Konjunkturschwäche und Währungsverfall in der Türkei treffen zuerst die Nachfrage nach teuren Importen. Doch auch die Geschäfts­tätigkeit vor Ort wird von der politischen Situation belastet.

Lange haben Unternehmer der Türkei die Treue gehalten – allen politischen Verwerfungen zum Trotz. Jetzt kippt die Stimmung. Konjunkturschwäche und Währungsverfall treffen zuerst die Nachfrage nach teuren Importen. Doch auch die Geschäfts­tätigkeit vor Ort wird von der politischen Situation belastet.

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Mangelnde Loyalität kann man deutschen Mittelständlern nicht vorwerfen. Durch viele politische, soziale und wirtschaftliche Krisen hindurch halten sie ihren Absatzmärkten die Treue. Sie führen Geschäftsbeziehungen weiter, selbst wenn die Politik davon abrät. Doch manchmal sind sogar Mittelständler zum Rückzug gezwungen. Wie nun in der Türkei.

„Wir haben unsere Aktivitäten zurück­gefahren“, berichtet Holger Dechant, Geschäftsführer des Schwertransport-Anbieters Universal Transport Michels aus Paderborn. Jahrelang unterhielt sein Unternehmen einen Fuhrpark vor Ort, mit dem es etwa Windkraftanlagen innerhalb der Türkei und in die Nachbarländer transportierte. Diese Flotte hat Dechant nun verkleinert. „Wir setzen die Lkw jetzt dort ein, wo das Geschäft weniger Risiko beinhaltet“, erklärt er. Zwar nimmt er weiterhin Aufträge seiner Kunden in der Türkei an, mit der Durchführung beauftragt er allerdings lokale Partnerunternehmen. „Wir können dadurch bestehende Beziehungen halten, haben aber weniger Risiko“, sagt Dechant.

Der Automobilzulieferer Christian Karl Siebenwurst arbeitet im Bereich der Umformtechnik in der Türkei regelmäßig mit Subunternehmern. Große Lieferprojekte deutscher und internationaler OEMs hat Siebenwurst u. a. mit diesen Partnern abgewickelt. Nun aber ist das nicht mehr möglich. „Sämtliche OEMs verbieten uns, Aufträge in die Türkei zu vergeben“, berichtet Christian Walter, Mitglied der Geschäftsführung. Die genauen Gründe würden sie nicht kommunizieren, trotzdem müssten sich alle Zulieferer daran halten. „Daher liegen unsere Geschäfte in der Türkei derzeit auf Eis.“

Politische Entfremdung und Währungsverfall

Seit dem Putschversuch im Sommer 2016 befindet sich die Türkei politisch im Ausnahmezustand. Über 100.000 Personen hat Präsident Recep Tayyip Erdogan seitdem festnehmen lassen. In vielen Behörden haben sich die Reihen dramatisch gelichtet. Die politischen Beziehungen mit den Staaten der Europäischen Union, die als Wirtschaftspartner für die Türkei eigentlich elementar sind, leiden unter den innen- und außenpolitischen Anspannungen. Ein EU-Beitritt – lange erklärtes Ziel der bilateralen Gespräche – rückt in weite Ferne. Da sie zudem die Nähe zu Russland sucht, verscherzt es sich die türkische Regierung mit dem Nato-Partner USA. Strafzölle werden auf beiden Seiten diskutiert und wurden bereits teilweise eingeführt. Die wirtschaftspolitische Isolation der Türkei verstärkt sich zusehends. Der rapide Verfall der Währung Lira ist das deutlichste Zeugnis für die Verunsicherung internationaler Investoren, was die Zukunft des Wirtschaftsstandorts angeht.

Für den exportierenden deutschen Mittelstand hat die politische Entwicklung nicht unerhebliche Auswirkungen. „Vor allem die Lira-Abwertung trifft ihn unmittelbar“, sagt Ergün Kis, Türkei-Experte beim Wirtschaftsprüfer KPMG. Exporteure sind betroffen, da sie im Heimatmarkt dieselben Produktionskosten haben, aber in der Türkei nicht mehr dieselben Verkaufspreise verlangen können. „Auch bei Handelsgeschäften in Euro wollen türkische Kunden Preise nachverhandeln, um die Verteuerung in türkischer Lira für sich selbst in Grenzen zu halten“, berichtet Kis. Da das nicht immer möglich ist, mussten bereits im vergangenen Jahr etliche türkische Unternehmen Insolvenz anmelden, schreibt der Kreditversicherer Atradius in einer Studie. Die Experten erwarten, dass sich die Zahl der Firmenpleiten 2018 noch weiter erhöhen wird.

Investitionen werden verschoben

Diejenigen Unternehmen, die auf dem Markt bleiben, warten mit großen Investitionen ab. Auch Konsumenten sind mit neuen Anschaffungen vorsichtig geworden. Die Kaufkraft am Standort sinkt daher merklich, die Zahl der zu vergebenden Projekte wird karger. So karg, dass Delegationen türkischer Unternehmen nach Deutschland reisen, um direkt Aufträge anzuwerben, berichtet Siebenwurst-Geschäftsführer Walter. Sie wollen im Gespräch mit potentiellen Geschäftspartnern verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. „Das Widersinnige ist ja, dass diejenigen, die unter der aktuellen Situation leiden, meist nichts mit ihrer Entstehung zu tun haben“, findet er. Zu keiner Zeit hätte es im Geschäftsalltag mit seinen türkischen Partnerunternehmen Probleme gegeben. „Die Wirtschaftskrise ist lediglich politisch gemacht, aber ausbaden müssen es die Unternehmen.“

Doch wie? Eine Strategie der Unternehmen ist es, zusätzliche Sicherheiten zu verlangen, die greifen, wenn ein türkischer Kunde nicht oder zu spät für eine Lieferung bezahlt. „Dafür eignen sich die normalen Instrumente wie Bürgschaften, Akkreditive und Kreditversicherungen“, zählt Türkei-Experte Kis auf. Ganz billig ist das allerdings nicht: Der Preis für diese finanziellen Absicherungen steigt mit der Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde eine Forderung schuldig bleibt.

„Der Abschluss einer Kreditversicherung ist für uns auch deswegen sinnvoll, weil sie Absicherungen für Kunden ablehnt, die nachweislich unzuverlässig sind“, sagt Dechant. Dann schrillen alle Alarmglocken: Mit solchen Auftraggebern macht Dechant nur noch dann Geschäfte, wenn sie für Universal Transport strategisch relevant sind. Und wenn sie mindestens einen Teil der Auftragssumme vorab bezahlen. „Wichtig ist für mich außerdem die Einschätzung meines Niederlassungsleiters in der Türkei“, sagt der Spediteur. „Wenn dieser sagt: ‚Bei dem Kunden habe ich ein gutes Bauchgefühl, das Projekt können wir trotz Bedenken annehmen‘, dann vertraue ich ihm.“

Präsenz vor Ort erhalten

Trotz der Schwierigkeiten und Verluste müsse man aber mit der Türkei im Gespräch bleiben, empfiehlt Christian Walter von Siebenwurst: „Die Probleme werden nicht weniger, wenn man die Beziehungen abbricht – im Gegenteil. Unterschiedliche Meinungen muss man ausdiskutieren und dann gemeinsam eine mittelfristige Lösung finden.“

Siebenwurst hält daher den Kontakt zu den türkischen Partnern, selbst wenn das Unternehmen ihnen derzeit keine Aufträge vermitteln darf. Auch Dechant hält an seinem Repräsentationsbüro in Istanbul fest und besucht weiterhin Messen. „Wir wollen den Puls spüren“, sagt er – auch damit er schnell reagieren könne, wenn sich der Wind wieder dreht.

Denn generell bleibt die Türkei ein interessanter Markt für deutsche Unternehmen. Darin sind sich beide Mittelständler einig. Unter anderem spricht die kostengünstige Produktion vor Ort für eine Präsenz in der Türkei. Produktionsstandorte sind weniger anfällig für Währungsschwankungen als Exportbeziehungen. Schon jetzt profitieren diejenigen deutschen Unternehmen, die in der Türkei fertigen und ihre Waren an Kunden in der EU verkaufen, von der Lira-Abwertung. Sie haben vor Ort niedrigere Lohnkosten und Mieten und zahlen auch geringere Preise für lokal bezogene Rohmaterialien. Da die Verkaufspreise in Euro aber nicht sinken, steigt der Gewinn.

Wann deutsche Unternehmer die Geschäftsmöglichkeiten in der Türkei wieder vollumfänglich werden ausschöpfen können, ist schwer abzuschätzen. „Bis Ende des Jahres könnte die Unsicherheit noch andauern“, schätzt Kis. Auf Prognosen für 2019 will sich der Experte nicht einlassen.

„Eigentlich kann man bei der derzeitigen globalen Stimmung nur würfeln“, sagt Christian Walter nur halb im Scherz: „Die Marktbedingungen ändern sich von einem Tag auf den anderen. Da unsere Projekte aber über Monate laufen, kann ich als Unternehmer darauf gar nicht angemessen reagieren, sondern muss permanent improvisieren.“ Der Mittelstand kennt das. Von ihm wird Flexibilität erwartet – in der Türkei und global.

katharina.schnurpfeil@marktundmittelstand.de

www.marktundmittelstand.de

 

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