In Malaysia werden die Wahlen vom 9. Mai 2018 in die Chroniken eingehen. Erstmals wurde die seit Staatsgründung regierende Koalition abgewählt. Der beeindruckende Sieg der Oppositionskoalition sowie die – nicht selbstverständliche – friedliche Machtübergabe haben Malaysia in das internationale Blickfeld gerückt. Die Weltbank sieht in diesem Ereignis eine beispiellose Chance für Veränderungen im Land. Grund genug für eine Bestandsaufnahme – ca. 100 Tage nach dem aus heutiger Sicht „positiven Schock“.
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Ein Blick zurück
Schon vor Ankunft der europäischen Kolonialmächte entstanden im heutigen Westmalaysia Staatswesen, von denen insbesondere das Sultanat Malakka regionale Bedeutung mit Handelsbeziehungen bis nach China und Indien erlangte. Der Handelsplatz Malakka, strategisch günstig an der gleichnamigen Wasserstraße gelegen, wurde 1511 von Portugal erobert, fiel aber 1641 an Holland. Die Briten schließlich erlangten 1795 die Herrschaft über Malakka und bestimmten die Geschichte Malaysias bis zu dessen Unabhängigkeit 1957. Englisch ist daher weitverbreitet und dient primär als Geschäftssprache, obwohl in Malaysia heute noch mehr als 100 verschiedene Sprachen gesprochen werden.
Auf dem Weg zum Industriestaat?
Malaysia ist mit seinen ca. 32 Millionen Einwohnern und einem BIP von ca. 320 Mrd USD ein wirtschaftliches Schwergewicht in Südostasien. Das Schwellenland hat sich erfolgreich vom Rohstofflieferanten zu einem modernen Industriestandort entwickelt. Die Wirtschaft ist stark außenhandelsorientiert und wird von hochtechnologischen und kapitalintensiven Industrien angetrieben, die weiter zügig ausgebaut werden. Malaysia ist reich an Bodenschätzen, einer der größten Palmöl- und Kautschukproduzenten und gehört zu den weltweit führenden Exporteuren von Halbleitern, PC-Peripherie, Audio-, Video-, Klima- und anderen Elektrogeräten.
In den vergangenen Jahren erzielte Malaysia beachtliche Wachstumsraten: 2016 waren es 4,2%, 2017 betrug die Steigerung 5,9%. Für das Jahr 2018 erwartet die Zentralbank „Bank Negara Malaysia“ eine Wachstumsrate von 5,0%. Sie liegt unter dem vor der Wahl prognostizierten Korridor von 5,5%–6,0%, da die Konjunktur aufgrund der erwarteten Anpassungsphase infolge des Regierungswechsels nun etwas schwächer eingeschätzt wird. Bis zum Jahr 2020 will man in die Riege der „High Income Countries“ aufsteigen und den Status eines vollentwickelten Industriestaates erreichen. Die Arbeitslosenquote ist relativ niedrig – seit Jahren unter 4% –, und Malaysia gilt daher als ein Land mit Vollbeschäftigung.
Stabile Partnerschaft mit Deutschland
Das gute Verhältnis zwischen Deutschland und Malaysia basiert vor allem auf den engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Malaysia steht als Handelspartner für Deutschland seit vielen Jahren mit Singapur an der Spitze der ASEAN-Staaten. Das bilaterale Handelsvolumen betrug 2017 ca. 13,8 Mrd EUR (2016: 12,4 Mrd EUR). Wichtigste deutsche Ausfuhrgüter sind: elektronische/elektrotechnische Erzeugnisse, Maschinen, Kraftfahrzeuge, optische und pharmazeutische Erzeugnisse.
Malaysia ist Ziel hoher ausländischer Direktinvestitionen, die von den günstigen Rahmenbedingungen angezogen werden, zugleich aber auch für einen wirtschaftlich stimulierenden Technologietransfer sorgen. Dies gilt auch für die deutsche Industrie, die mit insgesamt über 350 Unternehmen vertreten ist. Deutsche Firmen haben Produktionsstandorte in Malaysia und siedeln dort zunehmend auch ihre regionalen Zentren für Südostasien an.
Sieg der Demokratie – ein Schnitt im politischen System
Malaysia hat eine parlamentarische, konstitutionelle Monarchie als Staatsform und basiert auf einem föderativen Zusammenschluss der elf Staaten auf der malaysischen Halbinsel (Westmalaysia) und der beiden Staaten in Ostmalaysia (im Norden der Insel Borneo). Alle fünf Jahre wird einer der Sultane der Staaten zum König von Malaysia gewählt. Der Sultan von Kelantan, Muhammad V., bestieg im April 2017 als 15. König von Malaysia und für eine Amtsperiode von fünf Jahren den Thron.
Die politischen Parteien orientieren sich im Wesentlichen an ethnischen Gruppen, wobei die „Barisan Nasional (BN)“, eine multiethnische Parteiengruppierung, seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1957 bis Mai 2018 die Regierung stellte. BN ist somit eine der am längsten regierenden Koalitionen der Welt. Die Oppositionskoalition, die im Mai 2018 überraschend die Wahlen gewann und sich „Pakatan Harapan“ nennt, besteht ebenfalls aus einer Parteiengruppierung, u.a. auch aus der vom früheren (und seit Mai 2018 aktuellen) Premierminister Mahathir Mohamad gegründeten Parti Pribumi Bersatu Malaysia (PPBM).
Vollkommen unerwartet und gegen den globalen Trend zum Autoritarismus sagten am 9. Mai 2018 Millionen Malaysier „genug ist genug“ zum Führungsstil und zur Politik des skandalbefleckten langjährigen Premierministers Najib Razak. Mit einem beeindruckenden Wahlsieg erzielte die Opposition mit 50% der Stimmen die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Die seit über 60 Jahren etablierten Machtstrukturen im Land zerbrachen. Das Land hielt kurz den Atem an – doch die bisherigen Machthaber räumten tatsächlich unblutig das Feld. Ein Sieg für die Demokratie!
Zu nah an China?
Die Gründe für die enorme Unzufriedenheit mit der abgewählten Regierung und den daraus resultierenden politischen Umbruch sind sicherlich vielfältig. Im Wesentlichen dürften sie in der zunehmenden, bedrohlichen Staatsverschuldung sowie insbesondere in der Person von Najib Razak sowie dessen Kurs der politischen und wirtschaftlichen Annäherung an China liegen. In der Bevölkerung wuchs die Sorge vor zu hoher Abhängigkeit von der einflussreichen Volksrepublik.
Razaks Umwerben der chinesischen Führung hatte in der Tat massive Investitionen Chinas z.B. im Infrastruktur- und Transportsektor Malaysias zur Folge. Im Rahmen der von China verfolgten „Belt and Road“-Initiative wurden großvolumige Kredite an Malaysia vergeben – letztendlich mit dem Ziel, die Auftragsvergabe an chinesische Firmen zu sichern. Der wirtschaftliche Einfluss Chinas war nicht mehr zu übersehen.
Als ein Beispiel der belastenden Folgen einer zu großen Abhängigkeit vom „Reich der Mitte“ wurde in der öffentlichen Diskussion immer wieder Sri Lanka genannt. Die Insel musste China einen strategischen Hafen im Rahmen eines 99-jährigen Leasingvertrages überlassen, nachdem es seine Schulden nicht zurückzahlen konnte.
Erste Stoppschilder für bestehende Großprojekte
Die neue Regierung will umschwenken. Ein erstes klares Anzeichen für die Neuordnung des außenpolitischen Spektrums betraf das „East Coast Rail Link“-Projekt. Die ca. 700 km lange Schienenstrecke soll die Ostküste Malaysias am Südchinesischen Meer mit den strategischen Schifffahrtsrouten an der Westküste des Landes verbinden. Die Finanzierung wird durch einen Kredit der „China Communications Construction Company (CCCC) sichergestellt. Der neue Finanzminister klärte auf, dass die Kosten des Projekts mit ca. 20 Mrd USD rund 50% teurer seien, als von der alten Regierung behauptet. Das Projekt wurde gestoppt, mit der Begründung, dass die Konditionen neu verhandelt werden sollen. Ist das schon ein deutliches Zeichen für den beginnenden Bruch mit dem bisherigen engen Wirtschaftspartner China?
Ein weiteres Beispiel für ein gestopptes „Megaprojekt“ und das aktive Angehen der hohen Staatsverschuldung durch die neue Regierung ist das „Kuala Lumpur-Singapore High Speed Rail (HSR) Project“ (350 km Schiene mit sechs Zwischenbahnhöfen). Es sollte geschätzt ca. 12 Mrd USD kosten. Die Inbetriebnahme war für 2026 geplant. Alles wurde nun gestoppt, nachdem noch recht kurz vor der Wahl die Verträge unterschrieben worden waren. Die neue Regierung nannte auch hier wieder als Grund die enormen Kosten, die wesentlich höher lägen, als noch von den alten Machthabern angesetzt. Zudem werden nun die Notwendigkeit des Projekts bzw. dessen Wirtschaftlichkeit für Malaysia grundsätzlich in Frage gestellt.
Dennoch: Wachstum für Industrie und Infrastruktur
Schon die bisherige Regierung erstellte für jeweils fünf Jahre „Malaysia-Pläne“. Der aktuelle Plan (2016–2020) gilt als die „Schlussphase“ in der Realisierung der Vision 2020. Das Land soll bis dann sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf politischer, sozialer und kultureller Ebene zu einem vollentwickelten Industrieland transformiert sein. Die neue Regierung scheint sich zudem vor allem der Bekämpfung der Korruption, dem Abbau der Staatsschulden und der Produktivitätssteigerung zu widmen.
Geplante Megaprojekte für die Infrastruktur spielen auch für die neue Regierung eine tragende Rolle für mittel- bis langfristiges Wachstum. So werden trotz teilweise intensiver Kostendiskussionen mehrere Projekte weiterhin verfolgt, u.a. das MRT-II-Projekt (zweite U-Bahn-Linie in Kuala Lumpur) und der 2.100 km lange Pan-Borneo-Highway. Dieser soll die östlichen Bundesstaaten Sarawak und Sabah sowie das Sultanat Brunei verkehrsmäßig verbinden und erschließen.
Zudem hat Malaysia in den wichtigen Industriezentren des Landes (Kuala Lumpur, Penang, Johor) moderne und effiziente Häfen gebaut, die kontinuierlich ausgebaut, modernisiert und instand gehalten werden müssen. Da der Außenhandel zu 95% über den Seeweg abgewickelt wird, stellen die zurzeit 15 internationalen und nationalen Häfen enorm wichtige Einrichtungen dar.
Potential für deutsche Exporte
Chancen für Exporteure und Sublieferanten aus Deutschland bieten sich vor diesem Hintergrund nicht nur im Ausbau der Infrastruktur, sondern vor allem auch im Aus- und Neubau diverser Industrieparks für Hochtechnologie. Malaysia kann in dieser Hinsicht als attraktiver Wachstumsmarkt betrachtet werden, und die staatliche „Malaysian Investment Development Authority“ (MIDA) fördert die Rahmenbedingungen für Investitionen in Verarbeitungsanlagen für „Performance Materials“ und neue/aufstrebende Technologien („Electronics, Battery, LED etc.“).
Der jüngst erfolgte Spatenstich für eine „High-Purity-Alumina“-Verarbeitungsanlage in Johor ist ein Paradebeispiel: ein australisches Unternehmen, das auf Basis von aus Australien importierten Rohstoffen einen Produktionsstandort mit deutscher Technologie und einem deutschen Generalunternehmer in Malaysia baut. Ausschlaggebend für die Standortwahl waren u.a. auch die Lohn- und Produktionskosten, die strategische Lage des Industrieparks in Johor sowie die Nähe zu den Absatzmärkten des Produkts.
Auf einem guten neuen Weg
Malaysia geht momentan durch eine Phase der innen- und außenpolitischen Neuorientierung, verbunden mit wesentlichen Herausforderungen. Diese sind jedoch nicht unüberwindbar, und das „Schwellenland“ investiert weiterhin in Treiber langfristigen Wachstums: Infrastruktur und verarbeitende Industrie. Die insgesamt umfangreichen Projekte erfordern in vielen Fällen den Einsatz internationaler Spitzentechnologie und Dienstleister. Dies sollte auch über die kommenden Jahre Chancen auf Geschäftsmöglichkeiten für Unternehmen aus diversen Branchen eröffnen.
Die KfW IPEX-Bank ist mit einer Repräsentanz in Singapur vertreten und unterstützt die Frankfurter Zentrale im Rahmen der Kundenpflege, Marktbeobachtung und Geschäftsanbahnung in der Region Asien-Pazifik.