Supply-Chain-Finance ist ein sperriger Begriff, aber ein einfaches und günstiges Finanzierungsinstrument für Lieferanten. Plattform-Lösungen von Fintechs sind auf dem Vormarsch.
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Die Firmennamen klingen eher nach ausrangierten Automodellen: CRX, Taulia, Demica, Orbian, Kyriba, Cflox oder C2FO. Doch dahinter verbergen sich Fintechs mit innovativer Technik und einem modernen Konzept für Supply-Chain-Finance. Deutsche Mittelständler dürften sie schätzen lernen, weil viele Kunden ihre Lieferanten rascher und günstiger mit Liquidität versorgen können als Kreditlinien. Welche Plattform das Rennen macht, ist noch offen, aber der Markt wächst und wird konsolidieren.
Die meisten Plattformen sind als Konkurrenten zu Banken gestartet. Mittlerweile hat sich allerdings die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Banken nicht nur den besseren Kundenzugang haben, sondern auch als Finanzierungspartner kaum entbehrlich sind. Darum sind einige Anbieter auf ein Kooperationsmodell mit Banken umgeschwenkt.
Banken und Fintechs finden zusammen
Einen entscheidenden Schritt weiter ist jetzt das Frankfurter Fintech Traxpay gegangen: Mit der Deutschen Bank hat die auf Dynamic Discounting und Reverse Factoring fokussierte Plattform im Juli 2020 eine Bank als Gesellschafter aufgenommen, die weltweit eine führende Rolle in der Supply-Chain-Finanzierung einnimmt. „Wir glauben an die Zukunft von Plattformen und an den gemeinsamen Mehrwert von Fintechs und Banken“, sagt Daniel Schmand, Leiter für Handelsfinanzierung und Unternehmenskredite bei der Deutschen Bank.
Für Traxpay ist die Beteiligung der Deutschen Bank nur ein erster Schritt, um im Wettbewerb mit zum Teil hochkapitalisierten amerikanischen Plattformen einen starken europäischen Gegenspieler zu bauen: „Wir wünschen uns weitere starke Banken im Gesellschafterkreis“, sagt Traxpay-Gründer und CEO Markus Rupprecht. Mit den führenden europäischen Banken als Partnern soll die Unsicherheit der Kunden darüber ausgeräumt werden, welche Plattform sich am Ende durchsetzt.
Warum ist der Markt so spannend geworden? Programme für Supply-Chain-Finance bieten Banken schon lange an, und auch die von Fintechs betriebenen Plattformen sind oft schon viele Jahre auf dem Markt. Bislang scheuten aber viele Unternehmen den Aufwand der Implementierung. Liquidität war für viele große Konzerne und ihre Lieferanten in zehn Jahren ununterbrochenen Aufschwungs kaum ein Thema, und im Bedarfsfall war ein Bankkredit einfach zu bekommen und günstig.
Die Krise könnte den Durchbruch bringen
Doch die konjunkturelle Eintrübung im vergangenen Jahr sorgte bereits dafür, dass das Thema in den Treasury-Abteilungen vieler Großunternehmen weiter nach oben rückte. Auf der einen Seite hielten viele Konzerne weiterhin hohe Cash-Positionen, für die Banken sogar Strafzinsen verlangten. Auf der anderen Seite beobachteten sie mit Sorge, wie die Bonität und die Liquiditätslage ihrer Zulieferer unter Druck gerieten – eine ideale Konstellation für Supply Chain Finance.
Die aktuelle Pandemie-Krise könnte der Lieferantenfinanzierung nun endgültig zum Durchbruch verhelfen: Große Ratingagenturen erwarten, dass sich die Bonitäten des deutschen Mittelstands auf breiter Front verschlechtert – die Unternehmensberatung Bain schätzt, dass die Risikovorsorge der Banken im Firmenkundengeschäft um bis zu 150% steigen könnte. Selbst wenn daraus keine echten Ausfälle werden, kommen die Banken rasch an ihre Grenzen, wenn in der Erholungsphase Wachstum finanziert werden soll. Vorausschauende Banken empfehlen ihren Kunden darum bereits aktiv Alternativen zum Kredit.
Schnelles Geld vom Kunden – oder von der Bank
Zwei nahe liegende Alternativen sind der Kern von Supply-Chain-Finance: Dynamic Discounting und Reverse Factoring (siehe unten). Die erste Variante kommt sogar ganz ohne Finanzierungspartner aus, das Reverse Factoring bindet erheblich weniger Risikokapital als eine langfristige Kreditlinie. Damit können beide Spielarten in Zeiten knapperer Liquidität ein wesentliches Finanzierungsinstrument für Lieferanten werden. Die Aufforderung großer Kunden, sich auf einer Plattform zu registrieren und an einem Programm teilzunehmen, dürfte deutsche Mittelständler künftig immer häufiger erreichen.
Für Lieferanten von Großunternehmen wäre der Durchbruch der Plattformen ein Segen. Vorbei die Zeiten, in denen mit jedem Kunden mühsam frühzeitige Zahlungen gegen Skonto einzeln vereinbart wurden. Auch das aufwendige Aufsetzen eigener Factoring-Programme, um die Forderungen gegen Kunden an einen Finanzierungspartner zu verkaufen, wird überflüssig, wenn der Kunde selbst ein solches Programm über eine Plattform aufsetzt.
Eine Plattform reicht
Es spricht viel dafür, dass sich der Markt am Ende auf wenige Plattformen konzentriert. Die Gründe dafür sind ganz praktische: Lieferanten haben wenig Lust auf mehrfaches Onboarding und unterschiedlich funktionierende Plattformen. Auch die Kunden profitieren davon, wenn ihre Lieferanten bereits für einen anderen Kunden das Onboarding durchlaufen haben und mit den Abläufen vertraut sind. Und die finanzierenden Banken haben ebenfalls ein großes Interesse, nicht mit verschiedenen Plattformen zusammenarbeiten zu müssen. Damit ist eins klar: Der Kampf der Plattformen um die Vorherrschaft geht in die heiße Phase.
Supply-Chain-Finance – ein Markt mit Zukunft
Die Definition von Supply-Chain-Finance ist nicht einheitlich. In einer engen Abgrenzung versteht man darunter die vorzeitige Bezahlung der Lieferanten, um diesen eine teure Zwischenfinanzierung über Kredite zu ersparen. Die wesentlichen Instrumente sind Dynamic Discounting und Reverse Factoring.
Der Markt für Supply-Chain-Finance ist weder öffentlich noch meldepflichtig und damit sehr intransparent. Die Unternehmensberatung McKinsey schätzte aber das Potenzial allein für Reverse Factoring weltweit bereits 2015 auf 1,8 Bill USD.
Beim Reverse Factoring nutzt der Kunden die eigene bessere Bonität für die günstigere Finanzierung seiner Lieferanten. In einem gemeinsamen Programm mit einer Finanzierungsgesellschaft bietet er den Lieferanten an, dass diese ihre Forderung gegen ihn an den Finanzierungspartner verkaufen und dadurch frühzeitig ihr Geld erhalten. Im Gegenzug erhält der Kunde vom Lieferanten ein Skonto und bezahlt später den Finanzierungspartner. Unterm Strich teilen sich Kunde und Lieferant die Ersparnis aus der Differenz zwischen der teuren Lieferanten-Kreditlinie und der günstigen Forderungsfinanzierung.
Beim Dynamic Discounting wird kein Finanzierungspartner benötigt. Kunde und Lieferant einigen sich auf gestaffelte Skontosätze: Je früher eine Rechnung bezahlt wird, desto höher ist der Skontosatz. Der Kunde entscheidet flexibel nach Liquiditätslage über den Zahltag. Sowohl Reverse Factoring als auch Dynamic Discounting können über Plattform-Lösungen effizienter und transparenter abgewickelt werden als durch Einzeltransaktionen.
Der Beitrag erschien erstmals im Magazin „results. FinanzWissen für Unternehmen“, Ausgabe 03/2021. Autor: Bastian Frien. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Bank. Den Link finden Sie HIER.