Eine Kooperation ambitionierter Mode- und Textilunternehmen tritt für einen nachhaltigen Umgang mit endlichen Ressourcen ein. Die Sustainable Fashion League Brazil (SFLB) will die Zukunft der brasilianischen Mode- und Textilindustrie neu definieren.
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Denkt man über den Klimawandel und die ökologischen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte nach, so kommt man an einem Konzept aktuell kaum noch vorbei: Nachhaltigkeit. Sowohl in mittelständischen Betrieben als auch in multinationalen Konzernen, in wohlhabenden Industrienationen als auch in aufkommenden Schwellen- und Entwicklungsländern: Die enorme Bedeutung einer nachhaltigen Lebensweise, die unsere natürlichen Ressourcen und damit unseren Planeten schont, ist heute fester Bestandteil unzähliger Firmenleitbilder und Politikerreden. Blickt man auf die brasilianische Rolle im weltweiten Aufbruch für Nachhaltigkeit und Klimaschutz, rückt mit der Sustainable Fashion League Brazil (SFLB) eine nationale Initiative der Mode- und Textilindustrie in den Fokus.
Erste Gespräche im Oktober 2020
Im Oktober 2020 begannen neun Mode- und Textilunternehmen (Cedro, Contextura, Dellas Thork, Digitale, Lunelli, Gato Mia, Santista, Textilfio and Vicunha) mit ersten Gesprächsrunden, die bis zum Juni 2021 vielfältige Perspektiven für eine Internationalisierung des landeseigenen Mode- und Textilsektors hervorbrachten. Unterstützt von interdisziplinären Experten sowie der brasilianischen Handels- und Investitionsagentur Apex-Brasil, diskutierten die Vertreter der brasilianischen Mode- und Textilindustrie gemeinsam über die Erschließung internationaler Märkte mit nachhaltiger Ausrichtung. Dabei kamen neben Fragen zur Kreislaufwirtschaft auch potenziell neue Materialien und Nachhaltigkeitszertifikate zur Sprache, um nachhaltigen brasilianischen Unternehmen den Weg in den globalen Markt zu ebnen. Die involvierten Unternehmen hatten zudem dauerhaften Zugriff auf verschiedene thematische Module, die sich in über acht Stunden mit dem Klimawandel, der Kreislaufwirtschaft oder Nachhaltigkeitszertifikaten auseinandersetzten. Darüber hinaus arbeiteten die Teilnehmer individuell an möglichen Prioritäten, Richtlinien und Aktionsplänen, um die erfolgreiche Durchführung der eigenen Pläne zu garantieren. Für die beteiligten Unternehmen stehen dabei die Bedeutung von Diversität und Inklusion, die Erreichung der selbst auferlegten Nachhaltigkeitsziele sowie die Entwicklung geeigneter Verfahren zur Verbesserung der Kreislaufwirtschaft an oberster Stelle ihrer Gesamtstrategie.
Wege zu mehr Nachhaltigkeit
Obgleich alle beteiligten Unternehmen sich auf eine gemeinsame Vision verständigen und kollektive Leitlinien formulieren konnten, bringt jeder einzelne Teilnehmer spezifische Nachhaltigkeitsprojekte in die SFLB ein:
Cedro, ein fast 150 Jahre altes Unternehmen, hat sich bspw. in den vergangenen Jahren verstärkt der Entwicklung brasilianischer Nanotechnologie gewidmet, die auf organischen Verbindungen basiert und einen hocheffektiven Wirkmechanismus gegen SARS-CoV-2 generieren kann.
Contextura legt einen besonderen Wert auf Slow Fashion, also Kleidung, die überdurchschnittlich lange getragen werden kann. Darüber hinaus greift das Unternehmen auf das sogenannte Circular-Design zurück. Darunter versteht man den Ansatz, Kleidung so zu entwickeln, dass möglichst gar kein Abfall entsteht und auch gebrauchte Stücke weiterverwendet werden können.
Auch Dellas Thork verfolgt einen individuellen Pfad auf dem Weg zu einer ökologisch nachhaltigen Produktionsweise: Als einer der ersten brasilianischen Kleidungshersteller bezieht das Unternehmen 100% seiner Energie aus Sonneneinstrahlung. In nur gut zwei Monaten der Umstellung auf Solarenergie hat Dellas Thork seine CO2-Emissionen insgesamt um etwa 10 t reduziert – das Äquivalent zu 300 gepflanzten Bäumen. Zudem werden Teile aus endlichen Ressourcen wie Plastik an mehreren Stellen im Produktionsprozess wiederverwendet, wodurch die Klimabilanz weiter aufgebessert wird.
Das Unternehmen Digitale setzt in der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie hingegen verstärkt auf digitale Druckverfahren, die im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren zehnmal weniger Wasser verbrauchen. Außerdem ist das genutzte Wasser nicht nur frei von Schwermetallen, sondern wird auch zu 100% für weitere Arbeitsprozesse recycelt.
Auch Lunelli arbeitet auf dem Weg zu einer nachhaltigen Produktion mit einer spezifischen Herangehensweise, indem bspw. eigene Abfälle im Sinne der Kreislaufwirtschaft wiederverwendet und nicht etwa final entsorgt werden. Im Oktober 2021 rief die Marke ihr „Circular Fashion Movement“ offiziell ins Leben.
Das Konzept von Santista basiert demgegenüber auf einem speziellen Weichmacher, der zu 100% aus der brasilianischen Frucht Cupuaçu gefertigt wird. Darüber hinaus wird beim Bügeln auf biologisch abbaubare Materialien zurückgegriffen, die aus modifizierter Maniokstärke und Rückständen aus der Produktion von Kartoffelchips gewonnen werden. Für die Neutralisierung seiner Abwässer nutzt das Unternehmen CO2, das sonst in die Atmosphäre gelangen würde, und verzichtet dafür auf die üblicherweise verwendete Schwefelsäure.
Die Produkte von Textilfio werden mithilfe spezieller Fertigungsmechanismen auf eine eigens entwickelte Art und Weise produziert, die nicht nur viermal weniger Wasser verbraucht, sondern auch 100% natürliche Materialien nutzt.
Das Pionierprojekt Vicunha verwendet hingegen seine ganz eigene Metrik, um den Wasserverbrauch bei der Produktion von Jeanshosen zu bestimmen und von der Baumwollplantage bis zum Verbraucher möglichst gering zu halten.
Und für den Kindermodehersteller Gato Mia geht es bei der Herstellung seiner Produkte besonders um die Einhaltung eines nachhaltigen Produktionszyklus, der während des gesamten Verarbeitungsprozesses eine minimale Emissionshöhe ermöglichen soll.
Diese ausgewählten Projekte der beteiligten Unternehmen zeigen, dass in der brasilianischen Mode- und Textilindustrie zahlreiche Ideen und Konzepte existieren, um dem Klimawandel effektiv entgegenzutreten. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob und inwiefern sich weitere Unternehmen der SFLB anschließen, um die brasilianische Wirtschaft auf einen nachhaltigen Kurs zu führen, der global Aufmerksamkeit generiert.
Zukunftsfokus auf gemeinsamer Öffentlichkeitsarbeit
Die SFLB wird in der Zukunft versuchen, die Dringlichkeit der globalen Nachhaltigkeitsagenda verstärkt in die Öffentlichkeit zu tragen. Dazu sollen sowohl Content-Marketing-Maßnahmen genutzt als auch klassische internationale PR-Arbeit betrieben werden. Die beteiligten Unternehmen wollen dabei als kollektiver Akteur auftreten, der die individuellen Projekte in den Vordergrund stellt und die Positionierung der Gruppe auf dem internationalen Parkett verbessert. Insbesondere solche Märkte, die für ihre Nachhaltigkeitsstandards weltweite Reputation genießen und wichtige Exportziele darstellen, sollen zukünftig stärker in den Blick genommen werden. Dazu gehören vor allem die europäischen Märkte, im besonderen Deutschland und die Niederlande.
Die vorgestellten Gründungsmitglieder der SFLB stehen stellvertretend für eine ganze Reihe weiterer brasilianischer Unternehmen und Institutionen, die in den vergangenen Jahren den Weg zu einer nachhaltigeren Lebens- und Produktionsweise eingeschlagen haben. Der Klimawandel, der nicht zuletzt von der Gesundheit der brasilianischen Amazonasregion abhängt, stellt die lokalen Player vor eine besondere Verantwortung. Cedro, Contextura, Dellas Thork, Digitale, Lunelli, Gato Mia, Santista, Textilfio and Vicunha haben nun einen ersten Schritt in Richtung einer ökologischen und zukunftsfähigen Produktionsweise unternommen, der in der nächsten Zeit hoffentlich zahlreiche Nachahmer finden wird.
maria.velloso@apexbrasil.com.br
Hinweis: Das Projekt wurde von interdisziplinären Experten und von Texbrasil, einem Programm zur Internationalisierung der brasilianischen Textil- und Modeindustrie, unterstützt. Es ist das Ergebnis einer Partnerschaft zwischen der brasilianischen Handels- und Investitionsagentur Apex-Brasil und Abit, dem brasilianischen Verband der Textil- und Bekleidungsindustrie.