Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran, die Anforderungen an die Marktteilnehmer hinsichtlich vollautomatisierter ­End-to-End-Prozesse nehmen kontinuierlich zu. Auch alle Bankdienstleistungen werden davon beeinflusst. Die Digitalisierung ­erfordert Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette: vom Einkauf bis zum Verkauf. International tätige Unternehmen können dabei Plattformlösungen für Finanzierungen nutzen.

Von Maria Henritzi, Produktspezialistin Trade Finance, Deutsche Bank AG

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Im Rahmen der physischen Supply-Chain stehen Unternehmen bereits auf allen Ebenen digitale Technologien zur Verfügung. Unternehmen erkennen Bedarfe frühzeitig, erstellen Szenarien und können innerhalb der Logistik Teile synchron liefern. Aber um gemeinsam als Unternehmen und als Bank erfolgreich zu sein, sind ein aktives Management der Standards und Schnittstellen, eine End-to-End-Integration sowie die Allokation zwischen der physischen und der finanziellen Wertschöpfungskette unerlässlich. Allerdings gibt es eine große Anzahl von Bezeichnungen für diese Produkte entlang der Wertschöpfungskette, und es ist daher wichtig, im Vorfeld die Begriffe eindeutig zu definieren.

Finanzierung weltweit

Banken müssen heute in der Lage sein, Lieferanten und Abnehmer auf der ganzen Welt auf ihre elektronischen Plattformen aufzunehmen und mit Finanzierung zu unterstützen. Nur über diese Vernetzung können Kunden entlang der finanziellen Supply-Chain optimal versorgt werden. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) definiert in ihrem „Supply Chain Finance: EBA European Market Guide“ vom Juni 2014 den Begriff Supply-Chain-Finance (SCF) wie folgt: Demnach umfasst SCF den Einsatz von finanziellen Instrumenten, Methoden und Technologien, um das Working-Capital-Management und die Liquidität, die in der Supply-Chain gebunden ist, zu optimieren. SCF ist ein Oberbegriff, der viele finanzielle In-strumente und Geschäftsmöglichkeiten miteinander vereint. Es sind dies einerseits die bestätigte Verbindlichkeit der Unternehmen, aber andererseits auch der Forderungsankauf mit Factoring und Forfaitierung. Weitere Sonderformen sind die Vorfinanzierung vor Lieferung, die traditionellen Trade-Finance-Produkte sowie „Clean Payments“.

Wird heute von SCF gesprochen, sind hauptsächlich Reverse-Factoring oder „Dynamic Discounting“ gemeint; beide basieren auf der Tatsache, dass die Rechnung von einem großen Käufer bestätigt ist und somit als Sicherheit für die Rückzahlung der Finanzierung dient.

Die Erwartungen der Marktteilnehmer sind hoch, dass SCF sich bald nicht nur mit den Zahlungen auf offene Rechnung kombinieren lässt, sondern alle Varianten in einer Plattform abbilden kann. Banken sollen diese Effizienzvorteile für die Unternehmen durch ihre verbesserte IT-Infrastruktur zusätzlich begünstigen. Zwar befindet sich SCF immer noch im Entwicklungsstadium hinsichtlich der Vernetzung der Möglichkeiten. Aber es ist davon auszugehen, dass die bestehenden Technologien die finanziellen Prozesse unterstützen und somit vielfältige Möglichkeiten im SCF-End-to-End-Prozess eröffnen werden.

Mehr Klarheit über die Bedeutung von Supply-Chain-Finance

SCF ist in der Literatur in den 90er Jahren erstmals beleuchtet worden. Mittlerweile gibt es drei Modelle, um SCF zu beschreiben. So gibt es ein eher lokales nationales Modell, das auch als Reverse-Factoring bezeichnet wird. Damit wird im Rahmen einer Drei-Wege-Vereinbarung Mehrwert für Banken, Lieferanten und Käufer ge-schaffen. Vereinfacht dargestellt, kauft die Bank Forderungen der Lieferanten mit rechtlichem Rückgriff auf den Käufer. Dieser Service wurde anfangs nur in der Automobilindustrie gefördert. Aber nach und nach sind weitere Industriebereiche, wie die Pharmabranche sowie die Lebensmittelindustrie, dazugekommen.

Hinter dem Modell verbirgt sich, dass ein großes Unternehmen seine Zahlungsziele so weit wie möglich ausweitet und somit seinen Lieferanten die eigenen Forderungslaufzeiten verkürzt. Der Preis dafür wird auf Basis des vermeintlich besseren Kreditratings des Käufers festgelegt und schafft für den Lieferanten eine zusätzliche, meist günstigere Finanzierungsquelle.

Ein weiteres Modell ist die Ausdehnung dieser Finanzierungsmöglichkeit auf zusätzliche Unternehmen im internationalen Bereich. Dafür eignet sich eine Plattform, die in der Lage ist, die Markteilnehmer international zu vernetzen. Das Modell der eigenen Plattform erfährt bei unseren Kunden eine große Akzeptanz, dadurch werden im Rahmen der Lieferantenfinanzierungsprogramme mittlerweile bis zu 100.000 Rechnungen pro Kunde jeden Monat auf die Plattform zur weiteren Verarbeitung hochgeladen.

Allerdings gibt es nach der Finanzkrise 2008 gerade für kleinere und mittlere Unternehmen heute wieder viele Möglichkeiten der günstigen Refinanzierung, und daher ist die Teilnahme an den SCF-Programmen der Banken eher zurückhaltend. Die Ausweitung des Services im Ausland erfordert die Präsenz im Land, um die regulatorischen Vorschriften hinsichtlich des KYC-Prozesses optimal zu begleiten. Hier verzögern rechtliche Hürden und unterschiedliche Compliance-Standards oftmals die Aufnahme neuer Kunden. Im Inland können die notwendigen Informationen für den KYC-Prozess relativ schnell beschafft werden. Das internationale Reverse-Factoring wird weiterhin traditionelle Trade-Finance-­Produkte beinhalten und lässt die Kombination zwischen Forderungsankauf und Lieferantenfinanzierung erst noch eingeschränkt zu.

Finanzielle Technologien werden es künftig ermöglichen, die Finanzierung über den Einsatz digitaler Marktplätze zu vermarkten. Dies ist auch getrieben durch die Tatsache, dass es aufgrund der Beteiligung kleinerer und mittlerer Unternehmen notwendig wird, andere Lösungen für neue Mitbewerber am Markt anzubieten. Fintechs spielen dabei eine wichtige Rolle am Markt und schaffen durch Softwareanwendungen für den Einkauf und die Rechnungsverarbeitung einen elek-tronischen und teilautomatisierten Purchase-to-Pay(P2P)-Prozess und bieten neue Finanzierungslösungen an.

Das dritte, aber erst zukünftige Modell wird meines Erachtens eine integrierte Working-Capital-Plattform bilden, auf der die Technologien aus dem Cash-Management mit den Instrumenten von Trade-Finance kombiniert werden. Dies macht es den Unternehmen zukünftig möglich, die Auftragsüberwachung darüber zu steuern sowie die Rechnungen als „E-Invoices“ elektronisch abzugleichen. Die Zahlungsverkehrssysteme werden dann mit einer End-to-End-Finanzierungslösung mit internationalem Reverse-Factoring verbunden sein. Allerdings werden die digitalen Dokumente nicht in allen Ländern als rechtsverbindlich angesehen. Es gilt, dabei die Richtigkeit und Echtheit der Transaktionen zu schützen.

Wahrnehmung von SCF in den Unternehmen

Viele Unternehmen denken seit der Finanzkrise darüber nach, das in der Supply-Chain gebundene Kapital zur Eigenfinanzierung zu nutzen. Allerdings sind in manchen Unternehmen die Bereiche Treasury, Einkauf und Verkauf nicht mit-einander vernetzt, so dass es oftmals einfacher ist, bestehende Kreditlinien zu nutzen. Das Unternehmen stellt bei der Untersuchung nach den wirtschaftlichen Vorteilen oftmals keine Finanzexperten für die Evaluierung ab, daher bleibt der Informationsgrad in Unternehmen hinsichtlich der finanziellen Supply-Chain weiterhin gering.

Allerdings bildet genau dieses Wissen für Unternehmen die Voraussetzung dafür, eine verbesserte Produktionsplanung mit gesunkener Lagerdauer möglich zu machen. In der Produktion entstehen mit neuer Sensorik intelligente Logistiklösungen (CPPS; Cyber Physical Production Systems). Die Vernetzung der finanziellen Supply-Chain mit der physischen Produktplanung, einer Vorschau der Kundennachfrage, der Lagerverwaltung sowie der Vertriebsplanung bietet weitere Ansatzmöglichkeiten. Die Vertriebsplanung, die bis jetzt Akkreditive und Garantien managte, erhält die Möglichkeit, Zahlungsströme festzulegen oder das FX-Hedging zu planen. Eine bessere Produktplanung stimuliert dann wiederum die Finanzierungsnachfrage.

Auf Bankenseite erfordert die Integration der digitalen Systeme eine leistungsfähige Bankenkommunikation, die Deutsche Bank ermöglicht diese über EBICS, H2H (Host to Host) und Swift. Der Firmenstempel (Corporate Seal Solution) wird diese Entwicklung weiter unterstützen. Die meisten Banken und Systemhersteller haben ISO 20022 als strategische Lösung in ihre Produktpalette aufgenommen. Die größte Herausforderung der Banken liegt darin, das eigene Servicemodell an die geänderten Anforderungen und die Erwartungshaltung der Kunden anzupassen. Der nächste Technologieschub ist unaufhaltsam.

maria.henritzi@db.com

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