Trotz eines neuen Angebots aus Südamerika ist kein Ende der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der ­Europäischen Union und dem Mercosur in Sicht. Aber auch ohne Freihandelsvertrag gibt es bei Exporten in die Region Möglich­keiten, die Komplexität der Einfuhranforderungen zu bewältigen, Zollprozesse zu optimieren und Kosten zu senken. Dabei kann ­insbesondere eine gute Software helfen.

Arne Mielken, Senior Trade Specialist, Amber Road

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Viele Staaten Lateinamerikas sehen in einem Freihandelsabkommen (FHA) mit der EU eine Möglichkeit, ihre Wirtschaftsprobleme zu überwinden. Doch der Weg dahin ist steinig. Seit 1999 laufen Verhandlungen über ein FHA zwischen der EU und den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela – Bolivien befindet sich im ­Aufnahmeprozess). Die größten Hürden sind die protektionistische EU-Landwirtschaftspolitik, die Uneinigkeit der Mercosur-Staaten untereinander und ihre zum Teil protektionistische Wirtschaftspolitik sowie Streitigkeiten unter den EU-Ländern. Vor allem Frankreich, Polen, Irland und elf weitere Staaten haben starke Vorbehalte gegenüber den von Brüssel angebotenen Quotenregelungen und Zolltarifsenkungen angemeldet. Dagegen ist Spanien mit seinen engen Verbindungen zu Lateinamerika einer der Treiber der Verhandlungen.

Das Angebot

Im Mai 2016 hat der Mercosur (Mercado Común del Sur – Gemeinsamer Markt des Südens) der EU die Öffnung von 93% seines Marktes angeboten. In den vergangenen Wochen konnten europäische Industrieverbände dazu Stellungnahmen abgeben. Im Oktober findet eine weitere Verhandlungsrunde statt. Es wird sicherlich nicht die letzte sein.

Ziele der komplexen Verhandlungen sind der Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse, ein angemessener Schutz der Rechte an geistigem Eigentum und geographischen Herkunftsbezeichnungen, die Erleichterung von Investitionen, die Gleichbehandlung von Mercosur- und EU-Firmen bei öffentlichen Ausschreibungen sowie die Angleichung von sanitären und phytosanitären, Sozial- und Umweltstandards.

Großes Potential

Der „Gemeinsame Markt Südamerikas“ hat für Deutschland und die EU eine große wirtschaftliche Bedeutung. Im Mercosur leben fast 300 Millionen Menschen. 2014 war der Mercosur der achtwichtigste Exportmarkt der EU für Dienstleistungen und 2015 der zehntwichtigste Exportmarkt für Waren. Brasilien alleine ist der zehntwichtigste Handelspartner und der vierzehntgrößte Exportmarkt der EU. Obwohl die EU wesentlich mehr in den Mercosur exportiert als umgekehrt, ist die EU der wichtigste Exportmarkt der Mercosur-Staaten. Der Handel zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken wird auf rund 93 Mrd EUR geschätzt.

Hohe Zölle

Derzeit müssen auf 85% der EU-Ausfuhren in den Mercosur Zölle entrichtet werden. Die Zollabgaben europäischer Unternehmen auf Exporte in die Mercosur-Mitgliedstaaten summieren sich auf rund 4 Mrd EUR im Jahr. Die Zollsätze für Maschinen und Geräte liegen meist zwischen 20% und 25%, für Pkw zwischen 23% und 25%, für Bier und Schnaps zwischen 20% und 35%. Durch den Wegfall der Zölle und den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse könnte der Mercosur zu einem der Topmärkte für Milchprodukte, Wein, Spirituosen und verarbeitete Lebensmittel, aber auch Automotive- und Pharmaprodukte sowie Maschinen und Maschinenanlagen werden.

Ein verbesserter Zugang zum Dienstleistungsmarkt und zu öffentlichen Ausschreibungen von staatlichen Infrastrukturprojekten ist ebenfalls sehr verlockend. Konservative Schätzungen zeigen, dass alleine der brasilianische Beschaffungsmarkt fast 150 Mrd EUR wert ist. Von einer Marktöffnung würden deutsche Anlagen- und Maschinenbauer, aber auch Baufirmen erheblich profitieren.

Die Mercosur-Staaten sind vor allem wichtige Rohstoff- und Agrarproduktelieferanten für Deutschland und die EU. Die Waren (z.B. Fleisch, Getreide und Eisenerz) werden verarbeitet zum Teil wieder exportiert, manchmal auch nach Südamerika.

Komplexe Einfuhrbedingungen

Die Vision der Mercosur-Staaten von einer Zollunion nach dem Vorbild der EU konnte bisher nicht verwirklicht werden. Die Schwergewichte Brasilien und Argentinien sind mehr für protektionistische Auswüchse als für Bemühungen um einen freien Warenaustausch bekannt. Zwar wurden die Importsteuern bei Warenbewegungen innerhalb des Mercosur und die Doppelbesteuerung von Drittlandimporten via ein Mercosur-Mitglied abgeschafft, doch die Bestimmungen für Ursprungszeugnisse, die vorgelegt werden müssen, um von diesen Vergünstigungen zu profitieren, sind komplex.

Beim Export in die Region muss sowohl internationales Zollrecht als auch das nationale Zollrecht in den einzelnen Ländern beachtet werden. Die Einfuhr von Waren unterliegt im Wesentlichen dem Zollkodex der einzelnen Länder und den dazugehörigen Durchführungsvorschriften. Dazu sind nationale Regelungen in Bezug auf Devisenbewirtschaftung, Kompensationsgeschäfte, Umsatzsteuer, Antidumpingzölle und Einfuhrzölle sowie unterschiedliche Einfuhrverfahren in den einzelnen Ländern zu berücksichtigen. Auch Besonderheiten elektronischer Zollverfahren, wie SISCOMEX in Brasilien, müssen beachtet werden.

Türöffner IT

Die Komplexität der Einfuhranforderungen überfordert viele KMUs. Internationale Softwarehäuser bieten jedoch ausgefeilte Softwarelösungen an, die Unternehmen bei der Feststellung der Dokumentenpflichten und Sonderanforderungen (z.B. notarielle Beglaubigungen), der Generierung der notwendigen Export- und Importdokumente und beim Dokumentenmanagement unterstützen. Sie helfen bei der Produktklassifizierung und der Identifizierung der korrekten Zolltarife, beim Erstellen und Verwalten von Ursprungszeugnissen. Und für den Export von Dual-Use-Gütern bieten sie Unterstützung bei der Einrichtung rechtskonformer Exportkontrollprozesse.

Die Software vereinfacht Preisvergleiche auf „Landed Cost“-Basis und hilft bei der Festlegung optimaler Lieferbedingungen. Sie erhöht das Bewusstsein für Zollvorteile oder Quotenbeschränkungen und öffnet die Augen für neue Handelsmöglichkeiten. Sie reduziert Trade-Compliance-Risiken, spart Zeit gegenüber manuellen Recherchen und steigert Supply-Chain-Management-Effizienz und Supply-Chain-Transparenz. Und wenn es zum Abschluss des ersehnten Freihandelsabkommens kommt, werden die neuen Zolltarife und andere zolltechnische Anforderungen automatisch ins System eingespeist. So können die Nutzer sofort von den Vorteilen des FHAs in Form von niedrigeren Zollabgaben und Gebühren profitieren.

Kontakt: arnemielken@amberroad.com

 

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