Das neue AWG (im Folgenden AWG n.F.), das zum 1. September 2013 in Kraft treten soll, ist verschlankt, klarer formuliert und strukturiert und an einer modernen Terminologie ausgerichtet worden. Wesentliche Änderungen des in seinen Grundprinzipien unverändert gebliebenem AWG sind die Straf- und Bußgeldvorschriften (§§ 17ff. AWG n.F.). Für die tägliche Praxis der Exportwirtschaft dürfte die neu geschaffene Selbstanzeigemöglichkeit im Außenwirtschaftsrecht gemäß § 22 Abs. 4 AWG n.F. von besonderem Interesse sein.
Von Axel Krause, Rechtsanwalt und Diplom-Finanzwirt (Zoll), Graf von Westphalen
Diese neue Vorschrift im AWG n.F. weckt mit Blick auf die langjährig etablierte Selbstanzeige im Steuerstrafrecht zu-nächst hohe Erwartungen, die sie jedoch so nicht erfüllen kann, wie der nachfolgende Beitrag aufzeigen soll.
Der Tatbestand des § 22 Abs. 4 AWG n.F. lautet: „Die Verfolgung als Ordnungswidrigkeit unterbleibt in den Fällen der fahrlässigen Begehung eines Verstoßes im Sinne des § 19 Abs. 2 bis 5, wenn der Verstoß im Wege der Eigenkontrolle aufgedeckt und der zuständigen Behörde angezeigt wurde sowie angemessene Maßnahmen zur Verhinderung eines Verstoßes aus gleichem Grund getroffen werden. Eine Anzeige nach Satz 1 gilt als freiwillig, wenn die zuständige Behörde hinsichtlich des Verstoßes noch keine Ermittlungen aufgenommen hat. Im Übrigen bleibt § 47 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten unberührt.“
Nachfolgend werden Tatbestand und Rechtsfolge des § 22 Abs. 4 AWG n.F. näher untersucht.
§ 22 Abs. 4 AWG n.F. erfordert einen fahrlässig begangenen Verstoß im Sinne von
§ 19 Abs. 2 bis 5 AWG n.F. Hierunter fallen die vielfältigsten Arten von Verfahrens- und Formfehlern, z.B. in Form von Nicht-, Falsch-, Fehlmeldungen/-gestellungen, Offenlegungs- und Unterrichtungsfehlern, bei denen der Unrechtsgehalt so niedrig ist, dass der Verstoß als Ordnungswidrigkeit und nicht als Straftat verfolgt wird (vgl. §§ 78, 79 Außenwirtschaftsverordnung n.F.).
Verstöße nach § 19 Abs. 2 bis 5 AWG n.F. sind sowohl fahrlässig als auch vorsätzlich begehbar. Vorsätzlich begangene Verstöße nach § 19 Abs. 2 bis 5 AWG fallen somit nicht in den Anwendungsbereich der neuen Selbstkontrollanzeige.
Vom Wortlaut her kommt es bei diesem Tatbestandsmerkmal auf eine irgendwie geartete Selbstkontrolle an. Diese könnte z.B. durch das eigene interne Kontrollsystem (entsprechend dem Merkblatt des BAFA zu Internal Compliance Programmes – ICP), die interne Revision oder auch externe Berater, Wirtschaftsprüfer erfolgt sein. Mitunter ergeben sich auch aus rein zufälligen Begebenheiten oder dem Nachfragen von Behörden Anhaltspunkte für mögliche Verstöße, deren Nachkontrollieren durch den Beteiligten dann zur Feststellung eines Verstoßes führt. Im Ergebnis mangelt es diesem Tatbestandsmerkmal an Randschärfe in Bezug auf seine genaue Abgrenzung. Welche Art von „Fremdkontrolle“ nicht von der Vorschrift erfasst sein würde, bleibt unklar.
Zuständige Behörde für Exporte ist in den überwiegenden Fällen das örtlich zuständige Hauptzollamt gemäß § 22 Abs. 3 AWG n.F. und § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Da nach dem Wortlaut keine schriftliche Anzeige erforderlich ist, könnte diese grundsätzlich auch mündlich erfolgen, wovon jedoch aus Beweisgründen abzuraten ist.
§ 22 Abs. 4 Satz 2 AWG n.F. ist zu entnehmen, dass eine „Freiwilligkeit“ der Anzeige gegeben sein muss, die aber entsprechend der Legaldefinition nicht vorliegt, wenn die zuständige Behörde hinsichtlich des Verstoßes bereits Ermittlungen aufgenommen hat. Entsprechend den Vorschriften der Strafprozessordnung und der AO ist das Ermittlungsverfahren eingeleitet, sobald eine Behörde oder ein Beamter eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden straf- oder bußgeldrechtlich vorzugehen, auch wenn der Beschuldigte noch unbekannt ist (vgl. § 397 Abs. 1 AO).
Hierin liegt ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der Behörde einen Spielraum bei dessen tatbestandlicher Auslegung überlässt. Dies dürfte für die Beteiligten in Unternehmen und ihre Berater zunächst eine gewisse Unbekannte und Unsicherheit im Verfahren ausmachen, da für sie regelmäßig nicht im Voraus klar sein wird, ob die Behörde die getroffenen Maßnahmen auch als „angemessen“ im Sinne der neuen Vorschrift betrachtet. Daran ändert sich auch nichts, wenn dieser sogenannte Beurteilungsspielraum der Behörde später im einem gerichtlichen Verfahren vom Gericht voll umfänglich überprüfbar wäre.
Wichtig ist die Feststellung in diesem Zusammenhang, dass mit den Worten „werden“ ein Ereignis (angemessene Maßnahmen zur Verhinderung) in der Zukunft beschrieben wird. Somit kommt es auf eine vorausschauende Prognose durch die Behörde an, ob die Maßnahmen zur Verhinderung eines Verstoßes aus gleichem Grund angemessen sind.
Unbestimmt ist auch, wie eng oder weit das Tatbestandsmerkmal „aus gleichem Grund“ ausgelegt werden kann. Ist z.B. ein Fehler im Datenverarbeitungsprogramm grundsätzlich immer undifferenziert als „gleich“ zu bewerten, oder gibt es ganz unterschiedliche Fehlermöglichkeiten? Das Tatbestandsmerkmal „aus gleichem Grund“ könnte daher die Angemessenheit der Maßnahme je nach enger oder weiter Auslegung durch die Verfolgungsbehörde einschränken.
Gefordert wird offenbar eine prognostizierte Kausalität zwischen der „angemessenen Maßnahme“ und „aus glei-chem Grund“, wodurch Wiederholungen in der Zukunft mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden sollen.
Aus § 22 Abs. 4 AWG n.F. ergibt sich auch nicht, zu welchem Zeitpunkt die angemessenen Maßnahmen als angemessen von der Behörde bewertet werden müssen. Insofern könnte ein Nachbessern von zunächst nicht akzeptierten Maßnahmen im laufenden Verfahren möglich sein. Denkbar wäre es daher, angemessene Maßnahmen noch bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor einem Gericht vortragen zu können.
Von seiner Idee her ist § 22 Abs. 4 AWG n.F. positiv für die Exportwirtschaft in Deutschland, wenn er ein angemessenes Korrektiv für Fälle anbietet, wo es um Arbeitsfehler im tagtäglichen Geschäft geht, die Beteiligten sich grundsätzlich rechtstreu verhalten und Vorkehrungen zur Vermeidung von Verstößen getroffen haben. Handelnde involvierte Personen, beginnend bei Lagerarbeitern, über Sachbearbeiter, Exportleiter, Zollbeauftragte bis zu Geschäftsführern, Vorständen und Ausfuhrverantwortlichen, werden so eher „entkriminalisiert“ und von Bußgeldverfahren und möglichen anschließenden unternehmensinternen Verfahren verschont in Fällen, die z.B. im täglichen praktischen Leben oder auch in Massenverfahren einfach passieren können, wenn auch nicht passieren sollten.
Die Selbstanzeige im Steuerrecht gemäß § 371 Abs. 1 AO ist allgemein anerkannt ein persönlicher Strafaufhebungsgrund („wer … wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht bestraft“), der nur zugunsten desjenigen wirkt, der in seiner Person die Voraussetzungen für die Strafbefreiung erfüllt. Sonstige Folgen der Tat bleiben unberührt (z.B. anschließende verwaltungsrechtliche Disziplinarmaßnahmen gegen Beamte).
§ 22 (4) AWG n.F. ist dagegen nach seinem Wortlaut („die Verfolgung als Ordnungswidrigkeit unterbleibt …“) wohl ein Verfolgungshindernis ähnlich der Verjährung, z.B. gemäß § 31 OWiG („durch die Verjährung werden die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und die Anordnung von Nebenfolgen ausgeschlossen“). Dieses Ergebnis wäre auch sachgerecht, da dadurch die ordnungswidrigkeitsrechtliche Verfolgung aller in die Handlungen involvierten natürlichen oder auch juristischen Personen mit gehemmt wäre. Konsequenterweise sollte gleichzeitig auch die Verfolgung/Anordnung von Nebenfolgen gehemmt sein, die z.B. die Zuverlässigkeit von Personen im Blick haben.
Für Unternehmen ist dies wichtig zu wissen, um sich mit dem eigenen internen Kontrollsystem darauf einzustellen, indem z.B. Prozesse geschaffen werden, die eine Selbstkontrollanzeige zukünftig durch die gezielte Suche und Aufdeckung von unter § 22 Abs. 4 AWG n.F. fallenden, nicht verjährten Verstößen unterstützen. Zu Ende gedacht, bedeutet dies einen gewissen Kulturwandel, da bußgeldbewehrte Verstöße nicht mehr verschwiegen werden bräuchten, sondern vielmehr proaktiv zum Anlass genommen werden könnten, es zukünftig besser zu machen.
Die neue Selbstkontrollanzeige unterscheidet sich heute deutlich von der Steuerselbstanzeige, und die Begriffe sollten daher nicht synonym verwendet werden, um Missverständnisse in Bezug auf Anwendung, Voraussetzungen und Rechtsfolgen zu vermeiden. Die Schaffung einer Selbstkontrollanzeige im Außenwirtschaftsrecht ist grundsätzlich ein erster Schritt in die richtige Richtung und insofern vorteilhaft für alle Beteiligten. Wegen des quasi als Auffangtatbestand weiterhin anwendbaren § 47 OWiG wird die derzeit noch unklare Anwendung der neuen Selbstkontrollanzeige im Außenwirtschaftsrecht vermutlich in der Praxis keinen großen Schaden anrichten.
Umgekehrt werden Unklarheiten in seiner Anwendung und seinen Rechts- und Nebenfolgen zu Lasten seiner aktiven Benutzung von Unternehmen gehen und daher auch keine großen Vorteile für alle Beteiligten generieren. Größere Möglichkeiten liegen daher in einer zukünftig verbesserten, anwendungsfreundlicheren Ausgestaltung dieser Vorschrift, was einen weiteren gesetzgeberischen Schritt in diese richtige Richtung erfordert.
Textkasten: Nachträglicher Einschub im AWG n.F.
§ 22 Abs. 4 AWG n.F. war im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht vorgesehen und ist erst nachträglich – quasi „auf den letzten Drücker“ – im Gesetzgebungsverfahren aufgenommen worden.
Kontakt: a.krause[at]gvw.com
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