Nachhaltigkeitsexpertin Meriem Tazir spricht im Interview mit dem „ExportManager“ über die Treiber für nachhaltiges Handeln im Exportgeschäft darüber, warum das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auch ein Vorteil für hiesige Unternehmen sein kann, und über Länder, in denen die Regulierung noch schärfer ist als in Deutschland.

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Frau Dr. Tazir, worin liegen die Vorteile, wenn Unternehmen dazu verpflichtet sind, über nachhaltige Standards zu berichten?

Meriem Tazir: Es ist essenziell für Unternehmen zu verstehen, wie Nachhaltigkeit in ihr Kerngeschäft passt. Wenn ich bspw. ein exportierendes Unternehmen bin, muss ich wissen, was der Markt da draußen von mir will. Das können z.B. sich verschärfende Regularien sein, die dazu führen, dass sich ein Produkt nicht mehr importieren lässt oder ich Strafe zahlen muss.

Was sind die Treiber für nachhaltiges Handeln?

Es gibt mehrere Treiber für Nachhaltigkeit im Export. Eine aktuelle OECD-Studie besagt z.B., dass die Anzahl der Nachhaltigkeits- und Umweltanforderungen durch regionale Handelsabkommen drastisch gestiegen ist. Zudem gibt es das Themenfeld Finanzierbarkeit und Versicherbarkeit und damit einhergehende Auswirkungen auf Kapitalkosten, die immens sein können. Und es gilt natürlich, die Königsdisziplin, die Technologienachfrage zu nutzen: Überall sind Märkte. Bekannte Beispiele sind CO2-Speicherung, erneuerbare Energien, Energieeffizienz oder die Datenverwaltung und Managementsysteme bis hin zu Smart-Agriculture-Anwendungen uvm. Die Märkte für Nachhaltigkeit sind sehr groß, und es lohnt sich, Nachhaltigkeit frühzeitig und strukturiert in den Innovationsprozess einzubeziehen.

Wirken in diesen politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten sinkende Margen wie ein Hinderungsgrund, nach dem Motto: „Wir schauen nun erstmal nur aufs Ebit und nicht so sehr auf die Nachhaltigkeit.“

Wir stellen fest, dass sich Unternehmen immer stärker fokussieren, und zwar auf die Themen, die finanziell Auswirkung auf das Geschäftsmodell haben und damit strategisch relevant sind. Hier setzen Regularien und auch wir an. Es gibt viele Unternehmen und Investoren, die nachhaltiges Handeln bereits fest im Budget einplanen, mit Ressourcen hinterlegen und sich bereits in der Umsetzung befinden. Ich denke, sich zu fokussieren ist der Schlüssel zum Erfolg. Es ist gleichzeitig wichtig in diesen Zeiten, ein ganzheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmenskontext zu erwerben, um dann richtig fokussieren zu können.

Sehen Sie durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Nachteile für deutsche Unternehmen?

Ich sehe darin sogar einen Vorteil, weil alle Unternehmen, die nach Deutschland importieren möchten, ab einer gewissen Größe den gleichen Berichtspflichten unterliegen. Gleichzeitig steht das EU-weite Gesetz vor der Haustür, das nach aktuellem Stand sogar noch schärfer ausgelegt werden wird. Wir sehen, dass die Unternehmen, die regulatorische Verschärfungen frühzeitig antizipieren, sogar einen Wettbewerbsvorteil haben, weil sie Prozesse bereits etabliert und optimiert haben, wenn andere noch am Überlegen sind, wie es geht.

Kann Nachhaltigkeit auch ein Wettbewerbsvorteil sein?

Es gibt Studien, die besagen, dass nachhaltige Unternehmen eine höhere Gewinnmarge erzielen. Das liegt daran, dass man vor fünf oder zehn Jahren bereits darüber nachgedacht, die Entwicklung antizipiert und entsprechend gehandelt hat. Nur so kann man effizient den Markt beackern und auch verstehen, wo sich die nächsten Potenziale ergeben. Wer sich jetzt in die Umsetzung begibt und das Ambitionsniveau etwas höher ansetzt, der hat die Chance, die Markterschließung zu optimieren und damit die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Auf der anderen Seite kann man sich ohne Nachhaltigkeit auch aus einem Geschäft schießen – oder anders ausgedrückt: Bin ich nicht nachhaltig, bin ich raus.

Richtig, das sind Ausschlusskriterien, die durch die Anzahl regionaler Handelsabkommen drastisch angestiegen sind. Es greift wieder derselbe Ansatz: Frühzeitiges Antizipieren und freiwillige Umsetzung können zum Wettbewerbsvorteil führen, da sich in den Märkten die Anforderungen an Nachhaltigkeit international erhöhen.

Man neigt ja dazu, über die Regulierung in Deutschland zu schimpfen. In welchen Ländern sind die Nachhaltigkeitsregeln denn eigentlich noch strikter als bei uns?

Im EU-Binnenmarkt sind einige Länder strenger unterwegs. Die Niederlande haben bspw. die Latte für Nachhaltigkeit deutlich höher gelegt. Auch Frankreich: Dort muss z.B. ab 2025 für bestimmte Produkte die Recyclingfähigkeit nachgewiesen werden, also eine Ausweitung der Produkthaftpflicht über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Sehr viel passiert auch auf der anderen Seite der Welt, in Australien: Dort gibt es teilweise viele strenge Regularien.

Welche Hausaufgaben muss ein Unternehmen in puncto Nachhaltigkeit machen?

Jeder sollte für sein Geschäftsmodell und seine Produkte verstehen, was die heutigen und zukünftigen Marktanforderungen sind. Dazu ist eine systematische Analyse der Regularienlandschaft im Hinblick auf das eigene Produkt unabdingbar. Aktuell steht vieles vor der Haustür, was Rezyklierbarkeit und Klimafreundlichkeit betrifft.

Wie steht es um die Standardisierung der Nachhaltigkeitsregularien?

Es kommt auf die jeweiligen Themenfelder an. Die Berichterstattungspflicht nach der CSRD geht z.B. jetzt einen großen Schritt in die Richtung und orientiert sich auch an existierenden Standards. Dort kann man bestimmte Themen anhängen, wie bspw. das LkSG. Nichtsdestotrotz muss man genau hinschauen und Synergien identifizieren und die Berichte dann auch schreiben.

Wie lässt sich in den Unternehmen Know-how aufbauen?

Es ist wichtig, als Basis Know-how in der Organisation aufzubauen, damit sie in die Lage versetzt wird, zu erkennen, wann Spezialwissen erforderlich ist. Die Organisation selbst kennt ihr Geschäftsmodell und aus diesem Wissen und der damit aufgebauten Nachhaltigkeitsbasis kann die Organisation befähigt werden zu handeln. Vieles muss jetzt passieren, damit Risiken erkannt und mitigiert werden und Chancen genutzt werden können.

Wann ist ein Produkt für Sie nachhaltig?

Ein nachhaltiges Produkt ist ein Produkt, das so entwickelt, hergestellt und verwendet wird, dass es minimale negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft hat, während es gleichzeitig einen Nutzen für die Verbraucher bietet. Nachhaltige Produkte sind darauf ausgerichtet, Ressourcen effizienter zu nutzen, Abfall zu reduzieren, erneuerbare Energiequellen zu verwenden und soziale Verantwortung zu fördern. Nachhaltige Produkte sind ein wichtiger Lösungsbeitrag zum Umweltschutz und zur Bewältigung globaler Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenknappheit. Sie ermutigen Verbraucher dazu, bewusstere Kaufentscheidungen zu treffen, und Unternehmen dazu, nachhaltigere Geschäftspraktiken zu entwickeln. Es gibt dafür viele Beispiele.

Was raten Sie Ihren exportorientierten Kunden derzeit?

Nachhaltigkeit ist aus meiner Sicht ein Teil der strategischen Marktanforderungen im Export und sollte auch als solches behandelt werden. Das bedeutet, dass Unternehmen sehr genau verstehen sollten, welche Implikationen Nachhaltigkeit für das derzeitige und zukünftige Geschäftsmodell hat und welche Themen die jeweiligen Fokusthemen sind. Das können gesetzliche Anforderungen und Vorschriften in den Zielmärkten sein, Lieferketten betreffende Themen, Anforderungen an Kommunikation und Transparenz oder reputationsrelevante Themen, Marktveränderungen sowie Trends. Die Integration von Nachhaltigkeit in Geschäftsmodelle und Prozesse kann nicht nur dazu beitragen, Umweltauswirkungen zu reduzieren und soziale Standards zu wahren, sondern auch, neue Marktchancen zu erschließen, das Markenimage zu verbessern und mittelfristig nachhaltigen Unternehmenswert zu sichern und zu vergrößern.

Die Fragen stellte Jörg Rieger.

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