Der Überschuss in der Leistungsbilanz und das mit ihm einhergehende komfortable Niveau der Währungsreserven (etwa vier ­Monatsimporte) führen zu einer guten Liquiditätsausstattung und einer akzeptablen Höhe der kurzfristigen Schulden. Verbunden mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) und ihrer Freizügigkeit von Waren und Kapital sorgen diese Faktoren für
eine Einschätzung des kurzfristigen politischen Risikos in die beste Kategorie (1 von 7).

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Credimundi, Member of the Credendo Group

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Regierung auf einsamem Kurs
Die Parlamentswahlen im April 2014 brachten der Fidesz-Partei des amtierenden Ministerpräsidenten Orban (in einer Allianz mit den Christdemokraten der KDNP) erneut einen überwältigenden Sieg, der eine Fortführung der Regierung mit Zweidrittelmehrheit ermöglicht. Populistische Maßnahmen wie das Absenken der Energiepreise für Privathaushalte vor der Wahl trugen zu diesem Sieg bei. Die Fortsetzung der Fidesz-Regierung dürfte eine weitere vierjährige Periode der unvorhersehbaren Wirtschafts- und Fiskalpolitik mit sich bringen. Eine Opposition, die sich dem entgegenstellen könnte, ist nicht in Sicht. Der Aufstieg der rechtsextremen Jobbik-Partei, die im vergangenen April mit 20% der Stimmen drittstärkste Partei wurde und ihren Erfolg bei den Europawahlen im Mai fortführen konnte, wird den nationalistischen und euroskeptischen Positionen der Fidesz wahrscheinlich weiteren Auftrieb geben.

Der Etat für das Jahr 2015 sieht neue Maßnahmen vor, die darauf ausgerichtet sind, das öffentliche Defizit zu senken, und dabei erneut Sektoren mit ausländischen Investitionen benachteiligen. So wird die geplante Erhöhung der Steuer auf hohe Werbeeinkünfte aus Medien vermutlich lediglich die europäische Sendergruppe RTL treffen, und eine neue Steuer zur Kostendeckung von Hygienekontrollen könnte den Einzelhandel belasten. Ende Oktober haben große Demonstrationen die Einführung einer Steuer auf Internetnutzung verhindert, die weithin als Behinderung der Redefreiheit und des Zugangs zu Informationen angesehen wurde.

Expansive Politik unterstützt Erholung der Wirtschaft

Die Wirtschaft profitierte 2013 von
höheren Staatsausgaben im Vorfeld der Wahlen, dem Exportaufschwung und einem Ausbau der Produktionskapazi-täten in der schnell wachsenden Automobilindustrie. Die Fortdauer der akkommodierenden Geldpolitik dürfte weiterhin die Investitionen und den privaten Verbrauch unterstützen, während die verhaltene Erholung in der Euro-Zone die Auslandsnachfrage weiter unterstützen sollte. Nach Prognosen des IWF kann daher mit einem Wachstum von 2,8% im Jahr 2014 und von 2,3% im Jahr 2015 gerechnet werden.

Das Risiko für Ungarn, das mit den Ereignissen um Russland und die Ukraine verbunden ist, wird als moderat eingestuft. Da die Exporte in diese Länder bescheiden sind (sie betragen 3% bzw. 2% der gesamten Exporte, während die Exporte nach Deutschland 25% ausmachen), dürften sich die Auswirkungen auf den direkten Handel in Grenzen halten. Allerdings würden die indirekten Exporte von Kraftfahrzeugen über die deutsche Lieferkette von russischen Sanktionen gegen die europäische Automobilindustrie betroffen sein. Wichtiger sind die finanziellen Beziehungen zu Russland, da das Engagement der ungarischen Bank OTP in der russischen Wirtschaft über ihre lokalen Tochtergesellschaften 9% der gesamten Vermögenswerte der Gruppe beträgt.

Trotz der jüngsten Lockerung der öffent-lichen Ausgaben wird für das Haushaltsdefizit im laufenden und den folgenden Jahren weiterhin ein Niveau unterhalb des Grenzwertes von 3% des BIP erwartet. Die Gründe für dieses Defizit liegen einerseits in den ambitionierten Regierungsprogrammen für Gesundheit und Bildung sowie in den von der EU kofinanzierten Infrastrukturprojekten, andererseits tragen die hohen Zinsen auf die Staatsverschuldung (79% des BIP) dazu bei. Zusammen mit dem schwachen Wirtschaftswachstum wird das Defizit zu einer Stabilisierung der Staatsschuldenquote bei fast 80% des BIP in den nächsten Jahren führen – weit über den Kriterien von Maastricht.

Lockere Geldpolitik und stabile Preise

Die Zentralbank hat im Sommer 2012 eine Phase der geldpolitischen Lockerung eingeläutet und den Basiszinssatz als vorsichtigen Impuls zur Belebung der Wirtschaft zwischen August 2012 (von damals 7%) und Juli 2014 (auf einen Zinssatz von 2,1%) 24-mal gesenkt. Nun sollte eine gewisse Anpassungspause eintreten, da der Abwertungsdruck auf die Währung durch die Absenkung des Basiszinssatzes die Bedienung der hohen Fremdwährungsschulden erschweren würde. Außerdem verringert ein solch niedriger Zinssatz wegen der schwindenden Zinsdifferenz zu den fortgeschrittenen Volkswirtschaften die Attraktivität der ungarischen Anleihen.

Zusätzlich hat die Zentralbank zu weniger konventionellen Maßnahmen gegriffen. Unter anderem wurde ein Wachstumsfinanzierungsprogramm (Funding for Growth Scheme – FGS) aufgesetzt, das den Kreditzinssatz für KMU subventioniert und die Umwandlung von Fremdwährungskrediten der KMU in Forint zu unveränderten Refinanzierungsbedingungen ermöglicht. Dieses Programm traf auf großes Interesse seitens der KMU und führte zu einem positiven Kreditwachstum in der Landeswährung seit September 2013.

Seit dem Jahresanfang 2013 konnte eine Verringerung der Inflation festgestellt werden. Die Preissteigerungsrate sank zwischen April und Juni 2014 im Jahresvergleich sogar in den negativen Bereich, da die Wirtschaftsleistung unter ihrem Potential verharrte und vor den Wahlen die Energiepreise für Endkunden reduziert wurden. Diese Preisentwicklung steht im Gegensatz zu den hohen Inflationsraten, die im Gefolge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise auftraten, als Phasen der Wechselkursschwäche (die die Preise importierter Produkte erhöhte) und Steuererhöhungen zu einem Überschreiten des 3%-Ziels der Regierung führten.

Schwachpunkt ­Auslandsverschuldung

Neben dem Niveau der Staatsverschuldung ist die Auslandsverschuldung (die 2013 119% des BIP erreichte) ein weiterer Schwachpunkt. Die Auslandsschulden waren in den Jahren vor der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise vor allem vom privaten Sektor angehäuft worden. Der öffentliche Sektor trug in den Jahren 2008 und 2009 dazu bei, als der IWF und die EU dem Land trotz Spannungen auf dem Finanzmarkt ein Finanzpaket in Höhe von 16% des BIP zur Verfügung stellten.
Aber die Auslandsverschuldung wird reduziert, die ungarische Regierung sowie die Zentralbank zahlten im vergangenen Jahr schon vor den für 2013 und 2014 vereinbarten Terminen alle noch bestehenden Verbindlichkeiten (rund 2,85 Mrd USD) gegenüber dem IWF zurück. Dies war möglich geworden, nachdem die Emission von Auslandsanleihen durch die große Nachfrage sehr erfolgreich war.

Leistungsbilanzüberschuss bietet Schutz

Das mit dem hohen Stand der Auslandsschulden relativ zum BIP verbundene Risiko wird durch mehrere Faktoren gemildert. Zunächst reduzieren die beträchtlichen inoffiziellen Auslandsguthaben die Bruttoauslandsverschuldung (die Nettoauslandsverschuldung erreichte 2013 60,1% des BIP). Außerdem bestehen die Auslandsschulden vor allem aus mittel- bis langfristigen Verbindlichkeiten, was das Risiko einer plötzlichen Umkehr der Kapitalflüsse mildert. Die öffentliche Auslandsverschuldung wird größtenteils von wenigen institutionellen Anlegern (vor allem aus den USA) gehalten, die die Anleihen voraussichtlich bis zum Ende ihrer Laufzeit halten werden. So blieb während der zwei jüngsten Phasen von Kapitalabflüssen aus aufstrebenden Märkten – Mitte 2013 und zu Jahresbeginn 2014, die jeweils nach der Ankündigung einer strengeren Geldpolitik der Fed einsetzten – das internationale Vertrauen in Ungarn vergleichsweise stabil, auch wenn im ersten Quartal 2014 eine Abwertung des Forint um 3,4% gegenüber dem Euro festzustellen war. Ein hoher Leistungsbi-lanzüberschuss und ein angemessener Bestand an Devisenreserven (die die Importe von vier Monaten abdeckten) trugen dazu bei.

Kontakt: c.witte[at]credendogroup.com

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