Russland ist ein Riese, wenn es um Erdgas, Erdöl und andere Rohstoffe geht. Im Schatten dieser Größe gedeiht nach Ansicht der ­politischen Führung des Landes bisher zu wenig moderne Industrie. Deshalb sollen die Infrastruktur ausgebaut und eine breite ­technologisch-industrielle Entwicklung vorangetrieben werden. Deutsche Unternehmen finden in Russland einen Markt vor, der gut zugänglich ist und ihnen viele Chancen bietet.

Von Zuzana Franz, Senior Regional Manager Financial Institutions – ­Emerging Markets und Andrej Rempel, Team Head Acquisition Structured Export Finance, BHF-BANK

Russland, das größte Land der Erde, profitiert wirtschaftlich vor allem von den gewaltigen Energie- und Rohstoffreserven, die zum guten Teil unter den eisigen Weiten Sibiriens verborgen liegen. Ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes und über zwei Drittel des Exports resultieren aus der Förderung von Erdgas und Erdöl. Derzeit verfügt Russland über die höchste Erdgasförderung und über die weltweit größten bekannten konventionellen Erdgasvorkommen. Weil Saudi-Arabien seine Produktion gedrosselt hatte, rückte Russland 2012 auch bei der Erdölförderung auf den ersten Platz. Russlands Stärke als Energiesupermacht ist allerdings zugleich auch eine Schwäche, denn aus ihr folgt eine entsprechende Abhängigkeit von der Entwicklung an den Energiemärkten. Technologische Neuerungen wie das in den USA zunehmend forcierte Fracking oder der Export von Flüssiggas, wie ihn Qatar betreibt, können Russlands wirtschaftlicher Position gefährlich werden.

Die staatlichen Stellen in Russland sind sich dieser Verwundbarkeit bewusst und streben eine stärkere Diversifikation der russischen Wirtschaft an. Nahe Moskau entsteht das Innovationszentrum „Skolkovo“, das dem Land neue technologische Möglichkeiten erschließen soll. Auch die Nanotechnologie und die Flugzeugindustrie, die in den vergangenen 20 Jahren vernachlässigt wurden, wollen die Planer im Kreml fördern.

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hatte Ministerpräsident Medwedew im Januar 2013 ergänzend um Auslandsinvestitionen geworben. Ihnen wird von Seiten der Politik eine große Bedeutung für die weitere Entwicklung des Landes beigemessen, zumal das Land unter einem hohen Kapitalexport leidet. Nach Auswertungen der Zentralbank wurden 2012 rund 56 Mrd USD mehr aus Russland abgezogen als dort investiert. Der bemerkenswert hohe Auslastungsgrad der russischen Industrie und die geringe Arbeitslosigkeit weisen darauf hin, dass eine Ausweitung der industriellen Produktion jedoch ohne weitere Investitionen nicht möglich ist.

Das Bruttoinlandsprodukt Russlands ist im vergangenen Jahr um 3,4% gewachsen, in den beiden Vorjahren wurde jeweils ein Wachstum von 4,3% erzielt. Für 2013 prognostiziert der Internationale Währungsfonds ein Plus von 3,7%. Die wirtschaftliche Entwicklung wird auch durch staatliche Investitions- und Hilfsprogramme zur Stützung der Binnenkonjunktur und durch eine steigende Binnennachfrage angetrieben.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) mahnte jüngst ein entschlosseneres Vorgehen bei der Bekämpfung der Korruption, der Verbesserung der Rechtssicherheit und dem Abbau des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft an. Sowohl im Energie- und Rohstoffsektor wie auch im Finanzwesen, bei der Telekommunikation und in der Großtechnik haben Staatsbetriebe nach wie vor eine marktbeherrschende Stellung.

Unternehmen in privater Hand finden sich vorwiegend im Mittelstand beziehungsweise allgemein eher im Dienstleistungssektor. Bürokratie und Korruption stehen ihrer Entwicklung oft im Wege. Medwedew hat mit kritischem Blick auf diese Situation einem Staatskapitalismus oder einer staatlichen Wirtschaft vor einigen Wochen eine Absage erteilt.

Für die deutsche Exportwirtschaft zählt Russland weiterhin zu den großen Hoffnungsträgern: Während die gesamten deutschen Ausfuhren 2012 insgesamt um 3,4% zulegten, nahmen die Exporte nach Russland um 10,4% oder umgerechnet 3,5 Mrd EUR auf nun 38 Mrd EUR zu. Der deutsch-russische Handel markierte 2012 mit einem Gesamtvolumen von über 80 Mrd EUR einen historischen Rekord. Für 2013 rechnen über 80% der deutschen Unternehmen in Russland mit guten Geschäften. Unternehmen wie VW, Continental und Mahle wollen dort über 800 Mio EUR investieren. Derzeit sind in Russland 6.100 Unternehmen aus Deutschland oder mit deutscher Beteiligung aktiv. Deutsche Unternehmen sind in Russland vor allem als Lieferanten von Maschinen, Fahrzeugen und chemischen Erzeugnissen von hoher Qualität gefragt. Gerade auch für den Mittelstand ist Russland ein äußerst interessanter Auslandsmarkt. Für das Russland-Geschäft stehen kurz- und mittelfristige Zahlungsabsicherungen über russische Banken sowie Handels- und Exportfinanzierungen mit und ohne Hermesdeckung zur Verfügung.

Russland ist das Partnerland der HANNOVER MESSE 2013. Deren Organisatoren weisen darauf hin, dass das Land nicht nur mit sportlichen Großereignissen wie den Olympischen Winterspielen in Sotschi, der Formel 1 und der Fußballweltmeisterschaft große Vorhaben verfolgt. Staatliche Programme sehen auch bei der Landwirtschaft, im Wohnungsbau und hinsichtlich der Infrastruktur große Investitionen vor. Allein die staatliche Eisenbahngesellschaft plant bis 2014 Investitionen in Höhe von 27 Mrd EUR.

Russlands Banken haben die Auswirkungen der Finanzkrise verhältnismäßig gut überstanden. Nach Meinung des IWF ist es den russischen Banken 2012 gelungen, ihre Bilanzen weiter zu stärken und sich für extreme Marktereignisse zu wappnen.

Die Gewinner der Finanzkrise sind in Russland eindeutig die großen Staatsbanken, die ohnehin bereits über eine starke Position verfügten. Eine marktbeherrschende Stellung hat die Moskauer Sberbank (zu Deutsch „Sparbank“) inne, die überwiegend im Besitz der Zentralbank der Russischen Föderation ist und die sowohl bei den Einlagen als auch bei der Kreditvergabe über einen Marktanteil von rund 50% verfügt. Die Sberbank betreibt die Expansion ins Ausland (Österreich, Türkei), ist mittlerweile eine Größe im Firmenkundengeschäft und engagiert sich seit 2012 auch im Investmentbanking.

Weitere große staatliche Banken sind die VTB Bank, die ursprünglich eine reine Außenhandelsbank war und nun als Universalbank mit Schwerpunkt auf dem Corporate Banking agiert, und die Gazprombank. Neben ihnen kämpfen große Privatbanken wie die Alfa-Bank, die Rosbank, die Unicredit oder die österreichische Raiffeisen Bank um Kunden. Weil die Staatsbanken schneller und flexibler geworden sind, zudem mittlerweile über eine gute Produktpalette verfügen und schiere Größe ins Feld führen können, ist die Position der privaten Banken jedoch schwieriger geworden. Bei der großen Zahl der kleineren regionalen Privatbanken läuft ein anhaltender Konsolidierungsprozess. Im Zuge der Finanzkrise hatte die Zentralbank die Mindesteinlagen für Bankinstitute verdoppelt und die Konsolidierung damit forciert.

Seit 2010 befindet sich Russland wieder auf dem Wachstumspfad. Der Staatshaushalt ist ausgeglichen, das Land verfügt über respektable 520 Mrd USD Währungsreserven und ist in einer Nettogläubigerposition. Diesen positiven Aspekten stehen strukturelle Probleme wie etwa die starke Abhängigkeit vom Rohstoffsektor und die geringe Diversifizierung der Industrie gegenüber. Russland ist ein reiches Land mit moderater Verschuldung, das eine nachhaltige wirtschaftliche Transformation anstrebt. Für deutsche Unternehmen bieten sich aufgrund ihrer Angebotsstruktur, ihres hohen Qualitätsniveaus und nicht zuletzt auch auf Basis einer Mentalität, die oft zu einem sehr guten zwischenmenschlichen Verhältnis führt, sehr gute Chancen.

Kontakt: zuzana.franz[at]bhf-bank.com ; andrej.rempel[at]bhf-bank.com

17 replies on “Russland will nicht nur Rohstoffriese sein”

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