Seit einigen Monaten ist in den Medien eine heftige Debatte um Investitionsschutzabkommen entbrannt, angefacht durch die TTIP-Verhandlungen und zusätzlich befeuert durch die 2012 vom schwedischen Energiekonzern Vattenfall gegen Deutschland eingereichte Schiedsklage vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes – kurz ICSID – in Washington. Die Kritik der Medien zielt in erster Linie auf Investor-Staat-Schiedsverfahren, aber auch die Handelsschiedsgerichtsbarkeit bekommt ihre Treffer ab.
Von Prof. Dr. Klaus Sachs, Rechtsanwalt und Partner, CMS Hasche Sigle
Bedauerlich ist insbesondere die Kritik an den Handelsschiedsgerichten, die im internationalen Wirtschaftsverkehr ge-genüber Verfahren vor staatlichen Gerichten einige Vorteile haben. Diese Vorteile sind insbesondere folgende:
die Vertraulichkeit des Verfahrens
die freie Auswahl von fachkundigen Schiedsrichtern
die Flexibilität der Verfahrensgestaltung, einschließlich der Wahl der Verfahrenssprache
die Erlangung schneller Rechtssicherheit durch ein zügiges Verfahren ohne weitere Instanzen
die kraft des New Yorker Übereinkommens vom 10.06.1958 nahezu weltweit sichergestellte Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen
Es mutet daher paradox an, dass viele dieser Vorteile der privaten Schiedsgerichtsbarkeit von den Kritikern der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit dort gerade als Nachteile gewertet werden. Warum ist das so? Die Gründe liegen in den Besonderheiten der Investitionsstreitigkeiten.
In der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit geht es um die völkerrechtlichen Regeln, die dem Schutz ausländischer Investitionen und Investoren dienen. Ihre Rechtsquelle sind bilaterale Investitionsschutzabkommen (sogenannte BITs) sowie Handelsabkommen, die Vorschriften zum Investitionsschutz enthalten, wie z.B. das NAFTA-Abkommen oder der Energiecharta-Vertrag.
BITs sind gewissermaßen eine deutsche Erfindung. Deutschland war das erste Land weltweit, das ein solches BIT abschloss, 1959 mit Pakistan. Wiederholt wurde in den Folgejahren der Versuch unternommen, sich auf ein multilaterales Investitionsschutzabkommen zu einigen. All diese Versuche sind gescheitert. Infolgedessen gibt es heute weltweit mehr als 3.000 bilaterale Investitionsschutzverträge. Deutschland ist auch hier wieder Weltmeister mit 131 ratifizierten bilateralen Investitionsschutzabkommen.
Die Mehrzahl der heute in Kraft befindlichen BITs sieht Streitbeilegungsverfahren durch Schiedsgerichte vor. Sie räumen Investoren unmittelbare Klagerechte gegen den Gaststaat ein. Meistens wird dem Investor sogar die Wahl zwischen verschiedenen Verfahrensarten eingeräumt.
Verbreitetes Verfahren
Die Anzahl solcher von Investoren angestrengten Schiedsverfahren ist seit Ende der 90er Jahre ganz erheblich gestiegen. Wurden im Jahr 2000 weltweit nur 13 neue Verfahren bekannt, waren es im Jahr 2012 schon 50. Weltweit sind bisher insgesamt rund 500 solcher Verfahren anhängig gemacht worden.
Angesichts dieser Zahlen überrascht es, dass die deutschen Medien offenbar erst im Zusammenhang mit dem TTIP-Thema und der Vattenfall-Klage von dieser Entwicklung Notiz genommen haben. Wenn man bedenkt, dass sich deutsche Firmen in den vergangenen 20 Jahren in über 30 Fällen den Investitionsschutz zunutze gemacht (darunter Siemens, Deutsche Bank, E.on, aber auch manche mittelständischen Unternehmen) und Gaststaaten überwiegend erfolgreich verklagt haben, dann mutet der Aufschrei der Empörung über eine nun erstmals gegen Deutschland gerichtete Klage eines Investors – gemeint ist Vattenfall – doch reichlich scheinheilig an.
Das heißt nicht, dass die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nicht reformiert werden muss.
Kritisiert wird vor allem, dass Investitionsschiedsverfahren vertraulich sind, die Öffentlichkeit also weder über die Einzelheiten des Verfahrens noch dessen Abschluss informiert wird. In der Tat sehen die BITs der älteren Generation in aller Regel keine Transparenzregeln vor.
Transparenz notwendig
Die öffentliche Kritik an der mangelnden Transparenz der Verfahren erscheint völlig berechtigt. Im Gegensatz zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit geht es bei Investitionsschiedsverfahren regelmäßig um hoheitliches Handeln und politische Entscheidungen des Gaststaates. Sollte ein Gaststaat tatsächlich seine Pflichten aus einem Investitionsschutzvertrag verletzt haben, kann er zu Entschädigung oder Schadenersatz verurteilt werden. Es geht also letztlich um Steuergelder. Solche Verfahren sollten daher in der Tat nicht im Hinterzimmer geführt werden.
Richtschnur für mehr Transparenz könnten die von der UNCITRAL ausgearbeiteten und seit dem 01.04.2014 geltenden UNCITRAL Transparency Rules sein. Diese sehen eine umfassende Öffnung der Schiedsgerichtsbarkeit vor. Zwar sind diese Transparenzregeln zwingend nur auf solche Verfahren anzuwenden, die auf der Basis von Investitionsschutzabkommen eingeleitet wurden, die ihrerseits nach dem 01.04.2014 abgeschlossen worden sind. Jedoch haben die Parteien eines Verfahrens die Möglichkeit, sich auf die Anwendbarkeit der Transparenzregeln ad hoc zu einigen, im Wege eines Opt-in. Es bleibt abzuwarten, wie häufig dies passieren wird. Interessanterweise sind es in der Praxis bisher sehr viel häufiger die Staaten als die Investoren, die sich gegen eine völlige Transparenz der Verfahren wehren.
Der zweite Kritikpunkt betrifft die völkerrechtlichen Schutzstandards der Investitionsschutzabkommen und insbesondere den Grundsatz der fairen und gerechten Behandlung (Fair and Equitable Treatment, FET). Dieser Standard ist in älteren Vertragstexten nicht weiter konkretisiert. Dementsprechend unsicher war seine konkrete Bedeutung. Vor diesem Hintergrund schlägt die EU-Kommission im Verhältnis zu den USA vor, die mit dem unbestimmten Rechtsbegriff FET verbundene Rechtsunsicherheit durch einschränkende Fallgruppen auszuschließen, wie Denial of Justice oder den Verstoß gegen fundamentale Verfahrensrechte.
Berufungsinstanz heikel
Als letzter Kritikpunkt sei die Forderung nach einer Berufungsinstanz angesprochen. Eine solche gibt es bisher nicht, weder nach den Schiedsklauseln bilateraler Investitionsschutzverträge noch in den existierenden Freihandelsabkommen oder der Energiecharta. Im Rahmen des TTIP wäre die Einführung einer Berufungsinstanz denkbar. Der Vorschlag der EU-Kommission trifft hierzu noch keine abschließende Aussage, sondern schlägt weitere Konsultationen vor. Überlegenswert wäre die Schaffung einer völkerrechtlich fest verankerten ständigen Institution, die eher als Revisionsinstanz denn als zweite Tatsacheninstanz entscheiden würde. Durch eine solche Lösung könnte mehr Kohärenz und folglich mehr Rechtssicherheit in den oft strittigen Grundsatzfragen der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit erreicht werden.
Es gibt aber auch Gründe, die gegen eine solche zweite Instanz sprechen. Zum einen ist es geradezu Wesensmerkmal der Schiedsgerichtsbarkeit, dass sie keinen Instanzenzug kennt. Zum anderen gibt es in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit bereits die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung der Einhaltung von verfahrensrechtlichen Mindeststandards. Schließlich ist zu bedenken, dass eine zweite Instanz die Verfahrensdauer verlängern und die ohnehin sehr erheblichen Verfahrenskosten weiter in die Höhe treiben würde. Wägt man diese Argumente gegeneinander ab, erscheint es im Ergebnis vernünftiger, es bei einer Instanz zu belassen und stattdessen die materiellen Schutzstandards zu präzisieren und damit den Ermessensspielraum der Investitionsschiedsgerichte zu reduzieren.
Abschließend kann man feststellen, dass bei der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit in der Tat Reformbedarf besteht, und zwar sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht. Vorbilder und Instrumente dafür gibt es bereits, sie müssen nur genutzt und weiterentwickelt werden. Das ist auch der Ansatz und der Verdienst des Vorschlags der EU-Kommission zum TTIP. Gerade Deutschland mit seiner starken Exportwirtschaft ist auf den völkerrechtlichen Schutz der von deutschen Unternehmen im Ausland getätigten Investitionen angewiesen.
Kontakt: klaus.sachs[at]cms-hs.com