Der fehlende Zugang zu Handelsfinanzierungen ist laut Weltwirtschaftsforum für die Hälfte der Länder der Welt eines der drei größten Exporthindernisse – Händler brechen Transaktionen in der Regel ab, wenn dieser Zugang fehlt.

Um den ungedeckten Bedarf an Handelsfinanzierungen zu einem frühen Zeitpunkt in der Lieferkette zu adressieren, haben sich ANZ, BNP Paribas, Citi, Deutsche Bank, HSBC und Standard Chartered zum Ziel gesetzt, ein globales Multi-Banken- und Multi-Unternehmens-Netzwerk im Bereich der Handelsfinanzierung aufzubauen. Dazu gründeten die sechs Banken das Trade Information Network.

Unternehmen können das Netzwerk nutzen, um darüber ihre Handelsinformationen einfach, sicher und direkt den Banken ihrer Wahl zur Verfügung zu stellen. Das Netzwerk bietet den Finanzinstituten Zugang zu vertrauenswürdigen Handelsinformationen und verringert damit das Risiko von Doppelfinanzierungen und Betrugsversuchen. Die Banken werden die Finanzierungen weiterhin außerhalb des Netzwerks über ihre bestehenden Systeme anbieten.

Das Trade Information Network folgt dem Einladungsprinzip, das heißt, nur angemeldete Nutzer können neue Nutzer in das Netzwerk einladen. Nachdem sich ein neuer Nutzer auf der Plattform registriert hat, prüft Trade Information Network Limited, der Betreiber der Plattform, die Anfrage und aktiviert das neue Konto.

Nachdem sich Unternehmen auf dem Netzwerk verbunden haben, können sie entscheiden, welche Aufträge (vom Käufer) eingestellt werden und welche davon (vom Lieferanten) zur Finanzierung bei welcher Bank angefragt werden. Die ausgewählte Bank führt die Finanzierung außerhalb des Netzwerks durch. Eine Finanzierungsanfrage kann auch nach Rechnungserstellung erfolgen und, falls maßgeblich, der Betrag kann zur Rückzahlung der Auftragsfinanzierung verwendet werden.

Das Hauptziel des Netzwerks ist es, die Banken dabei zu unterstützen, ihren Kunden in der Phase vor dem Versand ein noch besseres Finanzierungsangebot machen zu können. Zwar habe es sich bei der ersten Transaktion um eine Auftragsfinanzierung gehandelt, dennoch „ermöglicht das Netzwerk den Banken, auch umfangreichere Finanzierungslösungen anzubieten – inklusive Rechnungs- und Lieferantenfinanzierung“, erklärt Kirsten Kunz, Head of Trade Flow Product & Process Management bei der Deutschen Bank.

Erfolgreiche erste Transaktion

Als eine der Gründerbanken hat die Deutsche Bank maßgeblich dazu beigetragen, Wege zu erkunden, um die Risiken bei der Handelsfinanzierung auf offener Rechnung zu reduzieren und ihren Kunden einen besseren Zugang zur Finanzierung vor und nach dem Versand der Ware zu ermöglichen. Das Netzwerk steht im Mittelpunkt der Strategie der Bank, die Risiken in diesem Bereich zu senken und somit das Finanzierungsangebot zu verbessern.

Mit der Pilottransaktion zwischen F. Hoffmann-La Roche (Roche), der Targos Molecular Pathology GmbH und der Deutschen Bank wurde die volle Funktionalität der Plattform unter Beweis gestellt. Somit kann die Deutsche Bank nun weitere Kunden in das Netzwerk aufnehmen.

Der Käufer

Roche ist das weltweit größte Biotech-Unternehmen, das Medikamente in den Bereichen Onkologie, Immunologie, Infektionskrankheiten, Augenheilkunde und Erkrankungen des zentralen Nervensystems anbietet. Das Unternehmen versteht sich als globaler Pionier im Bereich Pharmazeutika und Diagnostika.

Das Unternehmen hat bereits vor mehr als einem Jahrzehnt eine Supply-Chain-Finance-Beziehung mit der Deutschen Bank aufgebaut. „Wir haben eine dreistellige Zahl von Lieferanten auf der ganzen Welt, mit Fokus auf größere Lieferanten, und diese Zahl steigt wöchentlich“, sagt Martin Schlageter, Head of Treasury Operations bei Roche.

Roche habe in den vergangenen vier Jahren als Reaktion auf das Feedback seiner Lieferanten gemeinsam mit der Deutschen Bank nach einem Weg gesucht hat, Liquidität aus der Lieferantenfinanzierung auf die frühe Phase der Lieferkettenbeziehung auszuweiten. „In dem Moment, in dem sie eine Rechnung stellen, haben sie das Geld für den Verkauf an Roche bereits ausgegeben, damit benötigen sie eine Vorfinanzierung“, erklärt Schlageter. Wäre ein Lieferant auf seine eigene Hausbank als Anbieter von Auftragsfinanzierung beschränkt, könnte das in bestimmten Fällen ziemlich einschränkend sein. Das Trade Information Network können dem Lieferanten helfen, Zugang zu zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten bei anderen Banken zu bekommen.

Jens Noffke, Working Capital Lead, Global Procurement bei Roche, stimmt dem zu: „Die Bestellung, die wir aufgeben, bedeutet zunächst einen Mittelabfluss für den Lieferanten, daher ist es sehr attraktiv, etwas zu günstigen Konditionen auf dem Tisch zu haben, das hilft.“ Das Trade Information Network unterstütze die Nachhaltigkeit der Partnerschaft zwischen Roche und dem Lieferanten und ermögliche es, „Liquidität an verschiedenen Punkten der Lieferkette zur Verfügung zu stellen“, ergänzt Noffke. Ohne eine solche Vereinbarung müsste der Käufer möglicherweise Vorauszahlungsoptionen prüfen, da einige Lieferanten behaupten könnten, sie könnten das Projekt ohne Vorabliquidität nicht starten.

Das Trade Information Network, so Schlageter weiter, „unterstreicht die Bereitschaft der Banken, Zeit und Ressourcen in die Auftragsfinanzierung zu investieren“. Es biete dem Lieferanten viel mehr Flexibilität, wie er Aufträge (Bestellungen) und Rechnungen finanziert; der Käufer lade den Auftrag einfach in das sichere Netzwerk hoch. Nur die Banken, denen der Käufer Zugang zu den Auftragsdaten gegeben habe, könnten diese prüfen und nur die Bank, die der Lieferant ausgewählt habe, erhalte die Finanzierungsanfrage, erläutert Schlageter.

Eine leichte Verzögerung war dadurch entstanden, dass sich die Lieferanten erst daran gewöhnen mussten, mit Roche statt mit einem Finanzinstitut über die Auftragsfinanzierung zu sprechen und Roche zu erlauben, mit ihnen ein ausführlicheres Gespräch über Finanzierungs- und Kreditaspekte zu führen – in der gleichen Weise, wie eine Bank eine Due-Diligence-Prüfung eines Lieferanten für die Anmeldung auf einer Supply-Chain-Finance-Plattform durchführt. „Wir haben viel darüber gelernt, wie Banken die Finanzierung ansprechen und wie sie prüfen“, sagt Schlageter.

Der Lieferant

Targos bietet seit 2005 die standardisierte Entwicklung und Anwendung von klinischen Biomarkern für die internationale Pharma- und Diagnostikindustrie an. „Wir haben bereits ein erfolgreiches Factoring-/Lieferantenfinanzierungsprogramm mit der Deutschen Bank und Roche, eine Beziehung, die seit 17 Jahren besteht“, erklärt CEO Thomas Henkel. „Wenn ein so großes Unternehmen wie Roche einem vertrauenswürdigen Lieferanten ein Angebot zur Supply-Chain-Finanzierung macht, wären wir verrückt, nein zu sagen, unabhängig davon, ob die Vorabliquidität tatsächlich benötigt wird oder nicht.“

Targos wurde am 18. Mai 2021 von Discovery Life Sciences übernommen, aber die erste Transaktion auf dem Trade Information Network fand vor dem Eigentümerwechsel statt. Neben den Refinanzierungsmöglichkeiten habe die Plattform dazu beigetragen, „die bestehende Geschäftsbeziehung zu stärken“, fügt Henkel hinzu. Ein Beispiel dafür sei ein weitreichender Zugang zum Roche-Einkaufsteam – in diesem Fall über die Teilnahme von Jens Noffke bei den regelmäßigen Status-Meetings.

Natürlich gebe es keine einheitliche Lösung für alle, sagt Henkel. Zur Entwicklung von Biomarkern gehörten klinische Studien, die nicht einfach in ein Paket gepackt und geliefert werden könnten. Es komme immer wieder vor, dass Studien auf Eis gelegt werden müssten, um Nebenwirkungen auszuräumen, bevor sie in die nächste Phase eintreten könnten. „Wenn sich eine Studie über ein bis fünf Jahre erstreckt und man nicht genau weiß, bis wann sie abgeschlossen sein wird, wird es schwierig, die Finanzierungshöhe für den Auftrag zu berechnen“, sagt Henkel. Manche Projekte würden über zwölf Jahre laufen, die Verträge würden entsprechend verlängert. „Wir haben uns im Laufe der Zeit angepasst, aber wir finanzieren ohnehin nie 100% eines Auftrags. Wir würden das Netzwerk auf jeden Fall weiterempfehlen – es stellt einem früh Liquidität zur Verfügung und stärkt die Geschäftsbeziehung“, fügt er hinzu. Da Targos inzwischen zu Discovery Life Sciences gehört und eine völlig andere Treasury-Strategie verfolgt, konnte Henkel zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht bestätigen, ob weitere Aufträge folgen werden.

Die Bank

Zunächst hatte Roche die Auftragsdaten auf die Plattform des Trade Information Network hochgeladen. Das Unternehmen erteilte dann der Deutschen Bank im Netzwerk die Erlaubnis, diesen spezifischen einzelnen Auftrag und alle anderen Aufträge einzusehen. Targos wurde von der Plattform benachrichtigt, dass Roche den Auftrag hochgeladen hatte, und konnte diesen überprüfen, bestätigen und eine Finanzierungsanfrage für diesen Auftrag an die Deutsche Bank stellen. Die Bank konnte die Aufträge von Roche und das Ergebnis der Prüfung von Targos sowie die Finanzierungsanfrage einsehen.

Die Deutsche Bank holte die Finanzierungsanfrage über eine API-Anbindung aus dem Netzwerk ab und führte die Finanzierung auf ihrer Supply-Chain-Finance-Plattform aus. „Als Ergebnis der Überprüfung im Netzwerk konnten wir die Vorabfinanzierung erfolgreich beantragen und erhalten“, sagte Thomas Henkel von Targos. Nach dieser erfolgreichen Auftragsfinanzierung über das Netzwerk entschied sich Targos, direkt im Anschluss einen zweiten Auftrag folgen zu lassen.

Fazit

Wie beschrieben, konnte die Deutsche Bank die von Käufer und Lieferant bestätigten Auftragsdaten und den Finanzierungsstatus durch die Nutzung des Trade Information Network überprüfen. Sowohl Roche als auch Targos konnten die Auftragsdaten einfach auf die Plattform hochladen und aktualisieren. Targos war dank der Nutzung des Netzwerks in der Lage, die Finanzierung des Auftrags vor dem Versand durchzuführen.

„Ich denke, nachdem wir nun diesen Piloten durchgeführt haben, ist es viel einfacher, einen Lieferanten in das Netzwerk aufzunehmen“, sagt Schlageter. „Wir sind mit vielen Lieferanten in Gesprächen und die Banken werden immer mehr darüber nachdenken, wie sie das Netzwerk weiter etablieren können. Sobald die Plattform an Zugkraft gewinnt, werden mehr teilnehmen wollen, aber diese Dinge passieren nicht über Nacht.“ Er ist jedoch zuversichtlich, dass bis zum Ende des Jahres noch mehr Unternehmen und Banken das Netzwerk nutzen werden. Roche selbst plant, weitere eigene Lieferanten und Aufträge auf die Plattform zu bringen.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Bank. Einen Link zu Artikeln von „results. Finanzwissen für Unternehmen“ finden Sie HIER.

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