Der Stadtstaat Singapur feierte 2015 den 50sten Jahrestag seiner Unabhängigkeit. 2015 war aber auch das Jahr, in dem mit Lee Kuan Yew der Mann verstarb, der Singapur zunächst in die Unabhängigkeit von Großbritannien und 1965 aus der Förderation mit Malaysia in die Eigenständigkeit führte. Er gestaltete maßgeblich die Entwicklung Singapurs zur heutigen Größe und Wirtschaftsmacht. In jeder Hinsicht also ein einschneidendes Jahr. Wie steht es nun um Singapur „im Jahr 1 danach …“?

Von Klaus Sander, Director – Head of Representative Office Singapur, KfW IPEX-Bank

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Der amtierende Premierminister, Lee Hsien Loong (Lee Kuan Yews Sohn), stellte jüngst im Rahmen einer Rede anlässlich des diesjährigen Nationalfeiertages am 9. August heraus, dass von allen Herausforderungen, mit denen Singapurs Volkswirtschaft in der heutigen Zeit zu kämpfen hat, die entscheidende sei, wie man der „Disruption“ begegne. In einem sich schnell ändernden, von technologischem Wandel und Globalisierung geprägten Umfeld funktionieren etablierte Modelle nicht mehr, und neue ­werden schnell und kontinuierlich entwickelt.

In diesem Zusammenhang führte er als gut nachvollziehbares Beispiel die Taxigesellschaften Singapurs an. Bis vor kurzem galt das Taxigeschäft im Stadtstaat als integraler Bestandteil des sehr gut ausgebauten und funktionierenden Personennahverkehrs. Mit dem Markteintritt von privaten Mitfahrdiensten wie z.B. „Uber“ oder „Grab a Taxi“, die inzwischen weltweit tätig sind, sehen sich die Taxibetreiber Singapurs massiv den Auswirkungen neuer, disruptiver Wettbewerbsmodelle ausgesetzt. Ähnliches gilt auch für den Einzelhandel, wo u.a. die großen Shopping Malls auf der Orchard Road (der glamourösen Haupteinkaufsstraße) unter der anhaltenden Popularität des Onlineshoppings leiden.

Premierminister Lee machte in seinen Ansprachen zum Nationalfeiertag auch deutlich, dass die hohen Wachstumsraten der vergangenen Jahrzehnte so nicht ohne weiteres fortgeschrieben werden können. Zum einen hat die Volkswirtschaft Singapurs einen hohen Reifegrad erreicht. Zum anderen leidet Singapur unter dem eingetrübten Wachstumsszenario der Weltwirtschaft sowie der schwachen Binnennachfrage.

Anfang August wurden die offiziellen Zahlen für das erwartete Wirtschaftswachstum 2016 (erneut) nach unten revidiert. Man geht nun von 1%–2% Wachstum für das Gesamtjahr aus. Jüngst veröffentlichte Exportzahlen (NODX – Non-Oil Domestic Exports) zeigen im Juli einen Rückgang um knapp 11% im Vergleich zum Vorjahreswert. Unter den Werten für die zehn wichtigsten Zielmärkte Singapurs war nur der Wert für die EU nicht rückläufig. Am stärksten betroffen waren die Exporte nach China (–16,6%), in die USA (–19,1%) und nach Indonesien (–22,6%).

Umbruch in den traditionellen ­Branchen

Die Generation um den Staatsgründer und Strategen Lee Kuan Yew setzte konsequent auf den Auf- und Ausbau jener Industriesektoren, die stark von der vorteilhaften Lage Singapurs am Eingang der meistbefahrenen Schifffahrtsroute für den weltweiten Güterhandel profitierten. Die sogenannte „Strait of Malacca“ ist heutzutage auch die zweitwichtigste Route für den internationalen Handel mit Öl. Demzufolge entwickelte sich Singapur in den ersten 50 Jahren seiner Unabhängigkeit zu einem Wirtschaftsstandort von internationaler Bedeutung, dessen Erfolgsmodell u.a. auf den wesentlichen Eckpfeilern Warenumschlag (Hafen, Flughafen), Transport (Fluggesellschaft, Containerschifffahrt), Schiffbau (inkl. Anlagen für die Öl-&-Gas-Offshoreindustrie) und Finanzdienstleistungen gründete.

Andere, in jüngerer Vergangenheit aufstrebende Wirtschaftsstandorte nahmen sich das „Modell Singapur“ zum Vorbild. So z.B. das Emirat Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten, das öffentlich bekundete, das Singapur des Mittleren Ostens werden zu wollen. In der Tat gibt es einige Parallelen: So war der „Port of Singapore“ sicherlich das Vorbild für den Aufbau des Hafens „Jebel Ali“ in Dubai. Das Emirat ist heute einer der größten Betreiber von Containerhäfen weltweit. „Emirates (Airlines)“ eine „Blaupause“ von „Singapore Airlines“, das Bankenzentrum Singapur als Vorgabe für die Entwicklung des „Dubai International Financial Centre (DIFC)“: Die Liste ließe sich fortsetzen.

Allerdings stecken gerade die Industriesektoren, die entscheidend zur „Erfolgs-story Singapur“ beitrugen, seit geraumer Zeit in Schwierigkeiten. Die staatliche Investmentgesellschaft „Temasek Holdings“ hat zum Beispiel Ende 2015 ihren Mehrheitsanteil an der „Neptune Orient Lines (NOL)“, einem „Eigengewächs“ Singapurs, an die französische CMA CGM verkauft. Einst einer der fünf größten Containerschiffbetreiber weltweit, war man nach eigenen Aussagen nicht in der Lage, den Kostenblock schnell genug zu senken. In einer Branche, deren Dienstleistungen zunehmend standardisiert wurden, bedeutete dies für NOL, dass das Unternehmen letztendlich nicht mehr wettbewerbsfähig war und in der Phase des Abschwungs der vergangenen Jahre um die Existenz kämpfen musste.

Ein weiteres Beispiel für eine Branche, die momentan vor großen Herausforderungen steht, ist der Schiffbau inklusive Anlagenbau für die Öl-&-Gas-Offshoreindustrie. Diese Branche steht in Singapur für circa 19% aller industriellen Arbeitsplätze und mit „Keppel Corp.“ und „Sembcorp Marine Ltd.“ sind hier die beiden größten Anlagenbauer für die Öl-&-Gas-Offshoreindustrie angesiedelt. Der starke Rückgang der Ölpreise in Verbindung mit den weltweit rückläufigen Investitionen in diesem Segment sowie der enorme Wettbewerb und Kostendruck sind die Hauptursachen der aktuellen Branchenkrise.

Jüngstes Opfer ist die „Swiber Holdings Ltd“: einst ein Vorzeigeunternehmen, das nun im Juli Schritte zur Liquidation eingeleitet hat und damit eine regelrechte „Schockwelle“ in Singapur auslöste – insbesondere unter den lokalen, aber auch den internationalen Banken, die insgesamt ein vergleichsweise hohes Kreditengagement mit Öl-&-Gas-Dienstleistern in Singapur verzeichnen.

Haushaltspolitische Maßnahmen

Angesichts dieser Bedingungen ist es nicht erstaunlich, dass die Regierung die Zusammenfassung des Budgets 2016 auf ihrer Website mit der folgenden Parole einleitet: „Es geht um Innovation und darum, den kommenden Sturm zu überstehen“. Die Kernpunkte des Haushalts zielen entsprechend darauf ab, Unternehmen unmittelbare Entlastungen zu gewähren (u.a. fiskalpolitische „Stimuluspakete“, Steuererleichterungen für KMUs, Zuschüsse zu Gehältern bei Einstellung älterer Arbeitnehmer) und die längerfristige Transformation der Wirtschaft zu unterstützen (u.a. Förderung von Innovation und Automation durch Zuschüsse zu F&E- und Projektkosten, Schaffung der notwendigen Infrastruktur in Form eines Industrieparks, Aus- und Weiterbildungsprogramme).

Ausbau der Infrastruktur

Ein ganz wesentlicher Wettbewerbsvorteil Singapurs als attraktiver Investitions-standort und Firmensitz mit „Regional Hub“-Funktion ist seine exzellente Infrastruktur. Und die wird weiter konsequent ausgebaut. Zum einen hilft die Auftragsvergabe bei der Ankurbelung der Wirtschaft. Zum anderen sichert Singapur damit seine Anziehungskraft als führendes Wirtschaftszentrum Südostasiens auch für die Zeit nach der Krise und den folgenden Aufschwung. Aktuelle (alle aus Juli/August 2016) Beispiele sind:

  • Flughafenausbau des internationalen Drehkreuzes „Changi Airport“: Auftragsvergabe (1,1 Mrd SGD) im Zusammenhang mit der Erweiterung und Operationalisierung des Landebahnsystems.
  • Unterzeichnung einer Absichtserklärung der Premierminister von Singapur und Malaysia, eine Hochgeschwindigkeitszugverbindung zwischen Kuala Lumpur und Singapur zu bauen. Ende dieses Jahres sollen rechtlich verbindliche Verträge unterschrieben und die internationalen Ausschreibungsverfahren angestoßen werden. Das sogenannte „KL-Singapore High Speed Rail (HSR) Project“ (350 km Schiene, sechs Zwischenbahnhöfe, Fahrzeitverkürzung auf 90 Minuten von aktuell ca. 5 Stunden) soll geschätzt ca. 12 Mrd USD kosten; die Inbetriebnahme ist für 2026 geplant.
  • Die „Urban Redevelopment Authority“ (URA) hat den Bau eines zweiten „Central Business District“ (CBD) in Jurong (im Westen Singapurs) angekündigt. Das Herzstück des sogenannten „Jurong Lake District“ (JLD) soll das Terminal der KL-Singapore High Speed Rail (HSR) werden. Das gesamte Gelände umfasst ca. 360 ha und wird in drei Bezirke aufgeteilt sein, die u.a. hochwertige Büro- und Wohngebäude sowie diverse Business-Park-Cluster beheimaten werden.
  • Im Rahmen der Konferenz „Singapore International Water Week (SIWW) 2016“ wurde bekanntgegeben, dass Singapur demnächst Projekte in den Bereichen Wasser, Abwasser und Abfallentsorgung im Umfang von ca. 9,5 Mrd SGD ausschreiben wird. So wird z.B. erwartet, dass die nationale Wasserbehörde „Public Utilities Board“ (PUB) ab dem dritten Quartal 2016 mit der Ausschreibung umfangreicher Aufträge im Zusammenhang mit der zweiten Phase des „Deep Tunnel Sewage Systems“ beginnt. Dieses Projekt allein soll ca. 6,5 Mrd SGD kosten; die Fertigstellung ist für 2025 geplant.

Ausblick

Singapurs Wirtschaft geht momentan sicherlich durch eine schwierige Phase und muss sich wesentlichen Herausforderungen stellen. Diese sind jedoch nicht unüberwindbar, und der Stadtstaat investiert weiterhin konsequent in einen Hauptwachstumstreiber langfristigen Wachstums – die Infrastruktur.

Die insgesamt höchst umfangreichen Projekte erfordern in vielen Fällen den Einsatz internationaler Spitzentechnologie und Dienstleister. Dies sollte über die kommenden Jahre Geschäftsmöglichkeiten für deutsche und europäische Unternehmen aus diversen Branchen eröffnen.

Die KfW IPEX-Bank begleitet Exporteure und Besteller bereits seit Jahrzehnten bei dieser Art von Finanzierungen in Südostasien und weltweit. Das Spektrum der arrangierten, strukturierten und finanzierten Kredite umfasst klassische Handelsfinanzierungen, ECA-gedeckte Bestellerkredite, aber auch maßgeschneiderte komplexe Multi-Sourcing-Strukturen und Shopping-Lines.

Kontakt: klaus.sander@kfw.de

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