In der Weltwirtschaftskrise 2009 konnte China dank massiver Konjunkturprogramme noch einen deutlichen Beitrag zum welt­weiten Wachstum leisten. Für 2012 stehen die Zeichen allerdings auf Konsolidierung. Die gestiegene Inflationsrate und die heiß gelaufene Immobilienbranche haben die Prioritäten verschoben, auch wenn die zwischenzeitliche Stabilisierung den Druck
von der ­Geldpolitik nimmt. Doch China hat im Gegensatz zu den Industrieländern weiterhin kaum finanzielle Sorgen.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Delcredere N.V.

Das Anziehen der geldpolitischen Zügel durch Chinas Zentralbank trägt Früchte: Die überhitzte Wirtschaft kühlt sich ab, und der Preisauftrieb ist unter Kontrolle. Der Inflationsdruck, derzeit Pekings größte Sorge, nimmt seit dem Höhepunkt im Juli wieder ab.

Die schnellere Aufwertung des Renminbi (RMB) gegenüber dem US-Dollar in den vergangenen Monaten trägt zwar zu einer Verringerung der importierten Inflation bei. Dennoch bleibt der Außenwert des Renminbi unter strikter Kontrolle der People’s Bank of China (PBC), die eine bedeutendere Aufwertung auf mittlere Sicht nicht zulassen wird.

Derzeit entscheidender sind die Sparpläne in den meisten EU-Staaten, die mit einer Staatsschuldenkrise zu kämpfen haben. Das damit verbundene Risiko eines zweiten Konjunktureinbruchs (Double Dip) oder einer Stagnation in der EU und den USA könnte auch einen direkten Einfluss auf die wirtschaftliche Aktivität in China haben. Angesichts dieser Einflüsse wird die PBC ihre Geldpolitik wohl zunächst noch beibehalten, bevor sie sie möglicherweise durch niedrigere Mindestreserveverpflichtungen und Zinssätze revidiert, wenn der Abschwung andauert. Chinas Wirtschaft ist trotz des kräftig wachsenden Handels mit anderen aufstrebenden Ländern weiterhin stark von der EU und den USA abhängig.

Daher könnte der positive Ausblick für Chinas Wirtschaft in Abhängigkeit vom Ausmaß der globalen Wachstumsverlangsamung und dem Verlauf der Schuldenkrise in der Euro-Zone nach unten angepasst werden müssen. Die Wachstumsraten des realen BIP wurden für 2011 auf 9,5% und für 2012 auf 9,0% veranschlagt, womit sich bereits eine Abschwächung andeutet.

Chinas Fundamentaldaten sind nichtsdestotrotz bislang keineswegs durch abnehmende Exportzuwächse gefährdet; der sinkende aber weiterhin komfortable Überschuss in der Leistungsbilanz hat langfristig Bestand und dürfte im laufenden Jahr 5,5% des BIP erreichen. Darüber hinaus hält die Zunahme der weltweit größten Währungsreserven (3.200 Mrd US$) an, da gleichzeitig auch weitere ausländische Direktinvestitionen zufließen.

Langfristig werden die Nettodirektinvestitionen aus dem Ausland stark sinken, da die chinesischen Direktinvestitionen im Ausland, ob im Dienstleistungssektor oder im Bergbau, ungebremst wachsen. Darin spiegelt sich die chinesische Entschlossenheit zur Sicherung der Rohstoffversorgung und des Zugangs zu Hochtechnologie durch Investitionen in entwickelten Staaten wider.

Die relative wirtschaftliche Abschwächung in China, die sich in sinkenden Zuwachsraten der Industrieproduktion und der Einzelhandelsumsätze sowie in fallenden Hauspreisen und anhaltend hohen Inflationsraten ausdrückt, macht es der Zentralregierung schwerer, wirtschaftspolitische Maßnahmen zur nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen umzusetzen. Um den konjunkturellen Gegenwind irgendwie abzufedern, ist Peking auf die inländische Nachfrage angewiesen.

Die wichtigsten Einflussfaktoren zur Unterstützung des privaten Konsums werden Lohnerhöhungen durch starken sozialen Druck und zu einem kleineren Teil durch einen stärkeren Renminbi sein. Beides macht Exporte geringerer Qualität weniger wettbewerbsfähig und gibt Exporten mit höherer Wertschöpfung stattdessen einen Anschub. Die Entwicklungen in verschiedenen Branchen wie dem Automobil- und dem Flugzeugbau während weniger Jahre waren so schnell, dass eine blühende Zukunft für mittel- und hochklassige chinesische Produkte nicht länger in weiter Ferne liegt.

Einen weiteren entscheidenden Schub für die Inlandsnachfrage wird der Staat geben. Der Aufbau eines größeren sozialen Sicherheitsnetzes (Renten- und Krankenversicherung sowie sozialer Wohnungsbau) wird die Verwendung der hohen privaten Ersparnisse für den Konsum ermöglichen. Verschiedene positive Maßnahmen wurden seit der Krise von 2008 ergriffen, um die Wirkung der Sozialpolitik zu verbreitern und zu verbessern. Peking hat seine Verpflichtung auf die diesbezüglichen Ziele des 12. Fünfjahresplans erneut bekräftigt.

Nach drei Jahrzehnten eines eindrucksvollen Wachstums ist China an einem Wendepunkt seiner Entwicklung angelangt. Die Weltwirtschaftskrise 2008 war wahrscheinlich der Auslöser für den langsamen Beginn einer Transformation der Wirtschaftsstruktur, die bislang stark von Exporten und Auslandsinvestitionen geprägt war. Aber der Prozess der Abkehr von arbeitsintensiven Exporten wird schrittweise erfolgen und durch seine starken sozialen Auswirkungen auf die Beschäftigung erschwert.

Der aktuelle Entwicklungsplan legt in Fortsetzung des vorhergehenden Plans den Schwerpunkt auf eine ausgeglichene und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Die Bevorzugung von Qualität vor Quantität bedeutet eine leichte Verringerung des nationalen Wachstumsziels, einen höheren Anteil von Dienstleistungen und von kapitalintensiven Produkten in der verarbeitenden Industrie und eine verbesserte Energieeffizienz.

Währenddessen sind einige Wirtschaftsakteure in China wie Kommunen und Banken mit steigenden Risiken konfrontiert. Die Schulden kommunaler Verwaltungen bei staatlichen Banken, die von eigens geschaffenen Zweckgesellschaften aufgenommen wurden, werden von der nationalen Aufsichtsbehörde auf 27% des BIP geschätzt. Daraus ergibt sich für die öffentlichen Finanzen des Landes (einschließlich der Kosten einer Bankenrestrukturierung, drohender Verbindlichkeiten aus notleidenden Krediten etc.) ein weniger positives Bild, als es der geringe Schuldenstand der Zentralregierung von 20% des BIP zeichnet. Bei einer geschätzten Ausfallquote von 20 bis 25% für Kredite an kommunale Körperschaften in den Jahren 2009 und 2010, als eine aggressive Kreditvergabe toleriert wurde, verbleiben Peking nur begrenzte Möglichkeiten zur Verringerung der auf dem Bankensystem lastenden Risiken, und die Zentralregierung dürfte daher früher oder später zu einer erneuten Rekapitalisierungsrunde für die Banken gezwungen sein.

In einem idealen Szenario würde China die Rekapitalisierung mit einer Fiskalreform, die es den Provinzen erlaubte, höhere Steuereinnahmen zu generieren, sowie mit einer effektiveren Kontrolle von Krediten an kommunale Zweckgesellschaften und von Verbindlichkeiten außerhalb des Haushalts verbinden. Dies wären auch willkommene Maßnahmen, um ähnliche Entwicklungen in Zukunft zu verhindern. Die restriktive Geldpolitik hat seit Mitte 2009 zu einem angemessenen Kreditwachstum geführt und die jährliche Veränderungsrate der Kredite von 35% auf 15% verringert. Eine weitere bemerkenswerte Entwicklung vollzog sich im Immobiliensektor, der auf ein langfristig akzeptables Niveau steuert.

Nach einem anhaltend starken Anstieg geben die Verbraucherpreise dank der restriktiven Maßnahmen der Regierung inzwischen im Jahresverlauf etwas nach. Das Risiko einer platzenden Immobilienblase hängt weiterhin über dem Bankensektor, da knapp 20% seiner gesamten Kreditvergabe auf den Immobilienmarkt entfallen.

Zusammenfassend sind die Risiken für den aus solventen und hochprofitablen Staatsbanken bestehenden Bankensektor (auf etwa die Hälfte der gesamten Aktiva entfallen nur wenige notleidende Kredite) trotz dieser Schwächen lediglich moderat – mit Ausnahme kleinerer Banken. Auch die Risiken für die öffentlichen Haushalte, die über umfangreiche Aktiva verfügen und im Notfall auf hohe Wachstumsraten und Ersparnisse zurückgreifen können, sind nur moderat. Tatsächlich bestehen die stärksten Bedenken hinsichtlich einer harten Landung des Immobiliensektors, der Chinas Wirtschaftswachstum wegen seines hohen Anteils an den Anlageinvestitionen und am Stahlverbrauch beeinträchtigen würde.

Kontakt: c.witte[at]delcredere.eu

17 replies on “China muss neue Wege gehen”

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