1963 war der Stadtstaat noch eine kleine britische Kolonie. Seither legte Singapur einen gesellschaftlichen und ökonomischen Aufstieg hin, der seinesgleichen sucht. Heute ist die tropische Insel mit ihren fast sechs Millionen Einwohnern ein bedeutender Finanzplatz und die bestens vernetzte Handelsdrehscheibe Südostasiens, was sich durch die Corona-bedingte Verschiebung von Lieferketten noch weiter verstärken dürfte.
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Singapur hat sich zu einem der wohlhabendsten Staaten weltweit entwickelt. In den 1960er Jahren dominierten in den teils hoffnungslos überfüllten Wohnvierteln noch Analphabetismus, Armut und Arbeitslosigkeit. Nach einem kurzen Intermezzo unter malaysischer Flagge wurde Singapur unter Lee Kuan Yew unabhängig. Die Entwicklung seither ist beeindruckend. Der einflussreiche Stadtstaat ist weltweit gut vernetzt, wirtschaftlich, aber auch gesellschaftlich und politisch. Seit November 2019 gibt es zwischen dem ASEAN-Mitglied und der Europäischen Union ein eigenes Freihandelsabkommen. Schon bald nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs hat die singapurische Regierung vor den Vereinten Nationen den Angriff Russlands verurteilt und viele Sanktionen des Westens übernommen. Seit 2004 führt Lees ältester Sohn Hsien Loong den Stadtstaat; er soll demnächst vom amtierenden Finanzminister Lawrence Hong abgelöst werden.
Singapur will bei den Erneuerbaren an der Spitze mitspielen
2021 hatte Singapur mit knapp 70.000 USD eines der höchsten BIP pro Kopf weltweit. Mehr als zwei Drittel der Volkswirtschaft entfallen auf den Dienstleistungs- und Bankensektor, ein Drittel auf die Industrie. Singapur ist ein pulsierendes Finanzzentrum mit rund 120 Kreditinstituten, darunter auch die größten Banken Asiens wie die DBS Group, die Overseas Chinese Banking und die United Overseas Bank. Man verfolgt einen sehr offenen und globalen Ansatz, der im sog. Singapore Financial Data Exchange manifestiert ist. Die Bevölkerung kann ohne großes Federlesen all ihre Finanzdaten abrufen.
Der Energiehunger Singapurs wird zwar nach wie vor zum größten Teil durch indonesisches Gas gestillt. Bei den erneuerbaren Energien will Singapur aber künftig ebenfalls an der Spitze mitspielen. Das ist auch notwendig, denn die Erwärmung nimmt auf der Insel nahe des Äquators mittlerweile bedrohliche Ausmaße an. Die Temperaturen steigen dort doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt.
Bei der Digitalisierung nimmt die Inselrepublik bereits eine absolute Vorreiterrolle ein. Längst gibt es dort funktionierende Praxistests für selbstfahrende Fahrzeuge, Postverteilung via Drohnen oder Pflege durch Roboter. Dazugehörige Hilfsmittel sind 5G-Netzwerke oder Gesichtserkennungen. Auch in puncto Stadtvernetzung ist man seiner Zeit voraus: Planung, Entwicklung, Steuerung, Überwachung – vieles erfolgt in Singapur vollautomatisiert. Die Smart City lässt grüßen. Wirtschaft, Wissenschaft und Staat bilden bei vielen Vorhaben eine Einheit. Die Corona-Warn-App kam binnen weniger Wochen an den Start – mit wesentlich mehr Funktionen als in Deutschland. Auch Behördenvorgänge können problemlos digital abgewickelt werden.
Die Landwirtschaft spielt in dem kleinen Stadtstaat hingegen fast keine Rolle. Dadurch ist Singapur in starkem Maße auf den Import von Lebensmitteln und Rohstoffen angewiesen. Demgegenüber werden vor allem elektronische und chemische Erzeugnisse ausgeführt. Singapur hat nach Umschlagstonnen den zweitgrößten Güterhafen auf der Welt nach Shanghai. Die wichtigsten Handelspartner sind die benachbarten Länder Malaysia und Indonesien sowie China, Japan und die USA. Auch der internationale Flughafen von Singapur gilt als wichtige Drehscheibe, etwa für Manager oder für Touristen auf dem Weg nach Australien.
Beliebtes Ziel von ausländischen Direktinvestitionen
So wundert es nicht, dass der floriende Stadtstaat ein sehr beliebtes Ziel von ausländischen Direktinvestitionen ist, ganz aktuell auch in diesem Jahr. Die USA und die frühere Kolonialmacht Großbritannien stehen hier ganz vorne. Doch auch für deutsche Unternehmen ist der geografisch und logistisch günstig gelegene Standort wichtig. So werden von Singapur aus sowohl Australien und Neuseeland als auch die südostasiatischen Staaten, aber auch andere asiatische Länder bedient. Derzeit sind nach Informationen von Germany Trade & Invest (GTAI) rund 2.200 Unternehmen aus der Bundesrepublik in dem Stadtstaat registriert, obgleich die Standortkosten relativ hoch sind. Viele davon haben sogar ihre asiatischen Firmenzentralen vor Ort. Die Metropole gilt zudem als eine Art Mekka für Messen und Meetings.
Singapur profitiert von der Verschiebung der Lieferketten im Zuge der Corona-Pandemie. Das BIP erreichte bereits im dritten Quartal 2021 annähernd das Vor-Corona-Niveau. Die Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr um satte 7,6%, war 2020 allerdings auch um 5,4% eingebrochen. Besonders stark aufgeholt hat die Indus-trieproduktion. High-Tech-Güter „made in Singapore“ sind weltweit gefragt, allen voran Halbleiter, Elektronikgüter und Präzisionsgeräte. Passend dazu haben Singapurs Ausfuhren in den ersten sechs Monaten dieses Jahres weiter kräftig zugelegt.
Fläche entspricht der Hamburgs
Auch mit der Bauindustrie ging es im vergangenen Jahr wieder zweistellig nach oben. Die Branche ist in starkem Maße von Wanderarbeitern aus Südasien abhängig, die nach Ausbruch der Corona-Pandemie nicht mehr ins Land gekommen sind. Auf Singapurs Immobilienmarkt gibt es ohnehin ein großes Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Die Regierung reagierte, indem sie eine Erwerbssteuer insbesondere für kaufkräftige Ausländer einführte. Der fehlende Platz ist generell das größte Problem des Stadtstaates. Die Fläche entspricht in etwa derjenigen Hamburgs, bei einem Vielfachen an Einwohnern. Auch wenn die Einwanderungspolitik Singapurs insgesamt als restriktiv gilt, leben mehr als eine Million Migranten vor Ort, inkl. Gastarbeiter. Neben der Baubranche sind auch Tourismuswirtschaft, Gastronomie sowie der Einzelhandel durch die Covid-Beschränkungen besonders stark eingebrochen, während die Umsätze im Onlinehandel regelrecht explodiert sind.
Singapur hat sich frühzeitig von der Welt abgeschottet, ist Anfang 2022 aber auch als eines der ersten asiatischen Länder zur Normalität zurückgekehrt. Auch wenn der Ukraine-Krieg geografisch weit weg ist und die wirtschaftlichen Verflechtungen mit dieser Region gering sind: Allein durch die Preissteigerungen von Rohstoffen und Nahrungsmitteln trifft dieser Konflikt auch den Stadtstaat. Hinzu kamen die Lockdowns in großen chinesischen Städten wie Schanghai und Peking, die die Knappheiten von Vorprodukten jeglicher Art verstärkt haben. Einen global vernetzten Fertigungsstandort wie Singapur treffen solche Engpässe hart. So erwarten Experten zwar auch in diesem Jahr noch eine positive Entwicklung, das BIP-Wachstums dürfte sich aber auf unter 4% abschwächen.
Auch der steigende Inflationsdruck wird immer mehr zum Bremsklotz. 2021 stiegen die Preise noch lediglich um 1,6%. Doch in diesem Jahr hat auch in Singapur die Inflation kräftig angezogen. So kletterte der Verbraucherpreisindex im Juli mit 7% auf den höchsten Stand seit 14 Jahren. Die heimische Notenbank hat bereits im vergangenen Oktober ihren expansiven Geldkurs beendet – und seither diverse Maßnahmen umgesetzt. Die nächste Entscheidung steht in wenigen Wochen an. Die Staatsverschuldung ist in Singapur ebenfalls hoch. Denn sie beträgt mittlerweile über 150% des BIP – und entspricht damit relativ betrachtet etwa dem Niveau Italiens. Mit Japan hat nur ein Land Asiens eine höhere Schuldenquote als der Stadtstaat. Die Arbeitslosenquote ist in Singapur hingegen fast schon traditionell sehr gering. Seit Mitte 1985 hat sie in jedem Jahr unter 4% gelegen. Mehrmals war sie sogar unter 2%, was unter Volkswirten wegen der üblichen Fluktuation als Vollbeschäftigung gilt. Durch die Corona-Pandemie stieg die singapurische Arbeitslosenquote kurzzeitig etwas an, liegt aber mittlerweile schon wieder nahe bei 2%. Diese hohe Beschäftigung hat auch den Konsum wieder beflügelt.
Singapur an der Seite des Westens
Singapur könnte künftig weiter von der Neujustierung der Lieferketten, seiner technologischen Stärke und des florienden Dienstleistungssektors profitieren. Denn die Standortqualität des Stadtstaates ist v.a. für Unternehmen hoch, aber auch die Touristen strömen längst wieder dorthin. Durch seine Sanktionen gegen Russland hat sich Singapur frühzeitig an die Seite des Westens gestellt, gleiches gilt bei der Taiwan-Frage. Auch für deutsche Firmen dürfte die Insel so eine wichtige Adresse bleiben, wenn nicht sogar weiter an Bedeutung zulegen.