Trotz niedriger CO2-Emissionen wird Lateinamerika in hohem Maße von den Folgen des Klimawandels in Form von häufigen Dürren, Überschwemmungen und schweren Hurrikans getroffen. Die Region hat große Vorkommen an strategischen Mineralien und bezieht im geopolitischen Kräftemessen eine überwiegend neutrale Position. Dadurch könnte Lateinamerika beim Klimawandel weiterhin eine Vorreiterrolle einnehmen.

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Lateinamerikanische Staaten, insb. Südamerika, verursachen weniger Treibhausgase als der Rest der Welt (siehe nachfolgende Grafik). Auch im Hinblick auf den CO2-Ausstoß pro Kopf erzielt Lateinamerika gute Werte. Das Land mit dem höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf ist Venezuela, das unter den weltweit 241 Staaten den 92. Platz einnimmt. Diese niedrigen Emissionen sind in erster Linie auf die geringe wirtschaftliche Abhängigkeit von Öl und Gas zurückzuführen.

Gesamte CO2-Emissionen nach Kontinenten im Zeitverlauf (gemessen in Mrd t an CO2-Äquivalenten). © Credendo/Our World in Data

Gleichzeitig weist die Region den höchsten Anteil erneuerbarer Energiequellen an der Stromerzeugung auf. Laut Angaben der Internationalen Energieagentur stammen 30% der gesamten verbrauchten Energie Lateinamerikas aus erneuerbaren Energiequellen, vorwiegend aus Wasserkraft. Dies steht in scharfem Kontrast zum Rest der Welt, der seinen Energieverbrauch zu lediglich 12% mit erneuerbaren Energien deckt. Außerdem gelingt es Paraguay, Uruguay und Costa Rica, nahezu 100% des Stroms aus Erneuerbaren zu erzeugen, was Lateinamerika zum globalen Spitzenreiter in Sachen sauberer Energie macht.

Geothermie mit großem Potenzial

Dessen ungeachtet gibt es noch zahlreiche weitere Ansätze, die verfolgt werden können, um den Einsatz der erneuerbaren Energien in der Region zusätzlich zu erhöhen. Die Abhängigkeit Lateinamerikas von fossilen Brennstoffen ist weiterhin recht hoch. Ein Beispiel für eine vielversprechende erneuerbare Energiequelle, deren Potenzial nicht vollständig ausgeschöpft wird, ist die Geothermie: Lateinamerika liegt auf dem Pazifischen Feuerring und verfügt über ein gigantisches Netz an Vulkanen. Geothermische Quellen sind bisher jedoch weitgehend unerforscht und es werden lediglich 5% des geschätzten geothermischen Potenzials der Region genutzt. Bevor dieser Ansatz weiterentwickelt werden kann, muss die Region allerdings die entsprechenden Vorschriften und Strategien ausarbeiten, um Investitionen zu stützen.

Trotz seiner führenden Position in der Erzeugung sauberer Energie ist Lateinamerika den Klimaveränderungen besonders stark ausgesetzt. In den vergangenen Jahren kam es zu schwereren und häufigeren Dürren, extremeren tropischen Stürmen sowie Gletscherseeausbrüchen. Diese Naturkatastrophen bedrohen die gesamte Region, wenn auch in unterschiedlichem Maße (vgl. nachfolgende Grafik); die Länder mit der höchsten Anfälligkeit für die Auswirkungen des Klimawandels belegen einen höheren Platz auf dem ND-GAIN-Anfälligkeitsindex. Dieser Index gibt Auskunft über die langfristige Anfälligkeit und Empfindlichkeit eines Landes (z.B. durch Abhängigkeit von einer durch Klimagefahren beeinträchtigten Branche oder den Anteil der Bevölkerung, der von den Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen ist) sowie über seine Fähigkeit, sich an die negativen Folgen des Klimawandels anzupassen.

Empfindlichkeit für Klimaschäden (ND-GAIN-Index). © Credendo

Haiti hat in der Region den höchsten Index, da es das höchste Dürrerisiko aufweist, gleichzeitig jedoch anfällig für tropische Stürme ist und niedrige Anpassungskapazitäten hat. Auch andere karibische Inseln stehen weit oben, da viele von ihnen im Hurrikan-Gürtel liegen, wo tropische Stürme bedingt durch den Klimawandel stärker und häufiger werden, was wiederum schwere wirtschaftliche Folgen hat – insb. für die kleineren karibischen Inseln.

Des Weiteren hat die gesamte Region in den vergangenen Jahren mit extremeren Dürren zu kämpfen, die auf den Klimawandel und lokale Entwaldung zurückzuführen sind (etwa im Amazonasgebiet). Bis 2022 wurde Südamerika drei Jahre in Folge vom Wetterphänomen La Niña getroffen (ein seltener sog. Triple Dip und der erste dieses Jahrhunderts). Der Klimawandel gilt als Hauptverdächtiger für diese veränderten Wettermuster, die in Chile, Paraguay, Uruguay und Argentinien im letzten Sommer zu Dürren und Lauffeuern geführt haben.

Extreme Dürren

Unterdessen bleibt auch Zentralamerika nicht verschont: Im sog. Trockenkorridor zwischen Südmexiko und Panama kommt es seit 15 Jahren zu häufigen extremen Dürren, die insb. in El-Niño-Jahren auftreten (einem gegenläufigen Wetterphänomen zu La Niña, das Studien zufolge durch den Klimawandel verstärkt wird). Auch für 2023 und 2024 wird ein extrem warmer El Niño erwartet. Diese Dürren haben einen Rückgang der Wasserkraftreserven zur Folge, was wiederum zu Stromversorgungsproblemen führt – etwa in Brasilien im Jahr 2021.

Eine weitere Folge ist die Beeinträchtigung wichtiger Binnenwasserstraßen wie z.B. des Río Paraná, der als zweitgrößter Fluss des Kontinents durch Brasilien, Paraguay und Argentinien fließt, während der Panamakanal auszutrocknen droht. Dürren und der dadurch ausgelöste Schädlingsbefall führen zu einem allgemeinen Rückgang der Ernteerträge. Da extreme Dürren zur neuen Normalität werden, geraten Wasser- und Nahrungsressourcen in vielen Ländern zunehmend unter Druck, und da Lateinamerika ein wichtiger Nahrungsmittelexporteur ist, wird dieser Trend starke Auswirkungen auf die weltweite Ernährungssicherheit haben.

Schließlich haben aktuelle Studien gezeigt, dass der Kontinent in hohem Maße anfällig für Gletscherseeausbrüche ist, insb. in der Andenregion (Peru, Bolivien, Argentinien, Kolumbien, Chile und Ecuador). Seit 1990 sind Zahl und Größe von Gletscherseen aufgrund des Klimawandels weltweit rapide angestiegen. Außerdem hat die stromabwärts dieser Seen lebende Bevölkerung rasant zugenommen, was dazu führt, dass ein Großteil der Menschen betroffen wäre. Damit weist die Andenregion nach der asiatischen Hochgebirgsregion (hauptsächlich Pakistan, Indien und China) das weltweit zweitgrößte Risiko durch Gletscherseeausbrüche auf.

Anfällig für Wasserstress

Lateinamerika hat die ergiebigsten Wasservorkommen der Welt. Der Großteil des Wasserverbrauchs dieser Länder konzentriert sich jedoch auf einige wenige Regionen mit relativ begrenzten Vorräten, während sich die großen Wasservorkommen in vorwiegend abgelegenen und unzugänglichen Gegenden befinden. Dies macht die Region anfällig für Wasserstress. Dieser liegt vor, wenn die Nachfrage nach Wasser die verfügbare Menge während einer bestimmten Zeit übersteigt oder wenn schlechte Qualität die Nutzung des Wassers einschränkt. Nach der Einstufung des Water Institute von 2019 leidet aktuell keines der lateinamerikanischen Länder unter extremem Wasserstress (dies gilt ausschließlich für Staaten in Subsahara-Afrika und im Nahen Osten), wobei Chile in der Region den höchsten Wasserstress aufweist, gefolgt von Mexiko.

Die Wasserthematik wird sich in den kommenden Jahren zu einer drängenden politischen Frage entwickeln, da wichtige wasserintensive Branchen wie das Brauwesen, Landwirtschaft und Bergbau aufgrund ihrer Mitschuld an der Trinkwasserknappheit zunehmend in der öffentlichen Kritik stehen. Dürre und Wasserstress haben die Bereitstellung von Wasser für Unternehmen bisher wenig beeinträchtigt, da in der Wirtschaft mit langfristigen Wasserversorgungsverträgen gearbeitet wird; besonders in Mexiko und Chile nimmt die Kritik jedoch zu. In Mexiko hat Präsident Andrés Manuel López Obrador bereits damit gedroht, den Brauereibetrieb im dürregeplagten Norden des Landes einzustellen, während in die neu zu schreibende Verfassung Chiles sehr wahrscheinlich Vorschriften zu knappen Wasserressourcen aufgenommen werden. In beiden Ländern – wie in der gesamten Region – ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass neue Vorschriften die künftige Entwicklung des Bergbaus und der Landwirtschaft behindern werden.

Zentrale Rolle in Energiewende

Im vergangenen Jahr hat eine Beschleunigung des ökologischen Wandels die Nachfrage nach für die globale Energiewende notwendigen Mineralien erhöht. Gleichzeitig wird der Wettlauf um zuverlässige Versorgungsquellen durch globale Lieferkettenengpässe und die Intensivierung der Rivalität zwischen den USA und China verschärft. In der Folge kommt Lateinamerika mit seinen großen Vorkommen an strategischen Mineralien wie Lithium, Kupfer, Nickel, Kobalt und seltenen Erden eine wachsende Bedeutung zu, während die Region im geopolitischen Kräftemessen weiterhin eine überwiegend neutrale Position bezieht.

Drei Viertel der weltweiten Lithiumvorkommen befinden sich in Südamerika (im sog. Lithiumdreieck Bolivien, Argentinien und Chile). Weiterhin verfügt Chile über das größte Kupfervorkommen der Welt und Brasilien über die drittgrößten Reserven an seltenen Erden (ca. 10% des globalen Gesamtvorkommens). Dazu ist allerdings anzumerken, dass der Umfang der Vorkommen nicht unbedingt dem der Produktion dieser Länder widerspiegelt. So zieht Bolivien aus seinen Lithiumreserven bisher kaum kommerziellen Nutzen, während Brasilien lediglich der sechstgrößte Produzent von seltenen Erden ist. Der Ausbau wird von mehreren großen Hindernissen blockiert; so ist das Investitionsrisiko (insb. das Enteignungsrisiko) in einigen lateinamerikanischen Ländern relativ hoch, was unter Unternehmen Bedenken hinsichtlich Vertragsrechten und der Einhaltung von Spielregeln aufwirft.

In diesem Kontext ist auch der zunehmende Rohstoffnationalismus zu erwähnen (etwa bei Lithium in Bolivien und Mexiko). Eine weitere Schwierigkeit ist die Zunahme von Protesten und Blockaden durch lokale Gemeinschaften, sowohl aus Gründen des Umweltschutzes als auch zur Sicherung der Teilhabe an den Erträgen aus lokalen Bergbautätigkeiten. Große Proteste von lokalen Gemeinschaften haben häufig die Einstellung von Projekten oder Änderungen an öffentlichen Verträgen zur Folge.

Der Widerstand ist groß

Der Widerstand lokaler Gemeinschaften gegen große Vorhaben, insb. im Öl-, Gas- und Bergbausektor, führt in Lateinamerika seit Langem zu sozialen Konflikten. In den vergangenen Jahren standen Gewinnungsvorhaben unter der konsequenten Beobachtung von Umweltaktivisten; in Panama, Argentinien und Ecuador führten Unruhen zum Stillstand von (Erweiterungs-)Projekten in der Bergbau- und Ölindustrie. Neu gewählte, linksgerichtete Regierungen in Brasilien, Chile, Peru und Kolumbien reagieren auf den Umweltdruck mit der Einführung einer strengeren Umweltpolitik. Im Allgemeinen dürften fehlende Kongressmehrheiten und die wirtschaftliche Notwendigkeit, Investitionen anzuziehen, jedoch dazu führen, dass Fortschritte bei Umweltschutzbestimmungen nur langsam vorankommen. Brasilien nimmt hier seit der Präsidentschaftswahl allerdings eine klare Sonderstellung ein, da Präsident Lula der extremen Entwaldung, die auf die Agrarindustrie zurückzuführen ist und von seinem Amtsvorgänger Bolsonaro genehmigt wurde, Einhalt gebieten dürfte.

Im Gegenzug verbessern sich die Beziehungen zur EU (der aktivsten Region im Klimaschutz). Deutschland und Norwegen haben bereits angekündigt, Gelder freizugeben, die aufgrund von umweltpolitischen Differenzen mit der Regierung Bolsonaro 2019 eingefroren wurden. Sogar das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur, das nach Umweltbedenken von Frankreich und Deutschland auf Eis gelegt worden war, könnte eine Wiederbelebung erfahren. Auf der Weltklimakonferenz COP 27 in Ägypten im November 2022 signalisierte Brasiliens Präsident Lula sein Bestreben zur Ausrichtung der COP im Jahr 2025, da sich Brasilien – und Lateinamerika insgesamt – in den kommenden Jahren stärker an der globalen Klimadebatte beteiligen möchte.

Ausführliche Länderberichte finden Sie auf der Seite www.credendo.com

k.koch@credendo.com

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