Vor dem Krieg erwirtschaftete die ukrainische Landwirtschaft 10% des BIP und machte 41% der gesamten Exporte aus. Dabei wurden 14% der Bevölkerung im Agrarsektor beschäftigt. Der Krieg brach kurz vor Beginn der Frühjahrsaatkampagne 2022 aus, was die ukrainischen Landwirte und Agrarunternehmen sehr hart traf. Bereits nach den ersten 12 Monaten der Großinvasion wurden die Schäden und Verluste für den ukrainischen Agrarsektor auf 40,2 Mrd USD geschätzt.

Die Hauptfaktoren für Auswirkungen des Krieges auf den ukrainischen Agrarsektor waren die Reduzierung der Anbaufläche (um ca. 20% im Vergleich zum Jahr 2021), Schäden an Industriegebäuden, Bauwerken und Ausrüstungen, steigende Preise für Düngemittel und Dieselkraftstoff sowie die Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen und dadurch eine Einschränkung der Exportmöglichkeiten. All diese Faktoren verringerten die Einkommen der ukrainischen Landwirte und Agrarunternehmen in erheblicher Weise.

Exportrückgang setzt inländische Weizen- und Maipreise unter Druck

Auch die Unterbrechung von Logistikketten war ein wesentlicher Faktor. Vor dem Krieg wurden 90% der Agrarexporte über die ukrainischen Schwarzmeerhäfen abgewickelt. Im März 2022 betrugen die Getreideexporte lediglich 0,3 Millionen Tonnen, ein Rückgang gegenüber 5,4 Millionen Tonnen zwei Monate zuvor. Die Einrichtung alternativer Routen trug dazu bei, die Getreideexporte auf 1,2 Millionen Tonnen im April 2022 und 2,7 Millionen Tonnen im Juni 2022 zu steigern. Die Beeinträchtigung des ukrainischen Exports hat die inländischen Weizen- und Maispreise unter Druck gesetzt, die zwischen Januar und Juni 2022 um 45% gefallen sind, während sie weltweit um etwa 15% gestiegen sind. Gleichzeitig stiegen die Weltmarktpreise für Getreide.

Die Black Sea Grain Initiative steigerte deutlich die Exporte ab Juli 2022 (bis zu 6-7 Millionen Tonnen pro Monat), die Logistikkosten blieben jedoch sehr hoch. Die Bodenkontamination durch Minenexplosionen wirkte sich auch auf die Verringerung der Anbauflächen selbst in den nicht besetzten Gebieten aus. Die Gesamtfläche der durch Blindgänger, Minen und Trümmer verseuchten Agrarflächen beträgt mehr als 400.000 ha. Tierhaltungsbetriebe stehen vor Herausforderungen im Zusammenhang mit der Produktion und Vermarktung ihrer Produkte. Die größten Herausforderungen sind der Zugang zu Märkten und Käufern, der Zugang zu notwendigen Ressourcen (z.B. zu Futtermitteln, Impfstoffen, Medikamenten, Ausrüstungen) und Arbeitskräften sowie hohe Kraftstoff- und Strompreise oder sogar fehlender Zugang zu Elektrizität.

Aufgrund des Krieges verändern sich auch die üblichen operativen Entscheidungen von ukrainischen Agrarunternehmen. Solche Veränderungen bestehen zunächst in der Einschränkung des Einsatzes von landwirtschaftlichen Ressourcen (z.B. Düngemitteln, Pestiziden und Saatgut), der Diversifizierung von Geschäften (z.B. Marketingforschungen oder Gründungen von neuen Unternehmen) und der Veränderung von Absatzmärkten (z.B. Gewinnung von neuen Kunden). Erwähnenswert sind auch die Faktoren der indirekten Auswirkungen des Krieges auf die Wertschöpfungskette der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Insbesondere die Zahl der Lieferanten von Produktionsmitteln ging im Vergleich zur Vorkriegszeit deutlich zurück, mit Ausnahme der Lieferanten von Futtermitteln und medizinischen Dienstleistungen, die vergleichsweise weniger darunter litten. Eine solche Reduzierung ist nicht nur eine Folge von Problemen bei der Lieferung der notwendigen Ressourcen, sondern auch eine Folge der Preispolitik der Lieferanten, insbesondere beim Einkauf von Dünge- und Futtermitteln.

Angepasste Umsatzstruktur

Die allgemeine Umsatzstruktur blieb insgesamt unverändert, erfuhr jedoch einige Anpassungen. Vor dem Krieg verkauften beispielsweise die meisten ukrainischen Landwirte ihre Produkte an Großhändler, Händler und Verarbeiter. Nach der großangelegten Invasion der russischen Streitkräfte wurde es profitabler, die Produkte von landwirtschaftlichen Betrieben an Verarbeiter zu verkaufen. Das Hauptproblem in diesem Bereich war die Einstellung der Tätigkeit von Produktkäufern sowie deren Unfähigkeit, Vorkriegsmengen zu kaufen oder dem Hersteller akzeptable Preise anzubieten. Nach Angaben der Weltbank stellten durchschnittlich 18% aller kleinen und mittleren ukrainischen Agrarproduzenten aufgrund von niedrigen Einkaufspreisen die Lieferung ihrer Produkte ein.

Vor dem Krieg erwirtschaftete die ukrainische Landwirtschaft 10% des BIP, beschäftigte 14% der Arbeitskräfte und machte 41% der gesamten Exporte aus. Der Krieg brach kurz vor Beginn der Frühjahrsaatkampagne 2022 aus, was den Agrarsektor sehr hart traf. Mit Stand vom 24. Februar 2023 wurden die Schäden und Verluste für den ukrainischen Agrarsektor auf 40,2 Milliarden US-Dollar geschätzt. Gleichzeitig betrug die Schadenshöhe 8,72 Milliarden US-Dollar, während sich der Gesamtschaden auf 31,50 Milliarden US-Dollar belief. Zu den Schäden zählen die teilweise oder vollständige Zerstörung von Maschinen und Geräten, Lagereinrichtungen, Viehbeständen, Fischerei und Aquakultur und von mehrjährigen Nutzpflanzen sowie gestohlene Produktionsressourcen und Produkte. Schäden an Maschinen und Anlagen waren die größte Ursache für den Gesamtschaden, gefolgt von gestohlenen Produktionsmitteln und beschädigten Lagerhallen.

Zu den Verlusten aus dem Krieg zählen vor allem entgangene Gewinne von ukrainischen Landwirten und Agrarunternehmen aufgrund des Rückgangs von Produktionsvolumen (z.B. nicht geerntete Ernten) sowie von Einkaufspreisen (aufgrund der gestörten Exportlogistik) sowie aufgrund von höheren zusätzlichen Produktionskosten (z.B. Düngemittel und Treibstoff sowie Kosten für die Sanierung von kontaminierten Flächen nach deren Untersuchung, Minenräumung und Freigabe).

Wiederaufbaubedarf

Der gesamte geschätzte Rekonstruktions- und Wiederaufbaubedarf der Ukraine übersteigt 411 Mrd USD. Der Bedarf der Landwirtschaft macht davon mindestens 7% aus. Gleichzeitig muss man verstehen, dass der Krieg weitergeht, weil der russische Aggressor derzeit nicht aufhört, die ukrainische Industrieinfrastruktur zu zerstören und zu plündern. Auch die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Einschränkungen werden nicht aufhören und dementsprechend wird noch mehr Schaden angerichtet. Es ist klar, dass sich Schäden und Verluste weiter anhäufen werden, bevor mit dem langfristigen Wiederaufbau und nicht nur mit Notreparaturen begonnen werden kann.

Der Bedarf an Wiederaufbau und Rekonstruktion des ukrainischen Agrarsektors lässt sich in die folgenden Grundkategorien einteilen:

  • Rekonstruktion von landwirtschaftlichen Produktionskapazitäten, einschließlich Ersatz und Reparatur von zerstörten und beschädigten Vermögenswerten (z.B. Ersatz und Reparatur von Lagereinrichtungen, Umpflanzen von mehrjährigen Kulturen, Auffüllung von Nutztierherden usw.);
  • Wiederaufbau von landwirtschaftlichen Produktionskapazitäten, einschließlich der Bereitstellung von Ressourcen, öffentlichen Dienstleistungen und Präferenzen für ukrainische Agrarproduzenten, die es ihnen ermöglichen, ihre Produktion wieder aufzunehmen;
  • Modernisierung von landwirtschaftlichen Produktionskapazitäten, die nicht nur darauf abzielen sollte, deren Vorkriegszustand wiederherzustellen, sondern auch die Produktionsprozesse zu verbessern, neue Technologien einzuführen und neue Standards zu entwickeln, um die Produktionseffizienz und die Kompatibilität der jeweiligen Produkte mit den Weltmärkten zu erhöhen;
  • Wiederaufbau der Exportinfrastruktur unter Berücksichtigung der Lehren aus dem Krieg. Ein solcher Wiederaufbau sollte nicht nur die Wiederherstellung der beschädigten Infrastruktur umfassen, sondern auch die Schaffung eines diversifizierten Logistiksystems, das gegen äußere Einflüsse resistent ist. Beispielsweise ist es notwendig zu verstehen, welche Rolle den Landwegen für den Export von landwirtschaftlichen Produkten aus der Ukraine zukommt. Unter Berücksichtigung der Perspektive der EU-Mitgliedschaft der Ukraine sind Investitionen in die Verbesserung der Straßen- und Eisenbahnverbindungen in westlicher Richtung, die Entwicklung von Donauhäfen und Technologien zur Überwindung der verschiedenen Spurweiten des ukrainischen und andererseits des europäischen Eisenbahnnetzes gerechtfertigt und notwendig;
  • Minenräumung und Rekultivierung von landwirtschaftlichen Flächen, die infolge des militärischen Konflikts kontaminiert wurden, einschließlich der Entfernung von nicht explodierter Munition, von Überresten der zerstörten militärischen Ausrüstung sowie von Trichtern, Schützengräben und anderen Befestigungsanlagen;
  • Erleichterung des Zugangs zu Finanzierung. Private Investitionen sind nicht nur für die Rekonstruktion, sondern auch für die langfristige Entwicklung erforderlich. Dies ist insbesondere für kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe erforderlich, die nicht über eine Bonitätshistorie, ausreichende Sicherheiten und eine transparente Finanzberichterstattung verfügen. Einer der notwendigen Schritte auf diesem Weg ist die Möglichkeit der Verpfändung von landwirtschaftlichen Flächen oder Nutzungsrechten daran (in der Ukraine arbeiten die meisten Agrarproduzenten auf gepachteten Flächen).
  • ausgewogener Ansatz zur Unterstützung von grundlegenden landwirtschaftlichen Produktions- und Verarbeitungskapazitäten. Ein aktuelles Diskussionsthema in der Agrarwelt sind beispielsweise Aufforderungen zur Steigerung der Wertschöpfung in der ukrainischen Agrarproduktion und im Agrarexport. Es wird angenommen, dass es besser ist, statt des Exports von Rohprodukten (Getreide und Ölpflanzen) z.B. die Viehzucht auf dieser Grundlage zu entwickeln und Milch- und Fleischprodukte mit hoher Wertschöpfung zu exportieren. Allerdings, sobald die Ukraine ein EU-Mitglied wird, unterliegt sie den EU-Vorschriften in den Bereichen Tierschutz, Beförderung von lebenden Tieren, Standards für Schlachthöfe, Lebensmittelsicherheitsvorschriften usw. Dies würde zu einem Anstieg von Produktionskosten der ukrainischen Agrarverarbeiter führen und könnte einige der offensichtlichen komparativen Vorteile der Ukraine verringern oder zunichte machen;
  • Berücksichtigung von Reformen, die auf die EU-Integration und die Aussicht auf einen EU-Beitritt der Ukraine bezogen sind. Es ist wahrscheinlich, dass die EU die wichtigste Geberquelle für den Wiederaufbau und die Rekonstruktion der Ukraine sein wird, mit welcher andere globale Geber wie die Weltbank und die EBWE ihre Hilfe koordinieren werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Landwirtschaft in der EU über eine umfassende europaweite Regulierung von Märkten und Standards in den Bereichen landwirtschaftliche Tätigkeit, Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Tierschutz verfügt. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der Gebermittel in den Wiederaufbau des ukrainischen Agrarsektors unter Berücksichtigung dieser europäischen Standards fließen wird;

Generell wird erwartet, dass die Aussicht auf den EU-Beitritt zur Rekonstruktion und zum Wiederaufbau beitragen und attraktivere Bedingungen für ausländische Investitionen in der Ukraine schaffen wird. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die mit einer solchen Aussicht verbundenen Reformen und Verpflichtungen potenziell die Möglichkeiten der traditionellen Agrarpolitik für die Ukraine im Rahmen ihrer Vereinbarkeit mit dem EU-Beitritt einschränken können.

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