Es ist so weit: Der Brexit wurde am Freitag, dem 31. Januar 2020, um Mitternacht vollzogen. Das Vereinigte Königreich ist seit diesem Zeitpunkt nicht mehr Mitglied der Europäischen Union (EU), und dennoch bleibt zunächst (fast) alles beim Alten – jedenfalls bis zum 31. Dezember 2020.
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Neun Monate nach dem Brexit-Referendum machte das Vereinigte Königreich Ernst: Am 29. März 2017 hat die damalige britische Premierministerin Theresa May die offizielle Erklärung über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU unterzeichnet. Gemäß Art. 50 EUV begann eine zweijährige Verhandlungsfrist, die am 25. November 2018 mit der Annahme des Verhandlungsergebnisses durch den Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs der EU beendet schien. Diverse Abstimmungen im britischen Parlament, einen Regierungswechsel und weitere Verhandlungsrunden später gelang es dem Vereinigten Königreich und der EU im Oktober 2019, sich auf einen „New Deal“ zu verständigen. Mit der Bestätigung des britischen Wahlvolks aus den vorgezogenen Parlamentswahlen Anfang Dezember 2019 im Rücken („Get Brexit done“), konnte Premierminister Boris Johnson das Brexit-Gesetz schließlich im Januar 2020 durch das britische Parlament bringen. Am 29. Januar 2020 wurde das Austrittsabkommen durch das Europäische Parlament ratifiziert.
Übergang bis Jahresende 2020
Obwohl das Vereinigte Königreich die EU Ende Januar 2020 verlassen hat, sind die unmittelbaren Auswirkungen für dessen grenzüberschreitenden Handel mit der EU zunächst gering. Um die zukünftigen Beziehungen des Vereinigten Königreichs und der EU regeln zu können, sieht das Austrittsabkommen einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2020 vor, der einmal um bis zu zwei Jahre verlängert werden könnte. Bis zum Ablauf dieser Übergangsfrist gilt das Unionsrecht im Vereinigten Königreich fort und muss nach den gleichen Maßstäben angewendet werden wie bisher. Das Vereinigte Königreich wird während dieser Zeit weiterhin als Teil der EU und des Binnenmarkts behandelt, wird jedoch nicht mehr in den Organen und Verwaltungsstrukturen der EU mitwirken. Tücken bietet indes der Handel mit Drittstaaten außerhalb der EU.
Handel mit dem Vereinigten Königreich
Auch nach dem 31. Januar 2020 können Waren somit frei zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU gehandelt werden. Dies gilt sowohl in zoll- als auch in außenwirtschaftsrechtlicher Hinsicht. Sämtliche Standards des Europäischen Binnenmarkts bleiben anwendbar, und es werden keine Zollkontrollen an Grenzübergängen durchgeführt werden.
Präferenzielle Handelsabkommen der EU gelten nicht fort
Wesentlich weitreichender sind hingegen die Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel mit Drittstaaten außerhalb der EU. Das Austrittsabkommen regelt zwar, dass auch die Freihandelsabkommen der EU und die darin enthaltenen Regelungen zu Warenursprung und Präferenzen weiterhin für das Vereinigte Königreich Anwendung finden.
Ob jedoch auch die Vertragspartner der EU Waren mit (teilweisem) Ursprung im Vereinigten Königreich präferentiell behandeln werden, bleibt abzuwarten – verpflichtet sind sie hierzu jedenfalls nicht. Abschließende Gewissheit besteht insofern einzig hinsichtlich derjenigen Staaten, mit denen das Vereinigte Königreich eigene Freihandelsabkommen geschlossen hat. Eine Übersicht finden Sie auf der Website der britischen Regierung. Diverse Freihandelsabkommen, unter anderem mit Kanada, der Türkei und Japan, befinden sich noch in Verhandlung – mit ungewissem Ausgang.
Unternehmen, die britische Bestandteile in ihren Produkten verwenden oder mit Ursprung in der EU über das Vereinigte Königreich in Drittstaaten außerhalb der EU liefern, sollten kritisch prüfen, ob der Brexit Auswirkungen auf den Ursprung ihrer Waren und die Inanspruchnahme von zolltariflichen Präferenzen hat.
Die Zeit nach Ende des Übergangszeitraums – erneute Ungewissheit
Der sogenannte „No-Deal“-Brexit ist mit dem Austrittsabkommen indes nicht endgültig abgewendet. Das Vereinigte Königreich und die EU haben sich das ambitionierte Ziel gesetzt, bis Ende 2020 die zukünftigen Beziehungen in einer engen Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft zu regeln. Im wirtschaftlichen Bereich soll ein umfassendes Freihandelsabkommen abgeschlossen werden.
Kritiker bezweifeln, dass dieser Zeitplan eingehalten werden kann. Falls nicht, müsste bereits bis zum 1. Juli 2020 einvernehmlich eine Verlängerung der Übergangszeit auf bis zu zwei Jahre beschlossen werden – eine Lösung, die Premierminister Johnson bislang ablehnt. Kommt letztlich kein Vertrag bis Ende des Übergangszeitraums zustande, droht erneut ein „No-Deal“-Brexit mit ungewissen Folgen.
Für vereinzelte Fälle sieht das Austrittsabkommen allerdings auch für die Zeit nach Ende des Übergangszeitraums Regelungen vor. So können Waren, mit Ausnahme lebender Tiere und tierischer Erzeugnisse, die vor Ablauf des Übergangszeitraums in der EU oder im Vereinigten Königreich rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, unverändert weiterhin auf und zwischen diesen beiden Märkten in freiem Verkehr bleiben, bis sie ihre Endverbraucher erreicht haben. Es bedarf insofern auch keiner zusätzlichen Produktanforderungen. Auch Beförderungen von Waren, die vor dem Ablauf des Übergangszeitraums beginnen, werden für Zoll-, Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuerzwecke nach dem Ende des Übergangszeitraums nach den Unionsvorschriften behandelt, die zum Zeitpunkt des Beginns der Beförderung galten.
Ausblick
Es besteht somit weiterhin die Möglichkeit eines ungeregelten Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU. Auch wenn bis zum Ende des Übergangszeitraums am 31. Dezember 2020 ein Freihandelsabkommen geschlossen werden sollte, steht jedenfalls fest, dass im Warenverkehr mit dem Vereinigten Königreich danach Zollformalitäten zu beachten sein werden, die derzeit nicht gelten. Hierauf sollten sich Unternehmen vorbereiten.