Nigeria durchlebt eine schwierige Phase. Die drastisch gefallenen Ölpreise treffen die Wirtschaft hart. Teile des Landes werden von Krieg und Gewalt erschüttert. Doch weckt der im April demokratisch erfolgte Machtwechsel mit der Wahl von Präsident Buhari Hoffnungen auf eine politische Stabilisierung, ein beherzteres Angehen der Strukturreformen und bessere Bedingungen für die Entfaltung des riesigen wirtschaftlichen Potentials des Landes.
Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Credimundi, Member of the Credendo Group
Am 28. März 2015 gewann die Opposition zum ersten Mal in der Geschichte Nigerias eine Mehrparteienwahl. Nach einem deutlichen Wahlsieg (54,5% der Stimmen) übernahm der muslimische Nordnigerianer Muhammadu Buhari im Mai das Amt vom christlichen Südnigerianer Goodluck Jonathan. Die bislang herrschende People’s Democratic Party (PDP) konnte nicht vom traditionellen Amtsbonus profitieren, der in der Vergangenheit häufig zur Manipulation von Wahlen missbraucht wurde. Dagegen überzeugte der All Progressive Congress (APC), ein neuer Zusammenschluss aller bedeutenden Oppositionsparteien, zu dem auch mächtige PDP-Mitglieder aus Unzufriedenheit mit Jonathans Amtszeit übergetreten waren.
Die Polarisierung des Landes in zwei Lager schürte während des Wahlkampfes die Angst der Bevölkerung vor gewaltsamen Ausschreitungen. Doch Jonathan räumte seine Niederlage ein und rief seine Anhänger zur Anerkennung des Ergebnisses auf. Hierdurch wurden die befürchteten Unruhen abgewendet und die politische Lage stabilisiert. Die Nigerianer waren erleichtert, dass die Wahlen überwiegend friedlich und transparent verliefen – ein starkes Signal für die Demokratie in Afrika.
Der ehemalige General und neu gewählte Präsident Muhammadu Buhari war bereits vor 30 Jahren durch einen Militärputsch an die Macht gekommen. Seit der Demokratisierung konnte er jedoch bis zuletzt trotz wiederholter Versuche keinen Sieg an der Wahlurne erringen.
Neue Regierung vor schwierigen Aufgaben
Zahlreiche Korruptionsskandale, offenkundige Vetternwirtschaft und schwierige Lebensbedingungen unter Goodluck Jonathan haben die nigerianischen Wähler weitgehend desillusioniert. Ungeachtet aller religiösen oder regionalen Unterschiede haben sie sich für einen klaren Kurswechsel ausgesprochen. Die herrschende Elite hat den im Norden des Landes wütenden Boko-Haram-Konflikt über Jahre hinweg verharmlost. Auch dies hat Jonathans Ansehen geschadet. Die Hoffnung besteht nun, dass es Buharis technokratischer Regierung gelingen wird, bessere Arbeit zu leisten und das Vertrauen in die nigerianische Regierungsführung wiederherzustellen.
Antikorruptionsmaßnahmen und die Restrukturierung der Armee stehen im Fokus der neuen Regierung. Durch die Verbesserung der Reputation des Landes sollen mehr Investoren angezogen werden und Geldgeber und Handelspartner sich erneut in Nigeria engagieren. Geplant ist auch eine stärkere politische Dezentralisierung.
Die neue Regierung steht vor riesigen Herausforderungen. Die Staatskasse ist aufgrund des kostspieligen Wahlkampfs und des weltweiten Absturzes des Ölpreises weitgehend leer. Das wird unpopuläre Maßnahmen erforderlich machen. Proteste gegen die Regierung, insbesondere im PDP-nahen Nigerdelta, sind somit programmiert. Schon jetzt haben die sporadischen Angriffe von im Delta angesiedelten Milizen auf Öl-/Gaspipelines und ausländische und nigerianische Arbeiter an Intensität zugenommen. Buhari sollte sich darüber im Klaren sein, dass die südnigerianischen Milizen des Nigerdeltas die Stabilität des Landes genauso ernsthaft gefährden könnten wie Boko Haram, wenn sie ignoriert werden und die Regierung den alleinigen Fokus auf die Befriedung des Nordens legt.
Ölreichtum und eine diversifizierte Wirtschaft
Nigeria ist mit 174 Millionen Menschen nicht nur Afrikas größter Markt, das Land ist mit einer Ölförderung von etwa 2 Mio Barrel pro Tag auch der führende Erdölexporteur des Kontinents. Nach der im April 2014 erfolgten „Umbasierung“ bei der Berechnung des BIP durch das Nationale Statistikamt hat Nigeria Südafrika hinsichtlich Wertschöpfung eingeholt und ist somit größte Wirtschaft des Kontinents. Allerdings ist das Pro-Kopf-Einkommen von Südafrika nach wie vor mehr als doppelt so hoch wie das von Nigeria.
Armut ist weit verbreitet und weist eine steigende Tendenz auf. Nigeria liegt im Index für menschliche Entwicklung der UN auf Platz 152 von 187 betrachteten Ländern. Die Jugendarbeitslosigkeit hat die 50%-Marke überschritten. Unterentwicklung und Ungleichheit stellen schwerwiegende Probleme dar, die in diesem großen Land Konflikte und Instabilität schüren.
Die Binnenwirtschaft ist relativ gut diversifiziert. Angetrieben von Binnenkonsum und Nichtölbranchen wie Textilien, Telekommunikation, Immobilien und Landwirtschaft, lag das Wirtschaftswachstum in den vergangenen zehn Jahren bei durchschnittlich 6,7% jährlich. Staatshaushalt und Handelsbilanz sind jedoch in hohem Maße von Einnahmen aus dem Erdölgeschäft abhängig und weisen damit eine erhebliche Anfälligkeit auf. Etwa 60% der Steuereinnahmen sind abhängig vom Ölsektor, und der Ölexport erbringt 75% der gesamten Exporterlöse. Damit ist Nigeria extrem anfällig für Rohstoffpreisschocks, was seit der zweiten Jahreshälfte 2014 im Zusammenhang mit dem Rückgang des internationalen Ölpreises um 50% deutlich zu beobachten ist.
Korruption hemmt Entwicklung
Nigeria verfügt über die zehntgrößten nachgewiesenen Erdölreserven. Experten sind der Meinung, dass die Förderung verdoppelt werden könnte. Korruption und Unsicherheit verhindern jedoch die Entfaltung des Potentials des Öl- und Gassektors. In den Jahren der Militärherrschaft vor 1999 hat ungezügelte Korruption die gesamte Gesellschaft untergraben und insbesondere den Ölsektor durchdrungen. Der gesetzliche Rahmen zur Reformierung des Ölsektors – das Mineralölindustriegesetz (Petroleum Industry Bill – PIB) – wird seit sechs Jahren im Parlament immer wieder aufgeschoben, da einige hohe Amtsträger von der Intransparenz und den Missständen in der Branche stark profitieren.
Ziel des PIB ist es, die staatliche Nigerian National Petroleum Corporation (NNPC), zu restrukturieren, die Transparenz zu fördern und die Steuereinnahmen zu erhöhen. Darüber hinaus sollen Infrastrukturprobleme behoben und Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit Kraftstoffsubventionen beseitigt werden. Illegaler Handel mit gestohlenem Öl schürt die Gewalt, und auslaufendes Öl zerstört die Umwelt in der Förderregion. Das Aufschieben dieser wichtigen Reformen beeinträchtigt seit Jahren die Investitionsbereitschaft. Die Direktinvestitionen sind 2014 auf ein Viertel der Zuflüsse von 2011 geschrumpft.
Ölpreissturz schmerzt
Seit Beginn des Schiefergasbooms in den USA, dem wichtigsten Ölabnehmer Nigerias, konzentriert sich das Land in zunehmendem Maße auf die asiatischen Märkte. Doch die seit Juni 2014 sinkenden Ölpreise und die hinter der Planung zurückbleibende Ölfördermenge offenbaren, wie abhängig die nigerianische Wirtschaft vom Öl ist. Die Wirtschaft wird 2015 Erwartungen zufolge mit 4,8% das niedrigste Wachstum seit über einem Jahrzehnt verzeichnen. Zurückzuführen ist dies auf den starken Rückgang der Exporterlöse, niedrigere öffentliche Investitionsausgaben sowie auf eine Abnahme des Binnenkonsums. Der Ölpreis dürfte in naher Zukunft kaum wieder das Niveau der vergangenen Jahre erreichen. Ein Wandel weg von der Ölabhängigkeit und hin zu wirtschaftlicher Diversität ist dringend geworden.
Nigeria hat die Öleinnahmen während der „fetten Jahre“ ausgegeben und für die mageren Zeiten unzureichend vorgesorgt. 2014 waren die Mittel des staatlichen Ölfonds (Excess Crude Account) von 10 Mrd USD im Jahr 2012 auf lediglich
2 Mrd USD zurückgegangen. Sie reichen nicht ansatzweise aus, um die geringeren Öleinnahmen auszugleichen. Die Regierung sieht sich nun gezwungen, harte finanzpolitische Anpassungen vorzunehmen, wie etwa die Senkung der Staatsausgaben und die Erhöhung der Besteuerung des Nichtölsektors. Dabei bleibt der umfangreiche informelle Sektor außerhalb der Reichweite der Finanzbehörden. Das Haushaltsdefizit soll 2015 unter 3% des BIP bleiben. Dabei wurde der im Haushaltsplan vorgesehene Referenzpreis für Erdöl von 77 USD/Barrel auf 52 USD/Barrel korrigiert.
Naira stark abgewertet
Fallende Exporterträge haben Nigerias Leistungsbilanzüberschuss aufgezehrt. In den kommenden Jahren wird mit einer weitgehend ausgeglichenen Leistungsbilanz gerechnet. Fallende Ölpreise, die wahlbedingte Unsicherheit und rückläufige Investitionsbereitschaft hatten 2014 und Anfang 2015 zu bedeutenden Kapitalabflüssen geführt. Der starke Rückgang der Fremdwährungsbestände setzte die nigerianische Währung Naira massiv unter Druck. Dies veranlasste die Central Bank of Nigeria (CBN) im November 2014, die nigerianische Währung gegenüber dem US-Dollar um 8% abzuwerten.
Gleichzeitig wurde die Geldpolitik gestrafft, um die steigende Inflation, die im Jahr 2015 bei durchschnittlich 11,5% liegen dürfte, zu bekämpfen. Da der Druck anhielt, setzte die CBN Ende Februar 2015 weitere Devisenvorschriften um und erlaubte mit der vorübergehenden Abschaffung des Bietungssystems eine zweite Abwertung. Der Wechselkurs wurde dadurch flexibler, und der Naira verlor noch einmal 20% seines Werts.
Spekulationen und Marktunsicherheit sind nach den Wahlen leicht zurückgegangen. Der Naira hat sich bei etwa 200 NGN/USD stabilisiert. Obwohl bei den Devisenreserven ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen ist, decken diese nach wie vor vier Monatsimporte ab. Sie bieten damit ein angemessenes Maß an Liquidität, wenn sie auch nominell unter 3 Mrd USD gesunken sind.
Zur Abmilderung der negativen Folgen fallender Öleinnahmen sind in diesem Jahr Sparmaßnahmen und eine Fortsetzung der straffen Geldpolitik notwendig. Die neue Regierung muss die Beseitigung von Infrastrukturengpässen (Energieversorgung und Transport) sowie die Durchführung von Strukturreformen wie z.B. die Petroleum Industry Bill in Angriff nehmen. Nur so können ausländische Investitionen erhöht und Wachstumsperspektiven verbessert werden. Entsprechend dürfte die Wirtschaft sich als belastbar erweisen und – ceteris paribus – in den kommenden vier Jahren ein Durchschnittswachstum von 5,4% erreichen.
Niedrige Verschuldung
Aufgrund einer begrenzten Staatsverschuldung wird Nigerias Staatshaushalt als solide und mittel- bis langfristig als tragfähig bewertet. Die Staatsverschuldung im Jahr 2014 lag bei 10,5% des BIP. Mit einer staatlichen Auslandsverschuldung von nur 2% des BIP (überwiegend zu Vorzugsbedingungen) ist Nigeria ein starker internationaler Nettogläubiger. Etwa die Hälfte der gesamten Auslandsverschuldung stammt aus dem Privatsektor.
Der Rückgang der Verschuldungsquoten ist auf die 2005 geschlossene Vereinbarung mit dem Pariser Club zurückzuführen: Nigeria zahlte seinen Gläubigern 12 Mrd USD zurück; ausstehende Zahlungen in Höhe von 20 Mrd USD wurden dem Land erlassen. Seitdem liegt die Auslandsverschuldung stets weit unter kritischen Schwellenwerten, auch wenn sie sich in den vergangenen acht Jahren, nominell gesehen, verdreifacht hat.
Die Überschuldungsgefahr Nigerias dürfte trotz des Drucks auf die Liquidität durch den niedrigen Ölpreis gering bleiben. Es gibt mehr als ausreichend Spielraum, um neue Verbindlichkeiten einzugehen und damit die durch die gesunkenen Öleinnahmen entstandenen Verluste auszugleichen. Gleichwohl dürften die Kosten externer Finanzierung in Verbindung mit der erwarteten Straffung der US-Geldpolitik ansteigen. Aufgrund der relativ offenen Kapitalbilanz Nigerias sind sowohl Regierung als auch Privatsektor in hohem Maße anfällig für die Volatilität auf den internationalen Finanzmärkten. Das Wechselkurs- sowie das Refinanzierungsrisiko dürften trotz der tragbaren Verschuldung kurzfristig ansteigen.
Credimundi stuft das Geschäftsrisiko Nigerias wegen Korruption, institutioneller Schwächen und Abwertungsdruck in die schlechteste Kategorie (C auf einer Skala von A bis C) ein. Das kurzfristige politische Risiko wird aufgrund der sinkenden Liquidität und der regionalen Unsicherheit mit der erhöhten Risikokategorie 4 (auf einer Skala von 1 bis 7) bewertet.
Die ausführliche Länderstudie Nigeria liegt zum kostenlosen Download unter www.credimundi.de bereit.
Kontakt: c.witte@credendogroup.com