Die Länder Mittel- und Osteuropas sind gut in das Jahr 2017 gestartet. Trotz der globalen geopolitischen Unsicherheiten und einer langsameren Globalisierung – symbolisiert durch den Brexit und die Ankündigung einer strikteren Handelspolitik der USA – bleibt die wirtschaftliche Entwicklung positiv. Nachdem die Impulse bislang eher vom privaten Verbrauch kamen, dürfte sich im laufenden Jahr auch die Investitionsbereitschaft wieder erhöhen.
Dinko Mehmedagic, Leiter Corporate Banking Coverage Mittel- und Osteuropa,
Deutsche Bank AG
Konjunkturelle Abschwächung 2016
Die Konjunktur in den Ländern Mittel- und Osteuropas zeigte im vergangenen Jahr eine insgesamt schwächere Entwicklung. Das durchschnittliche Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in dieser Ländergruppe verringerte sich auf 2,9%, nach 3,6% im Vorjahr. Das ist das schwächste Ergebnis seit 2013. Gründe dafür waren ein Rückgang der Anlageinvestitionen – der größte seit 2009 – und ein ungünstiges konjunkturelles Umfeld, das sich in einer schwachen Binnennachfrage niederschlug.
Die Entwicklung der einzelnen Länder war durchaus unterschiedlich: So ist die litauische Wirtschaft seit dem dritten Quartal 2014 in einem schnellen Tempo gewachsen. Lettlands Wirtschaft wuchs nach einem Jahr des Rückgangs wieder. Dagegen enttäuschte das Wachstum in der Tschechischen Republik im dritten Quartal, es dürfte sich aber seither verbessert haben. Die Dynamik in Ungarn hat sich dagegen wohl abgeschwächt. Ebenso sank die Wachstumsrate in Polen – der größten Volkswirtschaft der Region – auf ein Dreijahrestief. Die starke Konsumnachfrage der privaten Verbraucher hatte dort keine nachhaltigen Investitionen zur Folge.
Positiver wirtschaftlicher Ausblick für 2017
Basierend auf dem Trump-Effekt, einigen fiskalischen Lockerungen in Europa und den Vorteilen der günstigen EZB-Geldpolitik, wird mit einer Investitions- und Beschäftigungserholung im zweiten Halbjahr 2017 und 2018 in Europa gerechnet. In Mittel- und Osteuropa werden, basierend auf verstärkten Konsumausgaben und einer Erholung der Verfügbarkeit von EU-Mitteln für die meisten Länder im Jahr 2017, Wachstumsraten zwischen 2,5% und 3,5% erwartet. Beide Wachstumsraten übertreffen den EU-Durchschnitt und werden helfen, die Verschuldung der Haushalte zu verringern.
Einige Staaten profitieren auch von der Verbesserung der Kreditwürdigkeit. Moody‘s hat zum ersten Mal seit 2012 sieben Länder der Region mit einem „Investmentgrade“ bewertet, was letztlich die verbesserte Widerstandsfähigkeit der Region gegenüber globalen wirtschaftlichen Herausforderungen durch starke Wachstumsdynamik und relativ umsichtige steuerliche Startpositionen widerspiegelt.
Die Deutsche Bank erwartet stabile Leitzinsen in Mittel- und Osteuropa, rechnet aber in Ungarn mit weiteren unorthodoxen Lockerungsmaßnahmen. Die Nationalbank in Tschechien sucht weiter nach dem richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus dem festen Wechselkurs. Dieser dürfte spätestens erfolgen, wenn sich die Inflationsrate erholt hat, also voraussichtlich im dritten Quartal 2017. Das Wachstum in Polen wird robust bleiben; Investitionen dürften sich ab Anfang 2017 wieder erholen, da mehr Projekte aus EU-Mitteln im Rahmen des neuen Programmplanungszeitraums 2014–2020 finanziert werden, der in die Umsetzungsphase eingetreten ist. Allerdings gibt es in einigen Ländern immer noch einen Mangel an zuverlässiger Infrastruktur, die für eine nachhaltige, positive Entwicklung der jeweiligen Volkswirtschaft unerlässlich ist.
Die Kreditvergabe europäischer Banken hat sich abgeschwächt, was eine Verlangsamung der privaten Inlandsnachfrage in Europa signalisiert. Die Schwäche ist auf eine geringere Nachfrage nach Unternehmensfinanzierungen zurückzuführen, da insbesondere die Nachfrage nach Krediten für Investitionen nachlässt. Die politische Unsicherheit ist außergewöhnlich hoch und hat negative Auswirkungen auf die Investitionsbereitschaft von Investoren, was das Wachstum in Gesamteuropa dämpfen dürfte.
Die FX-Strategen der Deutschen Bank erwarten, dass der Euro-Kurs sich im Laufe des Jahres 2017 gegenüber dem US-Dollar auf 0,95 EUR/1 USD abschwächen wird. Da erwartet wird, dass die Zinsen sukzessive steigen, sollte sich die Rentabilität der Banken verbessern. Dies könnte zu einer stärkeren Kreditvergabe führen, bevor die Zinsen auf ein Niveau ansteigen, welches das Wachstum einschränkt. Die Inflationsrate wird aufgrund der steigenden Energiekosten, des Lohnkostendrucks und sich verändernder Wechselkurse moderat zunehmen.
Für Ungarn wird erwartet, dass der private Verbrauch nach wie vor stabil und 2017 Haupttreiber des Wachstums bleibt – angetrieben durch einen Anstieg der Konsumentenkredite, günstige Beschäftigungsbedingungen und ein besseres Vertrauen. Allerdings wird die Wachstumsstrategie des Landes ohne wichtige Wirtschaftsreformen nicht aufgehen. In dieser Hinsicht haben viele Volkswirtschaften in den letzten Monaten nur sehr wenig Reformdynamik erlebt – obwohl z.B. in Rumänien die Regierung am 31. Januar 2017 Schritte zur Korruptionsbekämpfung unternommen hat.
Geschäftspotential für deutsche Unternehmen
In diesem Monat wurde eine Reihe von Änderungen an den Wachstumsaussichten in Mittel- und Osteuropa vorgenommen, wodurch die Gesamtprognose stabil bleibt. Fünf der elf von Focus Economics befragten Volkswirtschaften haben ihre Projektionen angehoben, darunter Bulgarien, Kroatien und Ungarn. Allerdings wurden vier Länder herabgestuft, darunter die größte Volkswirtschaft der Region, Polen. Die Tschechische und die Slowakische Republik waren die einzigen Volkswirtschaften, deren Wachstumsprognosen ab dem letzten Monat unverändert waren. Für Polen und die Slowakei werden Wachstumsraten von jeweils 3,0% erwartet. Rumänien wird 2017 die am schnellsten wachsende Wirtschaft der Region sein, da das Investitionspotential Rumäniens angesichts seiner robusten Wirtschaftsleistung, des zollfreien Handelszugangs zu den EU-Märkten, der niedrigen Besteuerungssätze und des gestrafften Unternehmensbesteuerungssystems besser genutzt werden wird. Estland und Slowenien sind sicherlich die schwächeren Länder mit bescheidenen Expansionen von 2,3% bzw. 2,5%.
Finanzierung von Projekten
Zur Finanzierung von staatlichen als auch zum Teil privaten Projekten bieten sich u.a. Kredite von multilateralen Institutionen (EBRD, EBI, Weltbank, Entwicklungsbanken), Platzierungen im lokalen und internationalen Kapitalmarkt (Anleihen, Schuldscheindarlehen, Geldmarktpapiere) an, bilaterale und syndizierte mittel- und langfristige Kredite lokaler und internationaler Banken und verschiedene Exportfinanzierungen über kommerzielle Banken mit Unterstützung eines staatlichen Exportkreditversicherers (z.B. Euler Hermes in Deutschland). Vorteile dieser Lösung sind reduzierter administrativer Aufwand (im Vergleich zu multilateralen Institutionen), zum Teil sind sehr lange Finanzierungslaufzeiten möglich (abhängig vom Projekt), und attraktive Finanzierungskosten.
Exportfinanzierungen können ein wichtiges Instrument sein, um das Angebot für den ausländischen Käufer attraktiver zu gestalten. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Kunden maßgeschneiderte Lösungen letztlich je nach ihren Zielen und ihren Herausforderungen benötigen.
Schlussfolgerung
Mittel- und Osteuropa bietet interessante Wachstumsmöglichkeiten für Exporteure u.a. aus Deutschland. Die Investitionen werden 2017 in den meisten Ländern deutlich zunehmen. Verstärkte Verfügbarkeit von EU-Mitteln, hohe Liquidität lokaler Banken, aber auch die Exportfinanzierungen internationaler Banken bieten verschiedene Möglichkeiten der Finanzierung. Neben Projekten öffentlicher Auftraggeber wird es vermehrt auch Investitionen von Privatunternehmen geben, basierend auf stärkerem Wirtschaftswachstum und dem anhaltenden staatlichen Investitionsbedarf.