Für Vietnams Wirtschaft war 2015 erneut ein gutes Jahr: Das Wirtschaftswachstum erreichte fast 7%, die Inflationsrate lag zum Jahresende unter 2% und erreichte damit einen historischen Tiefstand. Außerdem wurden gleich vier Freihandelsabkommen auf den Weg gebracht. Fakten, die aufhorchen lassen und das Interesse wecken, einen genaueren Blick auf das Land in Fernost zu werfen.
Von Dr. Peik Achtert, Country CEO ASEAN, Commerzbank AG
Kaum ein anderes Land hat in den vergangenen Jahren so von der Verlagerung der Lieferketten aus China in andere asiatische Länder profitiert wie Vietnam. Für zahlreiche Produkte der Leichtindustrie hat sich das südostasiatische Land längst als attraktive Alternative zum Reich der Mitte etabliert. Vor allem Firmen aus Japan, Südkorea und Taiwan lassen hier Bekleidung nähen oder Elektronik zusammensetzen. Vietnam ist im weltweiten Vergleich bereits drittgrößter Exporteur von Schuhen und viertgrößter von Bekleidung. Nur China liefert mehr Handys und Smartphones in die Welt als Vietnam – insbesondere aufgrund der Milliardeninvestitionen von Samsung in Vietnam als Produktionsstandort.
Das vietnamesische Wirtschaftswunder begann vor 30 Jahren
Die Erfolgsgeschichte begann 1986 mit der von Hanoi eingeleiteten Reformkampagne Doi Moi zur wirtschaftlichen Öffnung des Landes. Die kommunistische Führung hat sich an einigen Kapiteln aus der Reformagenda Pekings orientiert und sich für ausländische Investitionen geöffnet, obwohl die Staatswirtschaft weiter eine wichtige Rolle spielt. In den darauf-folgenden zweieinhalb Jahrzehnten hat das Land einen fulminanten wirtschaftlichen Aufschwung mit Wachstumsraten von zumeist 7%–8% erlebt. Von der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 erholte sich Vietnam vergleichsweise schnell.
Über 8% Exportwachstum
Der vietnamesische Außenhandel wächst weiterhin expansiv – getrieben vor allem durch die Produktion ausländischer Unternehmen in Vietnam. Der Wert der Exporte belief sich 2015 auf 162,4 Mrd USD, ein Plus von 8,1% gegenüber dem Vorjahr.
Die wichtigsten Außenhandelspartner sind China, die anderen ASEAN-Staaten (Laos, Kambodscha, Thailand, Indonesien, Malaysia, Singapur, die Philippinen, Brunei und Myanmar), die USA, die Europäische Union (EU), Südkorea und Japan. Im Vergleich zum Vorjahr haben die USA (41,5 Mrd USD) dabei die EU (41,4 Mrd USD) in der Rangfolge der Handelspartner auf Platz 4 verdrängt. Dominierende Exportgüter sind weiterhin Mobiltelefone und Ersatzteile (30,6 Mrd USD), Textilien und Bekleidung (22,6 Mrd USD), Schuhe (12 Mrd USD), Computer und Teile (15,8 Mrd USD) sowie Maschinen und Ersatzteile (8,2 Mrd USD).
China bleibt wichtigstes Lieferland – trotz Spannungen
Die vietnamesischen Importe stiegen 2015 um 12% auf 165,6 Mrd USD. Die größte Rolle spielen dabei Maschinen und Anlagen (27,6 Mrd USD), Elektronikartikel und Teile (23,3 Mrd USD), Mobiltelefone und Teile (10,6 Mrd USD), Stoffe (10,2 Mrd USD) sowie Eisen und Stahl (7,3 Mrd USD). Größter Importpartner bleibt mit 49,3 Mrd USD, trotz politischer Spannungen, weiterhin China.
Deutsch-vietnamesischer Handel legt mit 14% kräftig zu
Deutschland ist innerhalb der EU der größte Handelspartner Vietnams. 2015 betrug das Außenhandelsvolumen der beiden Länder nach der vietnamesischen Statistik 8,9 Mrd USD – 14% mehr als 2014 (7,8 Mrd USD). Die Exporte aus Vietnam nach Deutschland stiegen um 10% auf 5,7 Mrd USD (2014: 5,18 Mrd USD). Die wichtigsten vietnamesischen Exportprodukte nach Deutschland sind Schuhe, Textilien, landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Kaffee und Pfeffer, Meeresfrüchte und mittlerweile auch Elektronikartikel sowie Möbel.
Außenhandelsabkommen sorgen für neue Impulse
Im Verlauf des Jahres 2015 hat das vietnamesische Ministerium für Industrie und Handel vier Freihandelsabkommen erfolgreich abgeschlossen: mit der Kaukasischen Zollunion (März 2015), mit Südkorea (Mai 2015), mit der multilateralen Pazifik-Freihandelszone „Trans-Pacific Partnership“ (Oktober 2015) und mit der Europäischen Union (Dezember 2015).
Für das größte Aufsehen hat der Abschluss der Transpazifischen Partnerschaft gesorgt. Das zwischen den USA und elf Pazifikanrainern – ohne China – in den Grundzügen vereinbarte Abkommen soll die zollbegünstigte Lieferung in diese Länder ermöglichen. Vietnam weist dabei von allen Mitgliedern die niedrigsten Lohnkosten auf.
Deutsche Direktinvestitionen stocken
Ausländische Unternehmen haben 2015 mit 22,8 Mrd USD rund 12,5% mehr als im Vorjahr in Vietnam investiert. Die Dynamik setzte sich auch zum Jahresanfang 2016 fort. Rund drei Viertel des ausländischen Kapitals fließen in das verarbeitende Gewerbe. In Dienstleistungen und Wissenschaft wurden hingegen weniger als 5% angelegt. Die größten Ursprungsländer für ausländische Direktinvestitionen bleiben Japan mit fast einem Drittel, Südkorea insbesondere mit Großinvestitionen von Samsung und Taiwan mit seiner Textilindustrie sowie den Elektronikauftragsfertigern.
Deutsche Unternehmen dagegen hielten sich zuletzt auffallend zurück: Zwar produzieren beispielsweise Bosch und Schäffler in Dong Nai, Daimler montiert Limousinen und Lkw in Ho-Chi-Minh-Stadt. Doch insgesamt wurden 2015 von deutschen Investoren nach vietnamesischen Angaben lediglich 74,3 Mio USD investiert, ein Rückgang um mehr als die Hälfte im Jahresvergleich. Damit kam Deutschland lediglich auf Rang 24 der ausländischen Investoren, nachdem es im Vorjahr noch Rang 15 belegt hatte. Gleichwohl ist das Potential vorhanden, u.a. in der Produktion von Bekleidung und Kfz-Teilen, aber auch im Maschinenbau und der Bauwirtschaft. Daneben wird der Umwelt- und Energiesektor inklusive erneuerbarer Energien immer interessanter für deutsche Firmen. Die Voraussetzungen sind gut: Kein Land in Südostasien hat historisch so enge Beziehungen zu Deutschland wie Vietnam, insbesondere zu den ostdeutschen Bundesländern. Hintergrund ist die intensive Zusammenarbeit der ehemaligen DDR mit Vietnam – so wurden z.B. viele Kaffeeplantagen mit Unterstützung der DDR angelegt.
Viel Licht und ein wenig Schatten
Vietnam hat 2009 die Grenze von 1.000 USD Jahreseinkommen pro Kopf überschritten und ist seitdem ein „Middle Income Country“. 2015 betrug das Bruttoinlandsprodukt 196 Mrd USD, und das Pro-Kopf-Einkommen erreichte 2.230 USD. Dazu bietet das Land stabile Investitionsbedingungen, die Bevölkerung von 92 Millionen Einwohnern ist im Schnitt 29 Jahre jung und gilt als fleißig. Zusätzlich schlagen Lohnkosten zurzeit nur mit etwa einem Drittel des chinesischen Niveaus zu Buche. Die öffentliche Hand hat darüber hinaus zahlreiche Industrieparks aufgebaut und die Logistikinfrastruktur in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Strukturelle Schwächen für ein florierendes Vietnam-Geschäft bleiben allerdings Korruption und ein nicht immer verlässliches Rechtssystem.
Viel Zukunftspotential
Der dynamische vietnamesische Markt bietet deutschen Unternehmen große Chancen im Im- und Exportgeschäft – einschließlich des Zugangs zu Ostasien, das nach Ansicht von Ökonomen eine der dynamischsten Wirtschaftsregionen der Welt bleiben wird.
Lokales Know-how
Trotz seiner rasanten Entwicklung steht außer Frage, dass Vietnam derzeit noch ein klassisches Schwellenland ist und folglich für an Handelsgeschäften interessierte Unternehmen weiterhin die eine oder andere Herausforderung bereithält. Wichtig bleibt es daher, sich vor einem Geschäft umfassend beraten zu lassen.
Entscheidend ist dabei vor allem lokales Know-how, wie es beispielsweise die Commerzbank mit ihrer Repräsentanz in Ho-Chi-Minh-Stadt bereitstellt. Außerdem hat sie kürzlich mit zwei führenden vietnamesischen Banken eine Zusammenarbeit im Firmenkundengeschäft vereinbart – der Techcombank und der VietinBank. Ab sofort können deutsche Unternehmen die Produkte und Services beider Institute nutzen. Firmen, die in anderen südostasiatischen Ländern geschäftlich aktiv sind, bietet die Commerzbank in ihrer Filiale in Singapur umfassende Beratungsangebote und Finanzierungsprodukte.
Kontakt: peik.achtert@commerzbank.com