Nach den Protesten der deutschen Regierung gegen Datensammlungen der NSA ist Bahnbrechendes geschehen: Im Dezember 2013 erklärte ein U.S. District Court diese Datensammlungen für verfassungswidrig, und gleichzeitig legte eine Expertengruppe dem ­US-Präsidenten ­Empfehlungen für die Reform der Arbeit des US-Verfassungsschutzes vor. Am 17. Januar 2014 unterschrieb der US-Präsident einen Erlass, mit dem ein Teil dieser vorgeschlagenen Reformen umgesetzt wird. Was bedeutet dies konkret?

Von PD Dr. Harald Hohmann, Rechtsanwalt, Hohmann Rechtsanwälte

Im Außenwirtschaftsrecht geht es um die schwierige Balance zwischen den Freiheitsrechten der Exportwirtschaft einerseits und den berechtigten Gemeinwohlbelangen des Staates anderseits, dazu zählt u.a. die Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und von Terroraktivitäten. Es ist evident, dass die staatlichen Exportbehörden teilweise davon abhängig sind, hierfür die notwendigen Informationen von Verfassungsschutzbehörden zu bekommen, um etwa beurteilen zu können, ob bei einzelnen Firmen das Risiko von Umgehungsgeschäften und von Proliferation besteht.

Allerdings liegt die Kunst darin, dass die Verfassungsschutzbehörden nur dann tätig werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für Terror- oder Proliferationsaktivitäten bestehen – dann entspricht dies dem Gemeinwohl. Wenn sie jedoch von allen Bürgern wahllos sämtliche Kommunikationsdaten sammeln und auf Jahre auf Vorrat speichern, ohne dass hierfür eine konkrete staatliche Berechtigung besteht, ergeben sich erhebliche Legitimationsprobleme: Das Datenschutzrecht verlangt, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Vorrang hat, wenn keine Rechtfertigung für diese Datenverarbeitung besteht (Dabei gibt es auch überraschende Parallelen zwischen Außenwirtschafts- und Datenschutzrecht: Das Einstellen von entsprechenden Inhalten in das grenzüberschreitende Intranet bzw. Internet bedarf nach dem Exportkontrollrecht und dem Datenschutzrecht der EU einer Rechtfertigung.).

Die heftigen Proteste der deutschen Regierung gegen die umfassenden Datensammlungen der NSA zeigen, dass die USA bisher ein anderes Verständnis bzgl. eines Anspruchs auf Achtung der persönlichen Privatsphäre hatten, weil für sie Sicherheit und die Bekämpfung des Terrorismus nach 09/11 bisher immer Vorrang hatten. Dies wird sich nun langsam grundlegend ändern.

Nach den Erfahrungen der NS-Zeit war für die deutsche Verfassung klar, dass der Anspruch auf Achtung der Menschenwürde und auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 1 und 2 GG) – und damit auch auf Achtung der Privatsphäre – zentrale Grundrechte sind. Angesichts der Gefahren des Missbrauchs der elektronischen Datenverarbeitung wurden diese Grundrechte zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung konsequent weiterentwickelt: Jeder Bürger sollte jederzeit wissen, wer wann was bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Daraus leiteten sich zahlreiche Anforderungen des deutsch-europäischen Datenschutzrechts ab.

Einen gleichartigen expliziten Grundrechtsartikel sucht man in der US-Verfassung vergebens, weil hier aufgrund anderer historischer Traditionen die Achtung der Privatsphäre (und damit auch der Datenschutz) eine geringere Rolle spielte. Der Anspruch auf Achtung der Privatsphäre kann allenfalls dem Fourth Amendment entnommen werden, in dem es wie folgt heißt: „The right of the people to be secure in their persons, houses, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures shall not be violated.“ Anfangs war klar, dass dieser Artikel mit dem Begriff „search“ nur dann eine Rolle spielen sollte, wenn es darum ging, dass der Staat physisch in das Eigentum eines Bürgers eindringen wollte.

In Gerichtsentscheidungen der Jahre 1967 und 1979 ging man erstmals der Frage nach, ob hiermit auch die Achtung der Privatsphäre gemeint sein sollte. Dies sollte nur dann bejaht werden, wenn der subjektive Anspruch auf Achtung der Privatsphäre objektiv gerechtfertigt war. In der Entscheidung des Jahres 1979 wurde explizit gesagt, dass die Bürger keine „legitime Erwartung von Privatheit“ bzgl. von ihnen gewählter Telefonnummern geltend machen können, weil sie ­selber diese Informationen an Telefon­gesellschaften weitergegeben hätten. Diese andere Grundrechtstradition kann vielleicht besser erklären, warum solche Datenexzesse bei der NSA möglich waren, die erst durch Edward Snowden aufgedeckt wurden.

Im Dezember 2013 kam es zu zwei sich widersprechenden Urteilen von District Courts bzgl. dieser Aktivitäten der NSA: Während am 27. Dezember ein District Court die Rechtmäßigkeit bescheinigte, kam ein anderer District Court am
16. Dezember zum gegenteiligen Ergebnis: In diesem bahnbrechenden Urteil, für das eine Berufung zugelassen wurde, wurde bescheinigt, dass einer Entscheidung heute ganz andere Maßstäbe zugrundegelegt werden müssen als im Jahr 1979: Mit der massenhaften Speicherung sämtlicher Metadaten (Information, welche Telefonnummer angerufen wurde, wann der Anruf stattfand und wie lange der Anruf dauerte) nach dem Patriot Act sind Orwell’sche Überwachungsmöglichkeiten bereits deswegen möglich, weil heute die Anzahl der Telefon- und Handynutzer und die technischen Auswertungsmöglichkeiten extrem gestiegen sind. Da diese Metadaten von der NSA von praktisch allen Bürgern unabhängig von einem Anlass gespeichert und genutzt worden sind, ohne die Notwendigkeit hierfür nachweisen zu können, sei die „legitime Erwartung von Privatheit“ des Klägers auch objektiv zu schützen.

Gleichzeitig legte eine vom Präsidenten beauftragte Expertengruppe am 12. Dezember ein Buch mit 46 Empfehlungen zur Reform des US-Verfassungsschutzes vor. Auch in diesen Empfehlungen wird betont, dass bei der Tätigkeit der NSA die Balance zwischen der Gewährleistung von Sicherheit und dem Schutz der bürgerlichen Rechte (wie dem Anspruch auf Schutz der Privatsphäre) besser gelingen müsse. Mehrere dieser Vorschläge sind dann vom US-Präsidenten am 17. Januar 2014 aufgegriffen worden.

Dieser Erlass kann wie folgt zusammengefasst werden: Alle Datenspeicherungen des US-Verfassungsschutzes müssen durch einen Erlass des Präsidenten gerechtfertigt sein, was nur der Fall sein kann, wenn es um die Gewährleistung der Sicherheit der USA und ihrer Alliierten geht, nicht aber, wenn es um die Unterdrückung politischer Meinungen oder um Wirtschaftsspionage bzgl. ausländischer Geschäftsgeheimnisse geht; dabei soll Verhältnismäßigkeit eine große Rolle spielen.

Bezüglich der Vorratsdatenspeicherung werden sich die USA zunehmend Restriktionen auferlegen, die dem Schutz der bürgerlichen Rechte dienen sollen; vor allem dürfen diese Daten nur für sechs namentlich genannte Zwecke (bzgl. Spionage, Terrorismus, Proliferation, Cybersicherheit, Personenschutz, Geldwäsche/Embargoverstöße) genutzt werden. Die betroffenen Ministerien sollten mit dem DNI (Director of National Intelligence) jährliche Berichte erarbeiten, um die Prioritäten für die Arbeit der US-Verfassungsschutzbehörden zu überprüfen; es soll die Stelle eines Ombudsmanns eingerichtet werden.

Nicht nur US-Bürger, sondern auch betroffene Ausländer haben Anspruch auf angemessenen Umgang mit ihren Daten, weswegen hierfür mehrere Datenschutzprinzipien gelten sollen; Speicherungen und Übermittlungen sollen streng begrenzt werden auf tatsächlich benötigte Daten; die Datensicherheit, die Datenqualität und die Vereinbarkeit mit anderen US-Werten sollen erhöht werden etc. Gleichzeitig will der US-Präsident für eine Übergangsphase die Speicherung der Metadaten nach dem Patriot Act dahingehend ändern, dass die Speicherung nicht durch den Staat, sondern durch private Dritte (wie etwa Telefongesellschaften) geschehen soll, um den Datenmissbrauch zu begrenzen.

Wenngleich den US-Verfassungsschutzbehörden weiterhin Datensammlungen erlaubt sind, ist angesichts der anderen verfassungsrechtlichen Tradition ein wichtiger Neuanfang in den USA geschehen, weil zum ersten Mal der Grundrechts-eingriff bejaht wurde – mehr war derzeit nicht möglich. Zu erwarten ist, dass es jetzt zu einer stärkeren Zweckbindung dieser Arbeiten der US-Verfassungsschutzbehörden kommen wird.

Nicht jede Bestimmung in diesem Erlass vom Januar 2014 ist bereits sehr präzise, weil vieles erst durch entsprechende Berichte der Ministerien konkretisiert werden soll; und bis zum 28. März soll der Justizminister dem Kongress eine Strategie vorschlagen. Trotz dieser momentanen Vagheit ist damit zumindest verdeutlicht worden, dass US-Verfassungsschutzbehörden hier in Grundrechte von US-Bürgern und z. T. auch von Ausländern eingreifen. Daher ist davon auszugehen, dass die Belange von Sicherheit und Freiheit künftig mittels der Verhältnismäßigkeit stärker ausbalanciert werden.

Schön wäre, wenn auch in Deutschland diese Diskussion über Grundrechte mehr Auswirkungen hätte; so wäre es etwa zu begrüßen, wenn betroffene Exporteure, denen von Exportbehörden wegen geheimdienstlicher Informationen eine Genehmigung verweigert wird, evtl. häufiger Anspruch auf Zugang zu den sie betreffenden Informationen erhalten, ohne dass sich Behörden dabei ohne Not auf § 3 Abs.1 Informationsfreiheitsgesetz berufen.

Kontakt: info[at]hohmann-rechtsanwaelte.com

20 replies on “Grenzen für den US- Verfassungsschutz”

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