Die Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union gegenüber Russland entwickeln sich dynamisch weiter. Mit Wirkung zum
06.12.2014 hat die EU jüngst die Rechtsgrundlage des Russland-Embargos geändert und hierbei insbesondere bestehende Unklarheiten bereinigt. Hierbei geht es unter anderem um die Präzisierung der einzelnen Bereiche, die von den Handelsbeschränkungen
im russischen Energiesektor betroffen sind. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die relevanten Änderungen.

Von Dr. Gerd Schwendinger, LL.M. Rechtsanwalt und Partner, Graf von Westphalen und Dr. Matthias Trennt, Rechtsanwalt, Graf von Westphalen

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Einführung

Grundlage der jüngsten Änderungen sind der Ratsbeschluss 2014/872/GASP vom 04.12.2014 und die Verordnung (EU) Nr. 1290/2014 vom gleichen Tage. Hiermit hat die EU die erst im August 2014 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 833/2014 überarbeitet (im Folgenden: „Russland-Embargo-Verordnung“ oder „REV“). Das Russland-Embargo war zwischenzeitlich bereits Mitte September 2014 durch die Verordnung (EU) Nr. 960/2014 erheblich verschärft und ausgeweitet worden. Bei der nunmehr am 05.12.2014 im EU-Amtsblatt veröffentlichten Änderung hat die EU die Grundstrukturen der Wirtschaftssanktionen beibehalten, die bestehenden Regelungen aber ergänzt und präzisiert.

Güter der Erdölindustrie

Der Verkauf, die Lieferung oder die Ausfuhr von Gütern, die für Projekte in der Erdölindustrie verwendet werden, unterliegen weiterhin einer Genehmigungspflicht nach Art. 3 REV. Durch die Verordnung (EU) Nr. 1290/2014 wurden aber zunächst die bisherigen Begrifflichkeiten geändert. Wurde bislang von „Ausrüstung“ oder „Technologien“ für die Ölindustrie gesprochen, beziehen sich die Vorschriften nun begrifflich auf „Güter“. Eine materielle Rechtsänderung geht mit dieser lediglich begrifflichen Umstellung jedoch nicht einher.

Materielle Klarstellungen erfolgten je-doch insbesondere im Hinblick auf die Reichweite der Genehmigungspflichten. Der Genehmigungsvorbehalt bezog sich bislang auf Güter, die zur Verwendung bei der Erdölexploration und förderung in der „Tiefsee“ und der „Arktis“ sowie bei „Schieferölprojekten“ geeignet sind. Wenn hinreichende Gründe zur Annahme bestanden, dass die Güter im Rahmen derartiger Projekte verwendet werden sollen, bestand nach Art. 3 Abs. 5 REV ein faktisches Ausfuhr bzw. Lieferverbot. Diese – in geographischer wie inhaltlicher Hinsicht – unklaren Formulierungen wurden nun geändert.

Erfasste Erdölprojekte

Nunmehr werden Güter erfasst, die für Projekte folgender drei Kategorien geeignet sind:

Erdölexploration und -förderung unter Wasser in Tiefen von mehr als 150 m
Erdölexploration und -förderung im Offshore-Gebiet nördlich des Polarkreises
Projekte, die das Potential haben, Erdöl aus Ressourcen in Ton- und Schiefergesteinsformationen durch sog. Hydrofracking zu gewinnen
Eine Genehmigung ist nunmehr nach der neuen Fassung des Art. 3 Abs. 5 REV zu untersagen, wenn hinreichende Gründe zu der Annahme bestehen, dass die auszuführenden bzw. zu liefernden Güter für ein entsprechendes Projekt bestimmt sind.

Ausnahme für besondere ­Gefahrenlagen

Eine Genehmigung war in diesen Fällen bislang nur für die Erfüllung von Altverträgen möglich (hierzu unten). Mit der jüngsten Änderung wurde eine weitere Ausnahme geschaffen. Wenn der Verkauf, die Lieferung oder die Ausfuhr zur dringenden Abwendung oder Eindämmung eines Ereignisses erforderlich ist, das voraussichtlich schwerwiegende und wesentliche Auswirkungen auf die Gesundheit und die Sicherheit von Menschen oder Umwelt haben wird, kann eine Genehmigung weiterhin erteilt werden. Der Verordnungsgeber weitet hiermit die bereits zum Dienstleistungsverbot nach Art. 3a REV (hierzu unten) bekannte Ausnahme auf die Güter nach Anhang II aus. In „hinreichend begründeten dringenden Fällen“ kann eine Lieferung sogar ohne Genehmigung erfolgen. Erforderlich ist jedoch, dass der Ausführer die zuständige Behörde innerhalb von fünf Arbeitstagen informiert und die Gründe für die Ausfuhr darlegt.

Geographischer Anwendungsbereich

Nach den bislang bestehenden Formulierungen der Russland-Embargo-Verordnung bezog sich der Genehmigungsvorbehalt auf Projekte „in Russland“. Klar­gestellt wurde nunmehr, dass hierbei Russland nicht allein im Hinblick auf sein Staatsgebiet, sondern „einschließlich seiner ausschließlichen Wirtschaftszone und seines Festlandsockels“ aufzufassen ist.

Als „ausschließliche Wirtschaftszone“ (AWZ) gilt im Seevölkerrecht das Gebiet jenseits des Küstenmeeres bis zu einer Erstreckung von 200 Seemeilen ab der sog. Basislinie (daher auch „200-Meilen-Zone“ genannt). In der AWZ kann der Küstenstaat in begrenztem Umfang souveräne Rechte und Hoheitsbefugnisse wahrnehmen, insbesondere das alleinige Recht zur wirtschaftlichen Ausbeutung einschließlich des Fischfangs. Demgegenüber unterscheidet sich der „Festlandsockel“ (auch „Kontinentalschelf“ oder „Kontinentalsockel“ genannt) in zweierlei Hinsicht von der AWZ: Denn er bezieht sich zum einen ausschließlich auf den Meeresboden und untergrund (nicht auf die darüber liegende Wasser oder Luftsäule) und kann zum anderen u.U. über die Ausdehnung der 200-Meilen-Zone hinausragen. Der Festlandsockel gehört ebenso wenig wie die AWZ zum Staatsgebiet des Küstenstaates. Letzterer übt aber über den Festlandsockel souveräne Rechte zum Zweck seiner Erforschung und der Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen aus (insbesondere durch Meeresbergbau/-ölförderung).
Die Genehmigungspflicht für technische Hilfe, Vermittlungsdienste und Bereit­stellung von Finanzmitteln und Finanz­hilfen nach Art. 4 Abs. 3 lit. a) und lit. b)
REV im Zusammenhang mit Gütern des Anhangs II besteht weiterhin. Auch bei dieser Vorschrift wurde klargestellt, dass Russland einschließlich seiner AWZ und seines Festlandsockels erfasst wird. Gleiches gilt hinsichtlich des geographischen Anwendungsbereichs auch für das Dienstleistungsverbot im Erdölsektor nach Art. 3a REV (hierzu unten).

Güterliste in Anhang II präzisiert

Die von dem Genehmigungsvorbehalt gemäß Art. 3 REV erfassten Güter werden weiterhin in Anhang II REV benannt, in dem die Güter unter Verweis auf die Zolltarifnummern, d.h. die Code-Nummern der Kombinierten Nomenklatur (KN), bezeichnet werden. Im Rahmen der Änderungen wurde die Menge der von Anhang II erfassten Güter eingeschränkt, insbesondere indem im Hinblick auf bestimmte Güter die Vorsilbe „ex“ hinzugefügt wurde und/oder ein stärkerer Bezug zum Erdölsek-tor in die Beschreibung der technischen Anforderungen aufgenommen wurde.

Während zuvor uneingeschränkt oszillierende und rotierende Verdrängerpumpen der Positionen 8413 50 KN und 8413 60 KN gelistet waren, sind nunmehr nur noch solche Pumpen dieser KN-Positionen erfasst, die über bestimmte (im Einzelnen in der Warenbezeichnung aufgeführte) technische Eigenschaften verfügen und die „besonders konstruiert [sind] zum Einpumpen von Bohrschlämmen und/oder Zement in Erdbohrlöcher“. Daneben wurden die bislang in Anhang II unspezifisch von den Positionen 8431 3900 KN, 8431 4300 KN und 8431 49 KN erfassten Teile von Maschinen, Apparaten und Geräten auf solche Teile beschränkt, die „erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für auf Ölfeldern eingesetzte Maschinen, Apparate und Gerät“ bestimmt sind.

Dienstleistungen im Erdölsektor

Das nach Art. 3a REV bestehende Verbot für bestimmte Dienstleistungen im Erdölsektor wurde im Hinblick auf die erfassten Projekte im Erdölsektor den Formulierungen von Art. 3 REV angepasst. Statt von Projekten in der Arktis oder Tiefsee und Schieferölprojekten wird nunmehr die Reichweite des Verbots anhand der obengenannten drei Kategorien festgelegt. Der Umfang der erfassten Dienstleistungen bleibt jedoch unverändert. Verboten sind Bohrungen, Bohrlochprüfungen und -messungen, Komplementierungsdienste und die Lieferung spezialisierter schwimmender Plattformen. Diese Dienstleistungen werden nunmehr ausdrücklich als die vom Verbot erfassten „zugehörigen Dienstleistungen“ im Erdölsektor benannt. Diese Klarstellung ist zu begrüßen, da bislang (mit zweifelhafter Begründung) teilweise vertreten wurde, dass auch Dienstleistungen, die lediglich im Zusammenhang mit den in Art. 3a REV genannten Aktivitäten erfolgen, vom Verbot erfasst seien. Angesichts der nunmehr eindeutigen Formulierung, der abschließenden Aufzählung der verbotenen Aktivitäten und der fehlenden Bezugnahme auf die Vorschriften zur technischen Hilfe dürfte es nunmehr (erst Recht) an einer Grundlage für die Ausweitung des Verbots auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit den genannten Aktivitäten fehlen.

Altvertragsklauseln ergänzt

Unter anderem für die Liefer- und Ausfuhrverbote im Hinblick auf
Militär und Rüstungsgüter (vgl. Art. 1 Nr. 2 des Beschlusses 2014/872/GASP zur Änderung von Art. 2 Abs. 4 des Beschlusses 2014/512/GASP) und
-Güter mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use-Güter) für militärische Zwecke/Endnutzer (vgl. Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 2 REV) oder
-Dual-Use-Güter für im zivilen und militärischen Sektor tätige sog. Mischempfänger, die in Anhang IV gelistet sind (Art. 2a Abs. 3 REV),
bestehen Ausnahmen für die Erfüllung von Altverträgen, also solchen Verträgen, die vor dem Inkrafttreten der jeweiligen Verbote abgeschlossen wurden. Relevante Stichtage sind insoweit, je nach Vorschrift, der 01.08. oder der 12.09.2014. Diese Ausnahmen für die Erfüllung von Altverträgen wurden nunmehr auf die Erfüllung von „akzessorischen Verträgen“ ausgeweitet. Hierbei handelt es sich um Verträge, die zur Erfüllung von Altverträgen erforderlich sind. Auch die bestehenden Altvertragsausnahmen

-vom faktischen Ausfuhrverbot für Güter von Anhang II (nach Art. 3 Abs. 5 REV) und
-vom Dienstleistungsverbot im Erdölsektor (Art. 3a Abs. 2 REV) sowie
-vom Verbot für technische Hilfe, Vermittlungsdienste und die Bereitstellung von Finanzmitteln und Finanzhilfen im Zusammenhang mit Militärgütern und/oder Dual-Use-Gütern (Art. 4 Abs. 2 REV)

wurden entsprechend ausgeweitet.

Beschränkungen des Zugangs zum Kapitalmarkt

Das nach Art. 5 Abs. 3 REV bestehende Verbot, Vereinbarungen zu treffen oder daran beteiligt zu sein, die die Neuvergabe von Darlehen und Krediten mit einer Laufzeit von mehr als 30 Tagen an bestimmte russische Banken und Kreditinstitute und Unternehmen des Verteidigungs- und Erdölsektors vorsehen, wurde ebenfalls überarbeitet. Die bestehende Ausnahme für Darlehen und Kredite, die spezifisch und nachweislich zur Finanzierung nicht verbotener Einfuhren und Ausfuhren von Gütern und nichtfinanziellen Dienstleistungen bestimmt sind, wurde durch einen Bezug auf Drittstaaten (statt vorher nur Russland) erweitert. Daneben wurde eine weitere Ausnahme in Art. 5 Abs. 4 REV für die Erfüllung von Altverträgen eingefügt. Das Verbot nach Art. 5 Abs. 3 REV gilt mithin nicht für die Inanspruchnahme oder Auszahlung von Beträgen im Rahmen eines vor dem 12. 09.2014 geschlossenen Vertrags, wenn a) alle Bedingungen für die Inanspruchnahme vor diesem Datum vereinbart und zu oder nach diesem Zeitpunkt nicht geändert wurden und b) zuvor ein vertragliches Fälligkeitsdatum für die vollständige Rückerstattung aller zur Verfügung gestellten Gelder sowie für die Aufhebung aller Zusagen, Rechte und Verpflichtungen nach dem Vertrag festgesetzt wurde.

Fazit

Mit der jüngsten Änderungsverordnung und der präziseren Fassung der Vorschriften – gerade im Hinblick auf die Handelsbeschränkungen der Erdölindustrie – konnten einige Auslegungsfragen geklärt werden. Die Reichweite der Wirtschaftssanktionen ist insoweit für im Russland-Geschäft tätige Unternehmen (zumindest teilweise) besser einzuschätzen.

Mit den erfolgten Änderungen stellen sich aber auch neue Fragen: Die EU hat nicht nur offensichtliche Unrichtigkeiten in der bisherigen Russland-Embargo-Verordnung geändert, sondern den Gesetzestext und mithin die Reichweite der Wirtschaftssanktionen verändert. Bereits in der Vergangenheit vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erteilte Genehmigungen oder Nullbescheide sollten im Falle einer Rechtsänderung durch die betroffenen Unternehmen prinzipiell vorsorglich erneut bewertet werden, ob sie weiterhin Grundlage für eine noch nicht erfolgte Ausfuhr oder Erbringung von Dienstleistungen sein können. Entscheidend ist grundsätzlich die Reichweite der Sanktionen zum Zeitpunkt der Ausfuhr bzw. Erbringung der Dienstleistung. Umgekehrt mögen die Änderungen aber auch neue Chancen eröffnen: Beispielsweise ist es nicht auszuschließen, dass das BAFA in früheren Fällen eine Genehmigung für die Ausfuhr von Gütern nach Anhang II ablehnte, weil es eine Verwendung der Güter für Projekte in der „Arktis“ oder „Tiefsee“ für einschlägig hielt. Soweit das Projekt aber nicht von den nun neu formulierten Anforderungen (Tiefe von 150 m oder Offshore-Gebiet nördlich des Polarkreises) erfasst wird, könnte ein (erneuter) Antrag beim BAFA sinnvoll erscheinen. Gleiches gilt freilich für die Ausfuhr von Gütern von Anhang II, deren Listenpositionen durch die Neuformulierung enger gefasst wurde.

Kontakt: g.schwendinger[at]gvw.com ; m.trennt[at]gvw.com

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