Seit Beginn der Coronapandemie ist die Zahl der Home-Office-Stunden weltweit stark gestiegen. Wenn Home-Office zur Normalität wird und Millionen von Menschen rund um den Globus nicht mehr jeden Tag in die Metropolen pendeln, was hieße das für das Forderungsrisiko im Firmengeschäft? In welchen Branchen steigen dann die Unsicherheiten?
Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)
Weltweit wurden bis Anfang November 2020 mehr als 47 Millionen Infektionen mit dem Coronavirus registriert. Die weiter steigenden Ansteckungszahlen intensivieren auch den Trend des mobilen Arbeitens in den Industrienationen. Das stellt exportierende Unternehmen vor Herausforderungen, da die Auswirkungen in diversen Branchen zu spüren sind. Denn das erste Fazit fällt nach gut einem halben Jahr bei vielen Unternehmen überwiegend positiv aus. Global Player wie Google und SAP verlängern das Arbeiten von zu Hause offiziell bis Mitte 2021. Umfragen des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und des ifo instituts zeigen, dass zahlreiche Firmen sich vorstellen können, auch nach der Coronakrise an einer Ausweitung der Telearbeit festzuhalten. Forscher der Universität Chicago gehen davon aus, dass 20% der bisherigen Präsenzarbeitszeit ins Home-Office verlagert wird.
Die vergangenen Monate verdeutlichten vielen Firmenchefs, dass Home-Office für mehr Aufgaben funktioniert und somit effizienter ist, als sie vor der Covid-19-Pandemie angenommen haben. Nur wenige Unternehmen dürften zum noch alten Präsenzmodell zurückkehren wollen. Kaum eine Firma erlitt ernsthafte Produktivitätseinbußen durch das mobile Arbeiten.
Durch diesen Trend werden sich die Geschäftsaktivitäten örtlich stark verschieben. Das führt vor allem in denjenigen Branchen zu zunehmenden Unsicherheiten, deren Umsätze von den zahlreichen Pendlern in die Städte und der Vermietung von Büroarbeitsplätzen abhängen. Wie stark das Forderungsrisiko bei Geschäften mit diesen Unternehmen steigt, ist von Abnehmer zu Abnehmer sicher unterschiedlich. Der Prozess wird den Druck in mehreren Branchen insgesamt jedoch erheblich erhöhen – in einigen je nach der zukünftigen Entwicklung der Covid-19-Fälle auch schon kurz- bis mittelfristig.
Home-Office für alle: Vermieter von Gewerbeimmobilien, institutionelle Investoren und Gastronomen werden die Folgen spüren
Die seit Monaten verwaisten Schreibtische haben in vielen Unternehmen das Controlling auf den Plan gerufen, um zu analysieren, ob es in Zukunft überhaupt noch notwendig ist, für jeden Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz bereitzustellen und dafür entsprechende Flächen anzumieten. Gerade bei großen Unternehmen liegen die jährlichen Mietausgaben häufig in Millionenhöhe. Hier verbirgt sich enormes Einsparpotential. In der Folge dürften zahlreiche Firmen ihre bestehenden Mietverträge in den kommenden Jahren kündigen bzw. Teile der Flächen abgeben.
Den Trend weg von einem festen Arbeitsplatz pro Mitarbeiter gibt es nicht erst seit März. Die Pandemie hat ihn aber noch einmal beschleunigt. Diese Entwicklung wird – sofern kein profitables Nachnutzungskonzept für die leeren Flächen vorliegt – die Erträge von Büroimmobilienfonds erheblich schmelzen lassen.
Leidtragende dieser Entwicklung sind außer Privatanlegern zahlreiche institutionelle Investoren, die auf die Anlagegewinne angewiesen sind. Zu ihnen zählen unter anderem Banken, Versicherungen und Investment- und Kapitalgesellschaften. Bei ihnen könnten teilweise erhebliche Liquiditätslücken entstehen.
Dauerhaft weniger gewerbliche Nutzung hieße auch dauerhaft weniger Nachfrage und geringere Umsätze für Kantinenbetreiber. Das Insolvenzrisiko dürfte sich bei einem solchen Szenario in kurzer Zeit stark erhöhen. Ebenso werden dann bei vielen Restaurants erhebliche Liquiditätsmängel auftreten und zu einem hohen Insolvenzrisiko führen. Die Coronapandemie und die Ausweitung des Home-Office reduzierten die Zahl der Geschäftsessen und -reisen erheblich. Dienstgespräche und Verhandlungen werden vermehrt über Videokonferenzen oder telefonisch durchgeführt – ganz gleich, ob im In- oder Ausland. Auch hier besteht Einsparungspotential, was wiederum zu erhöhten Unsicherheiten für die internationale Hotelbranche führt, die von den Geschäftsreisenden lebt. Die Fluggesellschaften spüren die rückläufigen Zahlen von Geschäftsreisenden ebenfalls massiv.
Als weitere Folge hat das Arbeiten von zu Hause die Digitalisierung von Büroprozessen beschleunigt, z. B. wird Druckerpapier in geringeren Mengen benötigt. Dadurch verstärkt sich der Druck auf die Papierindustrie weiter. Atradius hatte bereits 2019 auf beträchtliche Insolvenzrisiken hingewiesen.
Folgt dem Ende der Krawatte auch das Aus von Bekleidungsanbietern?
Auch der Bedarf an Bürokleidung wie Anzügen, Krawatten oder Businesskostümen sinkt. Dies wiederum wirkt sich erheblich auf Anbieter aus, die einen hohen Umsatzanteil mit Businesskleidung erzielen. Unter allen deutschen Branchen bewertet Atradius die Textilbranche derzeit als diejenige mit dem höchsten Insolvenzrisiko. Die Bruttowertschöpfung dürfte 2020 um 13% gegenüber 2019 zurückgehen, nachdem sie bereits in den vergangenen Jahren gefallen war.
Bei einem flächendeckenden Home-Office-Szenario wird sich auch die Zahl an Pendlerkilometern erheblich verringern. Das wiederum belastet die Automobilbranche, die sich bereits seit rund zwei Jahren in einer schwierigen Situation mit erhöhtem Insolvenzrisiko bei zahlreichen Zulieferern befindet. Ende 2019 war Atradius schon von einem deutlichen Anstieg der Insolvenzen in der deutschen Automobilbranche ausgegangen. So würde sich der Druck zusätzlich erhöhen, zum Beispiel auch auf Werkstätten und Tankstellen.
Weniger Menschen in den Innenstädten heißt weniger Umsätze in den Fußgängerzonen
Auch bei den Einzelhandelsgeschäften werden erhebliche Folgen spürbar werden, sollte ein Großteil der Arbeitnehmer künftig hauptsächlich von zu Hause aus arbeiten. Zusätzlich schwächen würde dies vor allem jene stationären Einzelhändler, die über keinen Onlinevertriebskanal verfügen und von den Lockdown-Maßnahmen bereits schwer getroffen wurden. Das „neue Arbeiten“ könnte zahlreiche, in den Städten etablierte Wertschöpfungsketten unterbrechen. Das wird sich mittelfristig auch auf das Zahlungsrisiko bestimmter Branchen auswirken.
Nur verantwortbare Risiken eingehen
In der aktuellen Situation empfiehlt es sich, nur verantwortbare Risiken einzugehen. Unternehmen sollten vor Abschluss von Geschäften auf Rechnung die Abnehmer individuell auf mögliche Zahlungsrisiken hin prüfen lassen. Als einer der international führenden Kreditversicherer unterstützt Atradius dabei und vergibt – je nach Ausfallrisiko – Versicherungsschutz in entsprechender Höhe. Auf diese Weise etabliert das Unternehmen eine Frühwarnfunktion, mit der sich Zahlungsausfälle häufig vermeiden lassen.
Kommt es dennoch zu einem Schaden, sichert Atradius die Liquidität von Lieferanten und Dienstleistern, indem der Kreditversicherer Forderungsausfälle in der Regel bis zu einer Höhe von 90% ersetzt. Bei zu unsicheren Abnehmern sollten Lieferanten und Dienstleister auf Bar- oder Vorauszahlungen bestehen.
Weitere Analysen von Atradius finden Sie auf unserer Website www.atradius.de im Menüpunkt Publikationen.