Trade Finance ist seit jeher ein papierlastiges und zeitintensives Geschäft. Das Trade-Finance-Netzwerk Marco Polo will den aufwendigen Prozess nun digitalisieren und internationale Banken, Dienstleister und Unternehmen weltweit ziehen mit.
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Zahlreiche Beteiligte, Dutzende Systeme und stapelweise Papier: Trade-Finance-Geschäfte sind komplex und langwierig. Nicht nur Importeure, Exporteure und deren Banken sind an der Abwicklung von Außenhandelsgeschäften beteiligt, sondern unter anderem auch Versicherer, Logistikdienstleister und Zollbehörden.
Sie alle benötigen und liefern für die Geschäftsabwicklung eine Vielzahl von Daten, die sich häufig in separaten Datensilos befinden. Die Übermittlung leidet unter einer großen Zahl an Medienbrüchen und erfolgt zurzeit in aller Regel in Form von Papier, oft über Landesgrenzen hinweg. Das ist zeitaufwendig, produziert eine Vielzahl redundanter Daten und birgt immense operationelle Risiken für alle Beteiligten, häufig sogar Betrug und Fälschung.
Die digitale Weiterverarbeitung der Daten in firmeninternen ERP-Systemen, wie z.B. SAP oder Microsoft Dynamics, macht eine manuelle Überführung der Daten notwendig. Mitarbeiter in Firmen und Banken müssen die Dokumente manuell prüfen und abwickeln. So dauert beispielsweise die Dokumentenprüfung einer Bank mit größtenteils manuellen Prozessen bis zu drei Stunden.
Seit dem Frühjahr zeigt die Coronakrise die Störanfälligkeit analoger Systeme und papierhafter Abwicklung. Insbesondere während des Lockdowns wurden Kuriersendungen nicht ausgeführt, Dokumente steckten in Poststellen fest, konnten nicht bearbeitet werden, weil die Verantwortlichen nicht ins Büro kommen durften, viele Ländergrenzen waren dicht – sogar innerhalb der EU. Niemand kann sagen, wie sich die Covid-19-Pandemie weiter entwickeln wird, doch jetzt schon steht fest: Digitalisierungslösungen werden dringender gebraucht denn je.
Gemeinsame Plattform Marco Polo
Banken weltweit arbeiten schon seit Jahren an Lösungen, wie sie die Prozesse im Trade Finance digitalisieren können. Besonders vielversprechend ist das im Jahr 2017 von zwölf Banken gegründete Trade-Finance-Netzwerk Marco Polo, das auf der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) Corda des Blockchainanbieters R3 basiert. Marco Polo zählt zu den weltweit am schnellsten wachsenden Netzwerken im Trade-Finance-Bereich, verbindet Banken, Unternehmen und Dienstleister in einem Netzwerk. So wird ein zeitgleicher Austausch von Handelsdaten ermöglicht, um die Transparenz der jeweiligen Lieferketten zu erhöhen, effektiv Zahlungen abzusichern und auf einfache Art und Weise Finanzierungen für Lieferanten anzubieten.
Die wesentlichen Treiber für die Entwicklung solch neuer Lösungen auf Basis von DLT und Blockchaintechnologie sind Schnelligkeit, Kosteneinsparungen und Prozessoptimierung für Unternehmen, Banken und perspektivisch auch für weitere Beteiligte der Handelskette.
Unternehmen können dabei auf ein weltweites Bankennetzwerk zurückgreifen. Mehr als 35 international tätige Kreditinstitute aus allen Kontinenten gehören Marco Polo mittlerweile an, das Interesse weiterer Banken wächst.
Die Mitglieder von Marco Polo entwickeln gemeinsam mit dem Technologieunternehmen TradeIX digitale Lösungen so-wohl für Trade Finance als auch für Supply-Chain-Finance. Commerzbank und Landesbank Baden-Württemberg, als Gründungsbanken von Marco Polo, sind maßgeblich an der Entwicklung der Payment-Commitment-Lösung beteiligt, bei der mit Hilfe eines elektronischen Austauschs von Handelsdaten unwiderrufliche Zahlungsversprechen durch Banken generiert sowie Finanzierungen angeboten und abgewickelt werden.
Die manuelle Prüfung von papierhaften Dokumenten wird durch den automatischen Abgleich digitaler Handelsdaten ersetzt. Die Abwicklung des Payment Commitments funktioniert auf folgende Weise: Über das Netzwerk einigen sich Käufer und Lieferant zum Zeitpunkt der Bestellung auf die Daten, die für ein unwiderrufliches Zahlungsversprechen vom Käufer gefordert werden. Auf Basis dieser Vereinbarung beauftragt der Käufer seine Bank mit der Erstellung eines bedingten Zahlungsversprechens zugunsten des Lieferanten. Nach Produktion und Auslieferung der Ware lädt der Lieferant die geforderten Daten im Netzwerk hoch. Es erfolgt ein automatischer Datenabgleich gegen die zuvor vereinbarten Handelsdaten, und nach erfolgreichem Datenabgleich tritt automatisch das unwiderrufliche Zahlungsversprechen in Kraft.
Der Informationsfluss läuft dabei über die Corda-DLT im gesicherten und geschlossenen Bereich zwischen den Handelspartnern und den zugehörigen Banken. Perspektivisch können die Verschiffungsdaten direkt von einem Logistikunternehmen, weitere Daten von Versicherungsunternehmen und anderen Beteiligten der Handelskette hochgeladen werden. Jeder der Beteiligten wird einem Onboarding-Prozess unterzogen und erhält über einen „Node“, einen Blockchainknotenpunkt, Zugang zum Netzwerk, um Daten zu empfangen bzw. einzuliefern.
Praxistest bestanden
Die ersten Pilottranskationen für die Kunden Voith und KSB waren erfolgreich. Im Rahmen der Pilottransaktionen wurden verschiedene Handelsgeschäfte zwischen dem internationalen Technologiekonzern Voith und dem führenden Pumpen- und Armaturenhersteller KSB SE erstmals über Marco Polo abgebildet. Dabei handelte es sich u.a. um die Lieferung von hydraulischen Spezialkupplungen von Deutschland nach China, zum anderen um die Lieferung von Pumpen innerhalb Deutschlands. In einem weiteren Geschäft wurde auch der Logistikdienstleister Logwin AG direkt und in Echtzeit in die digitale Prozesskette eingebunden – ein Meilenstein bei der Erweiterung des digitalen Ökosystems in der Handelsabwicklung.
Nach diesen Pilotgeschäften wurden weitere Transaktionen mit Unternehmen wie z.B. der Schott AG, der Daimler AG, der Vesuvius GmbH und der Dürr AG durchgeführt.
Die Pilottransaktionen wurden parallel zu den wirklichen Handelstransaktionen in einer Testumgebung abgewickelt mit dem Zweck, die Abläufe für die Weiterentwicklung qualitätszusichern und mit den beteiligten Handelspartnern zu validieren.
Für das vierte Quartal dieses Jahres planen LBBW und Commerzbank einen ersten Livegang der Payment-Commitment-Lösung. Beide Banken teilen in der Zusammenarbeit das Ziel, mit Blockchain und weiteren innovativen Technologien die Digitalisierung des Trade-Finance-Geschäfts verstärkt voranzubringen und gleichzeitig weitere Banken und Unternehmen für das Netzwerk Marco Polo zu gewinnen
Vernetzt und transparent
Marco Polo stellt seinen Mitgliedern eine Reihe von Programmierschnittstellen zur Verfügung, sogenannte APIs, mit denen sie ihre ERP-Systeme an die Plattform anbinden können. Genau hier liegt nämlich eine der Stärken des Netzwerks: Jeder kann sein eigenes System nutzen – und es zugunsten einer digitalen End-to-End-Datenübertragung mit Marco Polo verknüpfen.
Die Distributed-Ledger-Technologie er-möglicht eine dezentrale und zeitgleiche Datenübertragung zwischen den Beteiligten des Netzwerks anstelle eines linearen Datenflusses. Das ist für die Abwicklung des Trade-Finance-Geschäfts eine bahnbrechende Innovation mit der Möglichkeit, sukzessive mehrere Beteiligte des Handelsgeschäfts in die Transaktion einzubinden. Daten sind schneller und fälschungssicher verfügbar, die Transparenz der Geschäftsabwicklung steigt, Banken können ihren Unternehmenskunden wirksame Lösungen der Risikoabsicherung und Finanzierung anbieten. Corda, die Blockchaintechnologie des Fintech- konsortiums R3, ermöglicht dem Marco- Polo-Netzwerk, detailliert zu definieren, welche Daten zwischen welchen Beteiligten entlang des Workflows der Transaktion geteilt werden, um die notwendige Integrität im privaten Netzwerk für die jeweils Beteiligten sicherzustellen.
Sicherheit geht vor
Die Distributed-Ledger-Technologie, auf der Marco Polo basiert, ist auch für Unternehmen geeignet, die ihre Daten nicht auf ausländische Server auslagern wollen. Die Technologie gibt jedem die volle Kontrolle über seine Daten. Das heißt, jeder Beteiligte sieht seinen relevanten Ausschnitt der verteilten Datenbank in der IT-Infrastruktur seiner Wahl (siehe Abbildung auf Seite 18). Das macht das Netzwerk auch für kleinere Unternehmen und Mittelständler attraktiv, die so ihre Auslandsgeschäfte sicher und einfach digital absichern können.
Ausblick
Marco Polo ist auf einem guten Weg, doch es gibt noch einiges zu tun. Noch sind aufgrund der Fülle an Systemen und Daten nicht alle Mitglieder technisch in das Netzwerk integriert. Exporteure und Importeure sowie deren Banken können bereits reibungslos Daten austauschen. Künftig sollen auch Logistiker, Versicherer und Behörden ihre Daten einspeisen.
Derweil wächst der Mitgliederpool stetig: Seit Januar 2020 kooperiert das Marco-Polo-Netzwerk mit dem Dienstleister Pole Star, der mit Hilfe von GPS und sogenannten Track-and-Trace-Lösungen die Sendungsverfolgung von Schiffen und Seefracht anbietet. Über Sensoren an den Frachtcontainern könnten zukünftig die Daten direkt ins Netzwerk einfließen und so Lieferanten und deren Geschäftspartner immer genau beobachten, wo sich die Ware gerade befindet.
Im August hat Marco Polo die Kooperation mit dem E-Docs-Anbieter Bolero International veröffentlicht. Das britische Unternehmen bietet die Erstellung und Abwicklung elektronischer Handelsdokumente an. Damit wird es zukünftig die Möglichkeit geben, den digitalen Datenaustausch im Marco-Polo-Netzwerk mit der Weitergabe elektronischer Handelsdokumente zu verbinden und damit einen elektronischen Eigentumsübergang der Ware zu ermöglichen.
Um Trade Finance künftig komplett digital abwickeln zu können, werden einheitliche, globale Standards benötigt. Die ICC hat sich mit der Initiative DSI (Digital-Trade-Standards-Initiative) zum Ziel gesetzt, diese Standards zu entwickeln, um perspektivisch verschiedene Trade-Finance-Netzwerke digital zu verbinden und damit der Bildung einzelner Silos entgegenzuwirken.
Nichtsdestotrotz steigt die Bereitschaft von Banken, Dienstleistern und Unternehmen, schon jetzt digitale Lösungen zu finden. Marco Polo bildet einen wichtigen Baustein auf dem Weg. Das Netzwerk ist ein Türöffner für die Digitalisierung internationaler Handelsgeschäfte mit dem Ziel, Trade Finance im Laufe der kommenden Jahre so kundenfreundlich wie möglich zu machen.
So funktioniert die Distributed-Ledger-Technologie (DLT)
Häufig werden die Begriffe DLT und Blockchain synonym verwendet. Das ist nur bedingt richtig: Blockchain ist lediglich eine Art der Distributed-Ledger-Technologie. DLT ist eine spezielle Form der elektronischen Datenverarbeitung und -speicherung. Das sagt auch schon der Name: Distributed Ledger steht für „verteiltes Kontenbuch“. Unterschiedliche Beteiligte können Informationen in die Datenbank einspeisen, die – abhängig von der jeweiligen Zugangsberechtigung – den Netzwerkmitgliedern direkt zur Verfügung stehen.
Gespeicherte Daten und Transaktionen liegen nicht zentral an einer Stelle, zum Beispiel auf einem Server oder in einer Cloud, sondern bei den Teilnehmern des Netzwerks. So hat jeder die volle Kontrolle über seine Daten. Die Technologie Corda wird insbesondere in der Finanzbranche eingesetzt, da sie Sicherheit, Integrität und Flexibilität der Datenabwicklung ermöglicht.