Die EU-Kommission hat am 28. September 2016 einen Vorschlag für eine Neufassung der Dual-Use-Verordnung veröffentlicht, mit dem die Regeln zur Kontrolle von Dual-Use-Gütern und -Technologie grundlegend überarbeitet werden sollen. Gegenstand der Neuregelung ist vor allem eine stärkere Kontrolle von Überwachungssoftware sowie von technischen Unterstützungen und Dienstleistungen auf EU-Ebene.
Von Marian Niestedt, Rechtsanwalt und Partner, Graf von Westphalen
Zudem sollen die politischen Verhältnisse in Zielländern im Rahmen der Exportkontrolle stärker berücksichtigt werden. Mehrfach nennt die EU-Kommission in ihrem Vorschlag den Schutz von Menschenrechten explizit als Grund für Exportkontrollen. Der Kommissionsvorschlag wurde in englischer Sprache und zudem im Änderungsmodus veröffentlicht. Letzteres erleichtert den Abgleich mit den derzeit geltenden Regelungen in der Verordnung (EG) Nr. 428/2009.
Ziele der Neuregelung
Ziel der Modernisierung ist zum einen eine Harmonisierung und Vereinfachung der Vorschriften zu Dual-Use-Gütern. Insbesondere dient der Vorschlag aber zum anderen der Verschärfung der Ausfuhrkontrollen für bestimmte Güter und Technologien, die sowohl zivilen Zwecken dienen als nach Auffassung der Kommission auch für Menschenrechtsverletzungen, terroristische Handlungen oder die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden können.
Neue Definition von „Dual-Use-Items“
Der Entwurf führt daher eine neue Definition von Dual-Use-Gütern ein: Bislang umfasste die klassische Definition Güter und Technologien, die sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke nutzbar sind (z.B. bestimmte Chemikalien, Maschinen, Technologien und Werkstoffe). Von dieser klassischen Definition rückt der Vorschlag der Kommission nun ein Stück weit ab. Nach der neuen Definition werden ausdrücklich „Cyber-Überwachungstechnologien“ einbezogen, die zur Verletzung von Menschenrechten genutzt werden können. In diesem Punkt geht der Entwurf der EU-Kommission über vergleichbare Regeln wie das Wassenaar-Abkommen oder die deutsche Außenwirtschaftsverordnung hinaus. Die „Cyber-Überwachungstechnologien“ werden wiederum in Art. 2 Abs. 21 des Kommissionsvorschlags definiert. Die Liste von Beispielen möglicher „Cyber-Überwachungstechnologien“ wurde darin zwar gegenüber dem ersten internen Vorschlag der DG Trade vom Mai 2016, der Gegenstand der Inter-Service-Konsultationen innerhalb der Kommission war, gekürzt. Da die Liste aber nicht abschließend ist, ist damit nicht zwingend eine Eingrenzung des Anwendungsbereichs verbunden.
Neue „Catch all“-Klauseln und strengere Kontrollen bei der Ausfuhr von Überwachungssoftware
Mit ihrem Vorschlag bezweckt die Kommission eine stärkere Kontrolle der Ausfuhr von Überwachungstechnologie und -software. Durch den neuen Aspekt der „menschlichen Sicherheit“ („human security“) sollen Verstöße gegen Menschenrechte im Zusammenhang mit bestimmten Technologien für digitale Überwachung verhindert werden. Das Aufkommen etwa von speziell entwickelter Überwachungstechnologie für Überwachungsstellen und von Systemen für Vorratsspeicherung macht aus Sicht der Kommission Regelungen unerlässlich, nach denen die EU-Mitgliedstaaten Ausfuhren unterbinden können, wenn Hinweise auf einen Missbrauch dieser Ausfuhren für die Verletzung von Menschenrechten, zu internen Repressionen oder für einen bewaffneten Konflikt bestehen. Zudem wird der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten beim Thema Überwachungssoftware ausgeweitet: Zukünftig können Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, Auskünfte über erteilte Genehmigungen vertraulich an die anderen Mitgliedstaaten weiterzuleiten.
Die Einführung neuer sog. „Catch all“-Klauseln stellt dabei eine einschneidende Änderung dar. Solche Klauseln hatten bereits in der Vergangenheit zur Folge, dass die Ausfuhr nicht gelisteter Dual-Use-Güter und -Technologien genehmigungs- bzw. unterrichtungspflichtig war, sofern der Ausführer Kenntnisse über eine Verwendung etwa für militärische Zwecke in einem Land hatte, das von der EU mit einem Waffenembargo belegt ist, oder er seitens des BAFA über eine entsprechende Verwendung unterrichtet worden war. Die Kommission führt nun weitere Tatbestände ein: Eine Ausfuhrlizenz soll etwa auch dann erforderlich sein, wenn der Ausführer von der zuständigen Behörde unterrichtet worden ist, dass Güter für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden können. Die „Catch all“-Klausel in der mit dem Kommissionsvorschlag vorliegenden Fassung ist insofern kritisch zu sehen, als die Klausel keine weitere Einschränkung im Hinblick auf bestimmte Güter oder Länder vorsieht. Zwar verfolgt die Kommission mit dem Schutz der Menschenrechte eine durchaus begrüßenswerte Intention. Allerdings ist eine solche „Catch all“-Klausel von den Unternehmen in der Praxis kaum umzusetzen, insbesondere nicht im Rahmen automatisierter Abläufe. Eine manuelle Prüfung sämtlicher Vorgänge ist im heutigen Massengeschäft für viele Unternehmen dagegen nicht mit vertretbarem Aufwand durchführbar. Es fehlen klare Vorgaben, welche Güter in Betracht zu ziehen sind, insbesondere aber auch eine Definition, was z.B. unter einer „serious violation of human rights“ zu verstehen ist. Dagegen hätte die Anwendung länder- oder produktbezogener Regelungen den Wirtschaftsbeteiligten griffigere Kriterien an die Hand gegeben. Die „Catch all“-Klausel im Verordnungsentwurf unterscheidet sich insofern auch maßgeblich von den Vorschriften der deutschen Außenwirtschaftsverordnung, die ihrerseits nur einen bestimmten, eng umgrenzten, Länderkreis bzw. bestimmte Waren betreffen, so dass sich eine entsprechende unternehmensinterne Kontrolle auch umsetzen ließ.
Die damit verbundenen Prüfungspflichten werden dadurch verschärft, dass eine Unterrichtungspflicht seitens des Ausführers für nicht gelistete Dual-Use-Güter und -Technologien nicht erst bei positiver Kenntnis ausgelöst wird, sondern bereits, wenn Kenntnis bei Anwendung bestehender Sorgfaltspflichten („under his obligation to exercise due diligence“) besteht. Eine vergleichbare Regelung findet sich bereits in der Allgemeingenehmigung EU002, die mit der Änderungsverordnung 1232/2011 in die Dual-Use-Verordnung eingeführt wurde. Wie diese Sorgfaltspflichten ausgestaltet sind, wird aber nicht konkretisiert. Sollte es bei dieser Regelung bleiben, wären von der Kommission klare Leitlinien dazu zu fordern, welchen Sorgfaltsmaßstab die Unternehmen zu beachten haben. Im Regelfall dürfte aber bereits der begründete Verdacht einer verbotenen Nutzung der nicht gelisteten Dual-Use-Güter im Zielland die Unterrichtungs- und damit auch eine Genehmigungspflicht auslösen. Für die Unternehmen dürfte das einen erhöhten Prüfungsaufwand bedeuten, um das Risiko von Verstößen zu reduzieren. Es müssten ggf. entsprechende Prozesse implementiert werden, was gerade für kleinere und mittlere Betriebe gravierende Auswirkungen hätte.
Stärkere Kontrollen bei technischer Unterstützung und Dienstleistungen
Die Novelle der Kommission sieht darüber hinaus vor, die Erbringung technischer Unterstützung und von Dienstleistungen stärker zu kontrollieren. Bisher wurden die Kontrollen von den Mitgliedstaaten weitestgehend aufgrund nationaler Vorschriften durchgeführt. Die Kommission möchte für die Kontrollen nun zumindest europaweite Standards festlegen. Zudem sollen die politischen Verhältnisse in den Zielländern nicht nur bei der Ausfuhr von Überwachungssoftware umfassender beachtet werden.
Extraterritoriale Bezüge bei Handels- und Vermittlungsgeschäften
Bemerkenswert ist auch eine neue Definition des „Brokers“ in Art. 2 Abs. 7 des Entwurfes, mit der die Kommission die Umgehung von Exportkontrollbestimmungen verhindern will. Von den Regeln zu Handels- und Vermittlungsgeschäften würden demnach insbesondere auch solche juristischen Personen (Tochtergesellschaften) außerhalb der EU erfasst, die im Eigentum einer in der EU ansässigen Person stehen oder von dieser kontrolliert werden. Der Begriff der „Kontrolle“ ist aus den Leitlinien der Kommission im Sanktionsbereich bekannt. Diese Leitlinien stellen zwar eine Reihe von Kriterien zur Beurteilung der Kontrolle durch die Muttergesellschaft auf, in der Praxis ist dies aber häufig mit Unsicherheiten verbunden.
Neue Allgemeingenehmigungen und Gültigkeitsdauer
Neu ist in dem Verordnungsentwurf auch, dass sowohl Individualgenehmigungen als auch Sammelausfuhrgenehmigungen bzw. Globalgenehmigungen künftig in der EU einheitlich nur ein Jahr gültig sein sollen.
Der Entwurf enthält aber auch begrüßenswerte Regelungen: So schlägt die Kommission vor, neue EU-weit geltende Allgemeingenehmigungen einzuführen, insbesondere für Ausfuhrlieferungen innerhalb eines Konzerns (Intra-Company-Transfers von Software und Technologie, EU008) und für Verschlüsselungstechnologie (EU009). Die neue EU009 ginge dabei von ihrem Anwendungsbereich über die derzeit noch national geltende AG16 hinaus. Weitere Allgemeingenehmigungen sind in dem Vorschlag für geringwertige Sendungen (EU007) und „andere Dual-Use-Güter“ wie Frequenzumwandler (EU010) vorgesehen. Eingeführt werden soll auch eine besondere Genehmigung für Großprojekte (z.B. Bau eines Atomkraftwerks).
Verbringungen innerhalb der EU
Ebenfalls revidiert werden sollen die Regelungen für die Verbringung von bestimmten gelisteten Gütern innerhalb der EU. Zum einen wird der Kreis der Güter in Abschnitt B des Anhangs IV erweitert. Zum anderen ist aber in Abschnitt A die Möglichkeit einer Allgemeingenehmigung für alle in Abschnitt B gelisteten Güter vorgesehen, die die Registrierung des Verbringers vorsieht.
Das weitere Verfahren
Dem Kommissionsvorschlag sind umfangreiche Konsultationen mit Verbänden und den nationalen Verwaltungen der Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren vorausgegangen. Nach der Verabschiedung des Vorschlags durch die Kommission ist die Neufassung der Dual-Use-Verordnung bereits dem EU-Parlament und dem Rat zugeleitet worden, um von beiden Organen gemeinsam im Gesetzgebungsverfahren verabschiedet zu werden. Die Kommission beabsichtigt, den Entwurf zudem parallel in verschiedenen Foren der Zivilgesellschaft vorzustellen und mit dieser zu diskutieren. Wann mit einer endgültigen Fassung der neuen Dual-Use-Verordnung zu rechnen ist, ist derzeit noch nicht absehbar. Zu rechnen ist mit einem Gesetzgebungsprozess, der circa eineinhalb bis zwei Jahre dauern könnte. Während dieses Gesetzgebungsprozesses wird es sicher noch zu Änderungen des Kommissionsvorschlages kommen. Eine bestimmte Richtung lässt sich aber gleichwohl ableiten. Zu wünschen ist, dass am Ende für die Unternehmen handhabbare Regeln stehen. Exportierende Unternehmen sollten den weiteren Gesetzgebungsprozess, auch über ihre Verbände, aktiv beobachten und sich ggf. rechtzeitig prozessseitig auf mögliche Änderungen einstellen.
Infolge der im Jahr 2015 im Rahmen der internationalen Nichtverbreitungsregime und der Ausfuhrkontrollvereinbarungen angenommenen Änderungen der Kontrolllisten wird noch vor der Neufassung der Dual-Use-Verordnung eine Änderung von deren Anhang I erforderlich. Dazu soll voraussichtlich im November 2016 eine weitere Delegierte Verordnung der Kommission in Kraft treten, die verschiedene Änderungen der Liste der Güter mit doppeltem Verwendungszweck enthält. Dies betrifft die zu überwachenden Parameter, die technischen Definitionen und Beschreibungen sowie die Streichung oder Hinzufügung von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck. Die Änderungen der Liste der Güter mit doppeltem Verwendungszweck in Anhang I erfordern gleichzeitig Folgeänderungen der Anhänge IIa bis IIg sowie von Anhang IV.
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