Als die Covid-19-Pandemie den internationalen Handel lähmte und Lieferketten zum Stillstand brachte, wurde angenommen, dass die Unterbrechungen der Lieferketten vorübergehend sein würden. In vielen Branchen richten sie jedoch weiterhin Chaos an. Die Schwierigkeiten ergeben sich aus einer Kombination aus vorläufigen und strukturellen Faktoren.

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Mit der Wiedereröffnung der Volkswirtschaften hat sich auch die weltweite Nachfrage schnell erholt. Dies erklärt sich zum Teil durch die während der Pandemie angehäuften Ersparnisse, die sehr günstige Steuer- und Geldpolitik sowie die umfangreichen Konjunkturprogramme, die weltweit umgesetzt wurden und vor allem auf ökologischen Wandel abzielen. Dieser Wandel verbraucht viel Metall, Holz und Energie (mehr Gas und weniger Kohle). Auf der Verbraucherseite verdeutlichen viele Zahlen den jüngsten Anstieg der Verbrauchernachfrage, wie die hohe Zahl der in den Vereinigten Staaten verkauften (stahl- und aluminiumintensiven) Fahrzeuge im April 2021 (laut U.S. Bureau of Economic Analysis so hoch wie seit 2005 nicht mehr) und der Verkauf neuer Häuser in den USA, der einen 14-Jahres-Rekord erreicht und u.a. viel Holz und Zement verbraucht. Während die Nachfrage groß ist, kann das Angebot nur schwer Schritt halten.

Warenangebot bleibt hinter Nachfrage zurück

Die starke Nachfrage bei gleichzeitig begrenztem Angebot hat viele Folgen, u.a. für die Rohstoffpreise. Viele Rohstoffpreise sind seit Anfang des Jahres aufgrund von Ungleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage sowie aufgrund von Wetterbedingungen, Unterbrechungen infolge von Covid-19, OPEC+-Beschlüssen, Naturkatastrophen und Arbeitnehmerstreiks in kritischen Produktionsstätten in die Höhe geschossen. Der Anstieg der Rohstoffpreise wirkt sich auf die Gewinnspanne von Herstellern aus, die von Rohstoffen abhängig sind. Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage hat nicht nur Folgen für die Rohstoffe, sondern auch für den Preis und die Verfügbarkeit von Zwischenprodukten (z.B. Halbleiter) und Arbeitskräften.

In Anbetracht dieser schwierigen Situation haben Unternehmen oft keine andere Wahl, als diese Preiserhöhungen ganz oder teilweise an die Verbraucher durchzureichen, was die Inflation anheizt. In einigen Fällen bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Produktion zu drosseln (u.a. aufgrund von Material- und Arbeitskräftemangel) oder in Ausnahmefällen die Produktion vorübergehend einzustellen (z.B. die großen industriellen Düngemittelfabriken des Vereinigten Königreichs und der Automobilsektor). Laut einer Umfrage unter europäischen Herstellern ist der Mangel an Material und/oder Ausrüstung das größte Produktionshemmnis. Die am stärksten von den Lieferengpässen betroffenen Sektoren sind die Automobilindustrie, die Elektrogeräteindustrie, die Werkstoffindustrie, der Transportsektor und das Baugewerbe. Laut einer OECD-Analyse hat die Entfernung, die importierte Produkte zurücklegen, im Jahr 2020 zugenommen. Das lässt sich teilweise auf die vielen weltweiten Lockdowns zurückführen, die die Produktion beeinträchtigt haben. Daher wandten sich die meisten importierenden Unternehmen an China (und die Region Südostasien), um die von westlichen/näher gelegenen Unternehmen hinterlassene Versorgungslücke zu schließen.

Diese Zunahme der Entfernungen, über die Waren transportiert werden, sowie der Wettbewerb zwischen den Importeuren, um den Transport aus China zu sichern, haben somit zum Anstieg der Transportkosten beigetragen. Unternehmen müssen nicht nur Lieferanten wechseln, sondern sehen sich auch mit Problemen bei der Lieferung ihrer Bestellungen konfrontiert, was zu einem weiteren Kostenanstieg führt. Die weltweite Schifffahrt leidet nach wie vor unter einem Mangel an Schiffen, Verspätungen und Staus in den Häfen als Folge der steigenden Nachfrage nach Warentransporten, was wiederum einen Mangel an Containern zur Folge hat, sowie unter Problemen im Zusammenhang mit Covid-19, die zu sporadischen Hafenschließungen führen. Die Lage spitzte sich durch die Blockade des Suezkanals im März 2021 und die Schließung internationaler Häfen zu, wie die Schließung eines Terminals des chinesischen Hafens von Ningbo im August 2021 zeigte.

Geopolitische Spannungen behindern zusätzlich

Lieferketten werden auch sehr stark vom geopolitischen Kontext beeinflusst. Insbesondere die Technologie ist neben den Engpässen aufgrund der sehr starken Nachfrage- und Versorgungsprobleme zu einem geopolitischen Thema geworden. Halbleiter sind dabei Teil des Streits zwischen den USA und China, in den Taiwan hineingezogen wird. Die USA haben Sanktionen gegen den Sektor verhängt, mitunter zum Nachteil ihrer eigenen Indus-trie, um die Entwicklung chinesischer Technologien einzudämmen, was die Unternehmen dazu veranlasst hat, ihre Logistikstrategien zu revidieren.

Außerdem sind Lieferketten oft nicht vollständig durchschaubar, auch nicht für die verschiedenen Beteiligten derselben Lieferkette. Das macht es unmöglich, die unterschiedlichen Liefer- und Transportengpässe zu identifizieren und somit eine Lösung zu finden. Darüber hinaus sind die Lieferketten je nach Sektor geografisch sehr weit verstreut und weisen eine große Anzahl an Lieferanten auf. Das trifft z.B. auf Automobile zu, für die mehr als 30.000 Einzelteile benötigt werden, was die Lieferketten noch komplizierter macht. Wenn die Lieferketten unterbrochen werden, steigen die Preise, grundlegende oder hochentwickelte Materialien sind weniger verfügbar. Importeure konkurrieren darum, den kleinsten Container auf einem Frachtschiff zu füllen. Infolgedessen verfügen die Unternehmen über nur geringe Lagerbestände. US-Unternehmen haben für 38 Tage Lagerbestände (im „normalen“ Jahr 2019 waren es 43 Tage), im Einzelhandel ist diese Zahl sogar noch niedriger (33 Tage im Juli 2021 gegenüber 44 Tagen für das „normale“ Jahr 2019). Zu Beginn der Pandemie waren die Lagerbestände sehr hoch.

Kurzfristig dürften die Unterbrechungen der Lieferketten auch 2022 anhalten, aber allmählich nachlassen. Weitere mögliche Rückschläge könnten die Störungen jedoch bis 2023 verlängern. Alles in allem könnten Unterbrechungen in der Lieferkette zwar den laufenden Wirtschaftsaufschwung begrenzen, sie werden ihn aber wahrscheinlich nicht aufhalten, da andere Faktoren wie große Infrastrukturpläne in den USA, der europäische Aufbauplan „Next Generation EU“ und die starke Nachfrage die Auswirkungen von Engpässen in der Lieferkette höchstwahrscheinlich ausgleichen werden.

Neuaufstellung der Lieferketten

Die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen für die Lieferkette führen außerdem dazu, dass Unternehmen sich neu positionieren. Das derzeitige Just-in-Time-Lieferkettenmodell mit einer Vielzahl von Lieferanten in einer Vielzahl von Ländern hat einige Schwächen aufgezeigt. Heutzutage scheint das Thema der Rückverlagerung (Reshoring) der Industrieproduktion immer mehr an Bedeutung zu gewinnen. Obwohl das Thema Rückverlagerung nicht neu ist – nach dem von Donald Trump ausgelösten Handelskrieg wurde es bereits diskutiert und in einigen Fällen von Unternehmen wie Ford, Whirlpool, Harley-Davidson und Universal Electronics umgesetzt –, wirkte Covid-19 als Katalysator. Der Übergang von einer globalen zu einer regionalen Lieferkette dürfte jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen und viele regionale Unterschiede aufweisen.

Die Handelsbarrieren (z.B. Subventionen, Zölle, Quoten, Vorschriften, Sanktionen), die vor der Pandemie aufgrund geopolitischer Spannungen eingeführt wurden, werden nicht so bald verschwinden. Im Gegenteil, solche Praktiken dürften in den kommenden Jahren noch zunehmen. Insbesondere der Transfer von technischem Design und Ausrüstung zwischen Volkswirtschaften und multinationalen Unternehmen dürfte zunehmend Gegenstand staatlicher Eingriffe werden. Das dürfte außerdem zur Entwicklung regionaler Produktionskapazitäten führen, insbesondere in den Bereichen Technologie (siehe das Beispiel Halbleiter) und lebenswichtige Medikamente (wie die aktuelle Gesundheitskrise zeigt).

Der Übergang zu regionalen Lieferketten und die Entwicklung regionaler Produktionskapazitäten dürften mit neuen Investitionen in Technologie (Internet der Dinge, 5G, Künstliche Intelligenz usw.) und Automatisierung einhergehen. Das könnte zur Umstrukturierung ganzer Sektoren (z.B. Einzelhandel, Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrt) und zu einem Missverhältnis auf dem Arbeitsmarkt führen. Mittel- bis langfristig ist daher mit einer Umverteilung von Kapital und Arbeit in großem Ausmaß zu rechnen. Die Anpassung könnte einige Zeit in Anspruch nehmen und der derzeitige wirtschaftliche Übergang könnte noch viel länger dauern (wie der Brexit zeigt).

Ausführliche Länderberichte finden Sie auf der Seite www.credendo.com.

k.koch@credendo.com

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