China kommt wieder zurück auf den Markt. Angesichts sinkender Neuinfektionszahlen werden in den Fabriken die Lichter wieder angeschaltet, die Einzelhandelsgeschäfte öffnen ihre Türen, und die Verbraucher wagen (zaghaft) den Schritt nach draußen.

Auch wenn die weltweite Covid-19-Epidemie noch nicht zu Ende ist, hat China der Wirtschaft eine schrittweise Rückkehr zur Normalität ermöglicht. Das wird direkte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität auf der ganzen Welt haben.

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China konnte bereits seit Dezember 2019 Erfahrungen mit Covid-19 sammeln. Daher ist die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Landes für Deutschland und die ganze Welt von großem Interesse. Es ist eine Entwicklung, aus deren Erfolgen und Fehlern Lehren gezogen werden können für Deutschlands eigenen Weg aus dem Lockdown.

Darüber hinaus wird der Aufschwung Chinas direkte Auswirkungen auf die Produktion, die Importnachfrage und die Wirtschaftsleistung Deutschlands haben und somit dessen wirtschaftliche Erholung prägen. China ist ein Knotenpunkt zahlreicher globaler Lieferketten: Das Land ist ein Primärproduzent von Hightechkomponenten, ein wichtiger Abnehmer von Rohstoffen und Industrieprodukten sowie der größte Verbrauchermarkt der Welt.

Für Deutschland ist China der größte und wichtigste Handelspartner. Im Jahr 2019 betrug das Handelsvolumen mehr als 200 Mrd EUR. Chinas verringerte Produktionskapazität im ersten Quartal 2020 bedeutete, dass wichtige Fertigungsbereiche für die Elektronik-, die Computer- und die Textilbranche wegfielen und die globalen Lieferketten – auch wenn sie nicht zum Stillstand gekommen sind – zweifellos deutlich gebremst wurden.

Doch China kommt nun wieder zurück auf den Markt. Angesichts sinkender Neuinfektionszahlen werden in den Fabriken die Lichter wieder angeschaltet, die Einzelhandelsgeschäfte öffnen ihre Türen, und die Verbraucher wagen (zaghaft) den Schritt nach draußen. Gespräche mit den Kunden der Deutschen Bank in China lassen darauf schließen, dass 90% von ihnen jetzt wieder den Betrieb aufnehmen – wenn auch noch nicht auf dem Vorkrisenniveau. Der offizielle Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe (PMI) deutete im März 2020 auf einen leichten Anstieg der Fertigungsaktivitäten hin, auch im April 2020 lag der Index über der Schwelle von 50 Punkten.

Wie sieht also die Zukunft der chinesischen Wirtschaft und der globalen Lieferketten aus – und welche Auswirkungen haben diese auf Europa? Wie reagiert das Finanzsystem in Bezug auf die lebenswichtige Bereitstellung von Finanzierungen, um den Motor des internationalen Handels anzukurbeln?

Anpassungen in den Wertschöpfungsketten

Die Auswirkungen der Pandemie haben merklich Einfluss auf Geschäftsmodelle und Lieferketten genommen. Der wirtschaftliche Stillstand erhöhte die finanzielle Belastung der chinesischen Unternehmen und zwang viele dazu, sich dynamisch anzupassen, die veränderte Nachfrage zu erkennen und sich darauf einzustellen. Insbesondere mit dem Rückgang der internationalen Nachfrage konzentrierten sich viele der traditionellen Exporteure Chinas wieder stärker auf den Inlandsmarkt, auf dem die Nachfrage nach bestimmten Produkten zu steigen begann. Dies spiegelt sich auch in einem allgemeinen Rückgang der Außenhandelsaktivitäten wider. Sie sanken laut Zollbehörde im ersten Quartal 2020 in Landeswährung um 6,4%.

„Anpassen und liefern, wo die Nachfrage ist” wurde während der Pandemie zum Schlagwort erfolgreicher Unternehmen. Viele stellten die Produktion um, so dass sie völlig neue Produkte wie Kinderspiele, Masken und medizinische Geräte auf den Markt bringen konnten. Parallel zu ­diesem Trend haben Unternehmen versucht, ihre Lieferketten abzusichern. Dabei stellten einige Unternehmen fest, dass sie nicht in der Lage waren, die für die Produktion erforderlichen Teile zu beschaffen, selbst wenn die Fabriken personell besetzt waren. Um dieses Problem zu lösen, haben viele begonnen, sich von „Just-in-time“-Produktionsmodellen abzuwenden, bei denen der Lagerbestand auf ein Minimum beschränkt wird und Teile erst zu dem Zeitpunkt geliefert werden, in dem sie benötigt werden. Insbesondere größere Unternehmen bauen Lagerbestände auf und legen Richtlinien zum Halten von Lagerbeständen fest, um weiteren Angebotsschocks vorzubeugen. Ausreichende Lagerbestände werden als entscheidend für die Aufrechterhaltung einer nachhaltigen Produktionslinie angesehen.

Aus dem gleichen Grund versuchen Unternehmen auch, ihre Lieferantenbasis zu diversifizieren und mehrere Lieferanten für die gleichen Teile einzubeziehen. Dies soll die Lieferketten widerstandsfähiger machen, so dass zumindest verhindert werden kann, dass die Produktion ganz zum Stillstand kommt, sollte ein Lieferant außer Gefecht gesetzt werden.

Anstoß zur Veränderung

Grenzschließungen und die Konzentration auf die Binnennachfrage haben sich natürlich auf das globale Handelsvolumen und damit auch auf die Nachfrage nach Handelsfinanzierungen ausgewirkt. Doch da die Risikominderung heute wichtiger denn je ist – denn sowohl Importeure als auch Exporteure spüren den Druck auf ihren Cashflow und ihre Geschäftsaktivitäten –, bleibt die Verfügbarkeit von Produkten zur Risikoabsicherung sowie zur Handelsfinanzierung von entscheidender Bedeutung.

Chinesische Importeure, die ihre Produktion aufgrund fehlender Komponenten nicht fortführen konnten, waren auf zusätzliches Working Capital angewiesen, wie beispielsweise kurzfristige Darlehen und die Finanzierung von Forderungen, um sich über Wasser zu halten. Und selbst jene Unternehmen, deren Produktion weiterhin aufrechterhalten werden konnte, sind unterdessen Zahlungsverzögerungen seitens der Endkunden ausgesetzt. Auch hier können Handelsfinanzierungen die Auswirkungen abmildern, wobei traditionelle Instrumente wie Akkreditive und Garantien beispielsweise entscheidend zu Risikominderung beitragen.

Für deutsche Unternehmen dürfte sich eine ähnliche Situation wie in China abzeichnen. Wenn es um das Management von Working Capital geht, bleiben Flexibilität und Anpassungsfähigkeit die Schlüsselthemen. Maßnahmen zur sozialen Distanzierung stellen neue und erhebliche Barrieren für den weltweiten Handel dar, was eine weitere Anpassung – wie eine beschleunigte Umstellung auf digitale Prozesse – erforderlich macht.

China hat bekanntermaßen komplizierte und papierbasierte Exportprozesse, was Schwierigkeiten birgt, wenn die Kurierdienste außer Betrieb sind oder von der Nachfrage überfordert werden. Das Risiko besteht darin, dass der physische Austausch von Dokumenten in die Prozesse der Handelsfinanzierung eingebettet ist und in vielen Ländern die Verwendung elektronischer Handelsdokumente weiterhin juristisch nicht anerkannt ist.

Der Wandel ist bereits im Gange, wenn auch branchenweit nur langsam, wobei in den vergangenen Jahren immer mehr digitale Lösungen und Plattformen entstanden sind. Angesichts der aktuellen Umstände, die durch den Covid-19-Ausbruch entstanden sind, erkennen Unternehmen, Regulierungsbehörden und Finanzdienstleister jedoch zunehmend die Notwendigkeit, diesen Übergang weg von papierbasierten Prozessen zu beschleunigen.

Dies wird von Industrieorganisationen wie der Internationalen Handelskammer (ICC) gefördert, die vor kurzem eine Reihe von Leitfäden zur Unterstützung der Geschäftskontinuität herausgegeben hat – darunter insbesondere Ratschläge zur Änderung der ICC-Regeln und Erklärungen an Regierungen und Regulierungsbehörden, in denen diese aufgefordert werden, jedes gesetzliche Verbot der Verwendung elektronischer Handelsfinanzierung aufzuheben.

Die Digitalisierung ermöglicht es, eine Reihe von Prozessen zu rationalisieren und zu verbessern, um die Effizienz des gesamten Handelszyklus zu erhöhen. In China wurden auf nationaler Ebene Initiativen ergriffen, um die Handhabung von Dokumenten zu erleichtern, und auch das Interesse an blockchainbasierten Technologien nimmt zu.

Es bleibt die Frage, wie solche Plattformen und Prozesse auf grenzüberschreitender Ebene ausgeweitet werden könnten, während unterschiedliche oder hinderliche Rechts- und Regulierungsrahmen bestehen bleiben.

Eines haben die vergangenen Monate nicht nur in China gezeigt: Die Digitalisierung wird durch die Coronakrise enorm beschleunigt, Unternehmen weltweit haben die Notwendigkeit erkannt, ihre Geschäftsmodelle und -prozesse auf ­Effizienz zu überprüfen, um zusätzliche Erträge und Kosteneinsparungen realisieren zu können. Wenn Unternehmen und die Finanzindustrie den Wandel annehmen, werden sie aus dieser Krise unversehrt und vielleicht sogar gestärkt hervorgehen.

carmen.chan@db.com

dirk.lubig@db.com

ulf-peter.noetzel@db.com

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