Die Vereinten Nationen und die Europäische Union haben in den vergangenen Wochen und Monaten kaum Schritt halten können mit der Ausweitung der Demokratiebewegung in den muslimischen Ländern Nordafrikas. So sind in rascher Folge Embargos gegen bestimmte Personen/Personengruppen und Unternehmen, die den alten Machthabern nahestehen, in Tunesien, Ägypten und ­Libyen verhängt worden. Derzeit stehen vergleichbare Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien an.

Von Dr. Lothar Harings, Rechtsanwalt und Partner, Graf von Westphalen

Während die Sanktionen gegen Tunesien und Ägypten Auswirkungen hauptsächlich auf die Finanzbranche hatten, ist von den durch die Verordnung (EU) Nr. 204/2010 (so die offizielle Bekanntmachung, richitg wohl Verordnung (EU) Nr. 204/2011) verhängten Sanktionen gegen das libysche Regime eine Vielzahl von Unternehmen betroffen. Der Grund dafür ist, dass europäische Unternehmen, allen voran Erdölhandelsgesellschaften, aber auch eine große Anzahl an Zulieferern für die Erdölindustrie sowie Engineering- und Consultingfirmen, geschäftliche Verbindungen zur Ölindustrie nach Libyen unterhalten und umgekehrt der libysche Staatsfonds in eine Vielzahl europäischer Unternehmen investiert hat.

Insbesondere die Listung des libyschen Staatsfonds, der Libyan Investment Au­thority, und der National Oil Corporation (NOC) durch die Verordnung (EU) Nr. 288/2011 hat zu spürbaren Auswirkungen in den Handelsbeziehungen zwischen der EU und Libyen geführt; daneben sind weitere Ölgesellschaften und Banken des Landes auf die Listen im Anhang der Verordnung gesetzt worden – gegen die gelisteten Unternehmen sind umfangreiche Finanzsanktionen verhängt worden.

Von besonderer Bedeutung im Erdölsektor ist die Listung der National Oil Corporation; die National Oil Corporation Libyens ist über die niederländische Oilinvest Holding an mehren europäischen Unternehmen beteiligt, etwa an der Tankstellenkette Tamoil sowie an mehreren europäischen Raffinerien.

Im Hinblick auf diese Beteiligungen wie auch auf Beteiligungen anderer libyscher Gesellschaften stellen sich mehrere Auslegungsfragen zur Reichweite des Embargos, die um das Stichwort „mittelbares Bereitstellungsverbot“ kreisen: Sämtliche Embargo-Verordnungen sehen ein Verbot vor, gelisteten Personen, Organisationen oder Unternehmen unmittelbar oder mittelbar wirtschaftliche Ressourcen zukommen zu lassen („Bereitstellungsverbot“). Von einem sogenannten „mittelbaren Bereitstellungsverbot“ spricht man dann, wenn wirtschaftliche Ressourcen (etwa Zahlungen, Lieferungen) nicht an ein gelistetes Unternehmen selbst, sondern an ein von dem gelisteten Unternehmen beherrschtes anderes Unternehmen fließen, etwa eine Tochtergesellschaft, die mehrheitlich im Besitz des gelisteten Unternehmens ist. Die Praxis der Genehmigungsbehörden, etwa im Fall des Iran-Embargos, geht dahin, in solchen Fällen in der Regel einen Verstoß gegen das mittelbare Bereitstellungsverbot anzunehmen.

Diesbezüglich enthält nun die Libyen-­Verordnung, die Verordnung (EU) Nr. 204/2010 vom 2. März 2011, eine rechtsstaatlich wünschenswerte Klarstellung, durch die der ausufernden Annahme eines mittelbaren Bereitstellungsverbots entgegengetreten wird: Art. 6a der Verordnung stellt klar, dass nicht gelistete Unternehmen, an denen gelistete Unternehmen eine Beteiligung halten, ihre rechtmäßigen Geschäfte weiterführen können, sofern sie die Verbote der Verordnung (EU) Nr. 204/2010 beachten. Dies bedeutet, dass die bloße Mehrheitsbeteiligung eines gelisteten Unternehmens allein nicht ausreicht, um das nicht gelistete Tochterunternehmen in den Anwendungsbereich des Embargos einzubeziehen.

Nach der Praxis des BAFA gilt die Klarstellung allerdings nur für in der EU ansässige Unternehmen, von denen anzunehmen ist, dass sie die Verbote der einschlägigen Embargo-Verordnung befolgen. Dies kann etwa durch zusätzliche organisatorische Maßnahmen, wie die Bestellung eines unabhängigen Beauftragten, der die Einhaltung der Bestimmungen überwacht, sichergestellt werden. Unternehmen, die bereits über ein funktionierendes Compliance-System und entsprechende Strukturen verfügen, sind dies­bezüglich im Vorteil.

Kontakt: l.harings[at]gvw.com

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