Der Handelsstreit zwischen den USA und China beschleunigt einen seit Jahren anhaltenden Trend: Hightechbetriebe, die nicht im chinesischen Staatsbesitz sind, verlagern Teile ihrer Wertschöpfung aus dem Reich der Mitte nach Südostasien.

Südostasien steht nicht im Fokus der globalen Handelsausein­andersetzungen – ganz anders als das benachbarte China. Doch angesichts der engen ­Wirtschaftsbeziehungen mit dem Reich der Mitte wächst die Ungewissheit, ob sich Länder wie Thailand, Vietnam und die Philippinen den Spannungen wirklich entziehen können. Oder profitieren sie sogar von Verschiebungen der internationalen Handelsströme?

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Thailand, Indonesien, Malaysia, die Philippinen und Singapur gründeten 1967 die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN). Inzwischen ist das südostasiatische Staatenbündnis auf zehn Mitglieder angewachsen, die einen gemeinsamen Wirtschaftsraum nach dem Vorbild der Europäischen Union bilden. 2010 trat zudem ein Freihandelsabkommen mit der Volksrepublik China in Kraft. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich die ASEAN-Länder zu einem der dynamischsten Wirtschaftsräume der Welt. Bis 2022 werden ihnen jährlich über 5% Wirtschaftswachstum vorausgesagt. Doch macht ihnen China als wichtigster Handelspartner mit seiner Dreifachproblematik aus nachlassendem Wachstum, Handelskonflikten mit den USA und Protesten in Hongkong nun einen Strich durch die Rechnung?

Mit einer Technologieoffensive gegen nachlassendes Wachstum

Das Wachstum in China schwächelt schon seit einigen Jahren, auch wenn ein Plus von „nur noch“ 6% weit über dem liegt, was westliche Industrienationen derzeit erreichen. Doch die südostasiatischen Länder spüren die Veränderungen des chinesischen Markts – nicht nur mit Blick auf das Wachstum: China stellt seine Wirtschaft strategisch neu auf. „Made in China 2025“ heißt das Programm, das vergleichbar ist mit der deutschen „Industrie 4.0“, aber weit darüber hinausgeht: Die gesamte Industrie wird restrukturiert, um sie international wettbewerbsfähiger zu machen. Die Fertigung soll effizienter gestaltet und die Produktqualität gesteigert werden. Entsprechend lenkt man staatliche Investitionen und Förderungen gezielt in zehn ausgewählte Sektoren wie Elektromobilität und künstliche Intelligenz – und zieht sie von eher traditionellen Bereichen ab. Insbesondere für Singapur, wo Forschung und Entwicklung von Hochtechnologieanwendungen bereits eine große Bedeutung haben, könnte dies neue Marktchancen eröffnen. Alle anderen ASEAN-Länder stehen hingegen vor der Herausforderung, bei dieser Technologieoffensive mitzuziehen und sich selbst fit für die Zukunft zu machen.

ASEAN als Alternative im Handelsstreit

Der Handelsstreit zwischen den USA und China beschleunigt einen seit Jahren anhaltenden Trend: Hightechbetriebe, die nicht im chinesischen Staatsbesitz sind, verlagern Teile ihrer Wertschöpfung aus dem Reich der Mitte nach Südostasien. Ein Beispiel dafür ist Vietnam: Der geopolitische Druck auf China verstärkt den Trend, dass niedrigere Löhne zunehmend Produktion anziehen, die aufgrund steigender Arbeitskosten aus China abwandert. Branchen wie die Textil-, die Elek­tronik- und die Kfz-Industrie, aber auch die Verarbeitung von Nahrungsmitteln expandieren.

Doch Wertschöpfungsketten lassen sich nicht ohne weiteres verlagern. Typisch ist die Verteilung einzelner Fertigungsschritte auf verschiedene ASEAN-Länder, die vor- beziehungsweise nachgelagerte Fertigungsschritte übernehmen. Die Verkehrsinfrastruktur, die Energieversorgung und die Qualifizierung der Arbeitskräfte erreichen vielerorts nicht das Niveau Chinas, so dass häufig nur einzelne Produktionsschritte ausgelagert werden. Investitionen in Anlagen, Logistikinfrastruktur und Qualifizierung sind dringend notwendig, zumal steigende Löhne auch in den ASEAN-Ländern bald ihre Kostenvorteile erodieren. Wettmachen lässt sich das nur mit höherer Arbeitsproduktivität. So führte beispielweise Singapur ehrgeizige Vorgaben zur Digitalisierung der Produktion ein und stellte dafür umfangreiche Fördermittel bereit. Auch in Malaysia und Thailand gibt es ähnliche Pläne, Fertigungsschritte stärker zu digitalisieren.

Vorerst kein Exodus aus Hongkong

Die anhaltenden Proteste in Hongkong, die sich an einem inzwischen zurückgenommenen Auslieferungsgesetz entzündeten, sind zwar für China von existentieller Bedeutung, nicht aber für die anderen Länder Südostasiens. Die chinesische Sonderverwaltungszone ist ein wichtiges Finanzzentrum, das insbesondere für Offshorefinanzierungen vieler großer Unternehmen aus China eine wichtige Rolle spielt. Auch deshalb leben rund 1,3 Millionen Festlandchinesen in Hongkong, das zudem ein Clearing-Hub und Sitz vieler Vermögensverwalter ist. China wird die Zügel also wohl kaum schleifen lassen. Bisher zeichnet sich kein Exodus der Wirtschaft ab, die Finanzinstitute arbeiten wie gewohnt, es gibt keine neuen regulatorischen Eingriffe. Gleichwohl hört man von ersten Überlegungen einiger Betriebe aus der Fertigungsindustrie, eventuell nach Vietnam umzuziehen, wo sie mit offenen Armen empfangen würden.

Die deutsche Wirtschaft hält sich zurück

Auch unter den aktuellen geopolitischen Rahmenbedingungen ist die Wachstumsstory Südostasiens also intakt. Dennoch sind deutsche Unternehmen mit ihren Investitionen und Warenexporten in die Region zurückhaltend. Die gesamten deutschen Exporte in die ASEAN-Länder in Höhe von 28,2 Mrd EUR im Jahr 2018 setzen sich vor allem aus Maschinen, chemischen und elektronischen Vorprodukten sowie aus Kraftfahrzeugen und -teilen zusammen.

Damit werden die vorhandenen Potentiale bei weitem nicht ausgeschöpft, wie folgendes Beispiel zeigt: Die Einfuhren von Textil- und Ledermaschinen aller ASEAN-Länder zusammengenommen sind zwischen 2012 und 2017 um gut 34% auf 4,9 Mrd USD gestiegen. Der deutsche Anteil lag 2017 gerade einmal bei knapp 8%. Dabei werden deutsche Produkte in Asien hoch geschätzt. Das gilt nicht nur für die Industrie, sondern auch für private Verbraucher, die als Kunden immer interessanter werden. Unter den über 640 Millionen Einwohnern bildete sich eine zunehmend wohlhabende Mittelschicht heraus, bei der „Made in Germany“ einen ausgezeichneten Ruf genießt.

Kein Land ist wie das andere

Wer diese Chancen im internationalen Geschäft mit Südostasien nutzen will, sollte die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern berücksichtigen. So trugen die fünf größten Volkswirtschaften Indonesien, Thailand, Singapur, Malaysia und die Philippinen 2018 mehr als 85% zum regionalen BIP bei. Durch dieses unterschiedliche Entwicklungsniveau hat sich eine regionale Arbeitsteilung unter den Staaten eingespielt.

Das offene Singapur ist als Drehscheibe für Investitionen und Handel sowie als Anbieter für Dienstleistungen bekannt. Viele Firmen haben hier ihren Hauptsitz für die Region aufgebaut, über 10.000 Unternehmen aus der Europäischen Union (EU) verfügen dort über Niederlassungen. Es gibt außerdem eine ganze Reihe effizienter Industriebranchen, die immer stärker automatisiert und digitalisiert werden. Auch Thailand und Malaysia haben sich als beliebte Produktionsstandorte etabliert und streben eine Aufwertung ihrer Industrie weg von arbeitsintensiven Fertigungsprozessen an.

Vietnam wiederum hat sich besonders bei Bekleidung und Elektronik als Alternative zum Produktionsstandort China einen Namen gemacht. In Laos, Kambodscha und Myanmar hängt dagegen die wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung noch stärker zurück. Indonesien lebt vor allem vom Verkauf der eigenen Rohstoffe. Die Philippinen hoffen, durch ein großes lnfrastrukturprogramm endlich ihr wirtschaftliches Potential entfalten zu können. Bislang boomt vor allem die Auslagerung von Dienstleistungen, bei der die Bevölkerung dank ihrer weitverbreiteten Englischkenntnisse glänzt.

Keine Frage: Unabhängig vom Auf und Ab des Welthandels bietet Südostasien nach wie vor große Chancen. Deutsche Produkte und deutsches Know-how werden geschätzt. Es lohnt sich also, sich näher mit dieser Region zu beschäftigen.

agnes.vargas-hein-roedling@commerzbank.com

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