzlage ist solide, und das Land gehört zu den EU-Ländern mit der niedrigsten gesamtstaatlichen Schuldenquote – 23,9% des BIP. Der langsame Rückgang der Verschuldung dürfte sich auf mittel- bis langfristige Sicht fortsetzen.

Ausgehend von einer soliden Basis, fällt der Ausblick weniger positiv aus, wenn eine Reihe potentieller oder wahrscheinlicher Kosten berücksichtigt wird, wie beispielsweise Eventualverbindlichkeiten der Staatsunternehmen (8,5% des BIP), geplante deutliche Lohnerhöhungen in einigen Bereichen des öffentlichen Sektors sowie höhere Ausgaben zur Schließung der Infrastrukturlücke. Längerfristig wird die Alterung der Bevölkerung in Kombination mit der erheblichen Abwanderung junger gebildeter Bulgaren die Erwerbsbevölkerung reduzieren und die Kosten für Renten und Gesundheit steigern. Daher sind weitere umfassende Sozialreformen vonnöten, um eine langfristige haushaltspolitische Nachhaltigkeit zu gewährleisten.

Jahrelange Abwanderung und langsame Armutsbekämpfung

Wie sich bereits in anderen früheren kommunistischen Ländern Osteuropas gezeigt hat, wird Sofia Jahre brauchen, um die strukturellen Schwächen zu überwinden. Die demographische Krise, folgend aus der anhaltenden Abwanderung junger Fachkräfte in wohlhabendere EU-Länder und einer geringen Geburtenrate, ist das akuteste strukturelle Risiko. Mit einem Bevölkerungsschwund von 30% in den vergangenen 30 Jahren hat Bulgarien verständlicherweise mit Arbeitskräftemangel zu kämpfen. Zusammen mit einer hohen Unternehmensverschuldung (84% des BIP) könnte dies zukünftige Inlandsinvestitionen belasten. Diese dürften weiterhin auf dem derzeitigen Niveau von knapp unter 20% des BIP verharren, was im Vergleich mit den für aufstrebende Länder angemessenen 25% moderat ausfällt.

Armut ist ein weiteres Problem in Bulgarien, das Land ist weiterhin das ärmste unter den EU-Mitgliedsländern. Das BIP pro Kopf ist in den ersten zehn Jahren der EU-Mitgliedschaft, insbesondere nach der Finanzkrise 2008/09, nur langsam ge-wachsen. Die Regierung erkennt die ­Notwendigkeit eines mehr Menschen einbeziehenden „inklusiven“ Wachstums an und hat dies zu einer ihrer Prioritäten gemacht. Allerdings könnten schwache Fortschritte bei den Strukturreformen das Wachstumspotential weiter begrenzen.

Beitritt zur Euro-Zone noch in weiter Ferne

Der Wunsch Bulgariens nach einem Beitritt zur Euro-Zone  ist positiv zu werten, und das Land wird die Zeit seiner EU-Präsidentschaft nutzen, um den Beitrittsantrag zum WKM II (Wechselkursmechanismus II), der Vorstufe zur Einführung des  Euro, bis Mitte 2018 voranzubringen. Obwohl Bulgarien das nächste Mitglied der Euro-Zone werden könnte, da es alle Maastricht-Kriterien erfüllt, ist der Zeithorizont unsicher. Es könnte einige Jahre dauern, vorsichtig ausgedrückt, da es ihm an Unterstützung unter den Euro-Mitgliedsländern mangelt, insbesondere aufgrund der anhaltend hohen Korruption. Ein Beitritt zum WKM II dürfte unterdessen den Bulgarischen Lev weiterhin stabilisieren. Dieser ist bereits seit 1999 an den Euro gekoppelt.

Darüber hinaus hat sich der Bankensektor seit der Pleite der viertgrößten Bank KTB im Jahr 2014 rasch erholt. Obwohl zwei Banken weiterhin Rekapitalisierung benötigen, entwickelt sich der Bankensektor insgesamt recht stabil, mit guter Kapitalisierung, solidem Liquiditätsniveau und sich langsam erholendem Kreditangebot. Der Anteil notleidender Kredite ist immer noch hoch, jedoch weiterhin rückläufig (von 16,7% 2014 auf 11,4% im September 2017).

Verbesserte Tragfähigkeit der Auslandsverschuldung

Das dominierende finanzielle Länderrisiko hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Der Rückgang der Auslandsverschuldung hat sich seit 2013 beschleunigt, was zum einen auf die zunehmend robuste Wirtschaftsentwicklung und die Entschuldung der Privatwirtschaft zurückzuführen ist (82% der Auslandsschulden entfallen auf private Unternehmen, einschließlich konzerninterner Darlehen in Höhe von 20% des BIP), zum anderen auf eine begrenzte öffentliche Neuverschuldung (bis mindestens 2020 ist keine neue Schuldenaufnahme vorgesehen). Die Auslandsverschuldung ist tragfähiger geworden, sie liegt derzeit bei knapp über 70% des BIP und wird in den kommenden Jahren voraussichtlich langsam auf unter 60% zurückgehen. Auch die Liquidität Bulgariens hat sich stark verbessert. Der überschaubare Schuldendienst wird ab diesem Jahr auf unter 15% des Exportwertes geschätzt, er entwickelt sich parallel zur sinkenden Auslandsverschuldung. Die kurzfristigen Schulden, die 2009 bei enormen 70% der Exporterlöse lagen, sind seit 2012 deutlich zurückgegangen und entsprachen Ende 2017 rund 25% der Exporterlöse. Die robusten Währungsreserven, die etwa sieben Monatsimporte abdecken, entsprechen 250% der kurzfristigen Schulden.

Politische Instabilität behindert effektive Politikgestaltung

Bulgarien leidet unter häufiger politischer Instabilität, die eine kontinuierliche Politik verhindert. Regierungen überdauern selten eine Legislaturperiode, dies könnte auch für die dritte Amtszeit von Ministerpräsident Borisow seit 2009 zutreffen. Seine führende Mitte-rechts-Partei GERB gewann die vorgezogenen Wahlen im März 2017 und hält sich seither mit Hilfe einer fragilen Koalition mit kleinen nationalistischen Parteien an der Macht, die jedoch zu einer Reihe von Politikbereichen unterschiedliche Positionen vertreten. Darüber hinaus üben Proteste der Bevölkerung sowie eine starke Opposition der prorussischen Sozialistischen Partei regelmäßig Druck auf die amtierende Regierung aus, was wiederum auf seine Weise auch die lebendige Demokratie Bulgariens unterstreicht. Obwohl die Regierung es schwer haben könnte, bis zu den Wahlen 2021 zu überdauern, ist politische Stabilität für die kommenden zwölf Monate wahrscheinlich und zumindest bis zum Ende der ersten EU-Ratspräsidentschaft Bulgariens Mitte 2018 sicher zu erwarten.

Die Risiken der inneren Sicherheit sind gering, sie könnten jedoch mit der Migrationskrise zunehmen, wenn die türkisch-bulgarische Grenze als Flüchtlingskorridor an Bedeutung gewinnt. Bislang ist Sofias Haltung zu Flüchtlingen jedenfalls im Vergleich zu anderen früheren Ostblockstaaten relativ offen – trotz Berichten über repressive Behandlungen. Dies lässt sich pragmatisch dadurch erklären, dass Bulgarien zu den Hauptempfängern von EU-Mitteln gehört und stark von Abwanderung betroffen ist.

Korruption als überwältigendes Erbe

Bulgariens prominenteste systemische Krankheit ist die Korruption, ein hartnäckiges Erbe der kommunistischen Ära, die das Land in die wenig beneidenswerte Position des korruptesten EU-Landes gebracht hat (nach Angaben von Transparency International). Daher überwacht die Europäische Kommission das Justizsystem des Landes seit dem EU-Betritt im Jahr 2007 eng bei der Bekämpfung der endemischen Korruption, in Anerkennung dessen, dass die Korruptionsbekämpfung der Bereich ist, in dem Bulgarien in den vergangenen zehn Jahren am stärksten hinterherhinkte.

Der Druck der EU wird von einer aktiven bulgarischen Gesellschaft gestützt, die regelmäßig gegen die Laxheit der Regierung bei der Korruptionsbekämpfung (Skandale) in der öffentlichen Verwaltung und der Justizreform protestiert, der es an Unabhängigkeit und Transparenz mangelt.

Das Veto, das Präsident Radew kürzlich gegen ein EU-Antikorruptionsgesetz einlegte, das die Effizienz des Justizsystems bei der Korruptionsbekämpfung erhöhen sollte, könnte den Prozess zum Stillstand bringen. Allgemeiner betrachtet, ist der Fortschritt bei der Umsetzung von Reformen langsam. In ihrer Amtszeit legt die Regierung Borisow ihren Schwerpunkt auf eine Erhöhung des schwachen Einkommensniveaus und die Entwicklung der Infrastruktur.

Ausführliche Länderberichte finden Sie auf der Internetseite www.credendo.com.

c.witte@credendo.com

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