Die EU und das Vereinigte Königreich (UK) stehen nach dem faktischen Ende der britischen Mitgliedschaft im gemeinsamen Wirtschaftsraum vor einem Neuanfang. Zwar hat das Handels- und Kooperationsabkommen einige Erleichterungen gebracht. Doch der Handel über den Ärmelkanal leidet. Das „ExportManager-Forum“ sucht am 9. Juni 2021 nach Lösungen und Perspektiven.

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„Kurzfristig ist es schon fast katastrophal, zumindest für das einzelne betroffene Unternehmen. Mittel- und langfristig werden sich die Unternehmen an diese neuen Gegebenheiten gewöhnen“, fasste Michael Schmidt, Präsident der Britischen Handelskammer in Deutschland, die aktuelle Situation im Interview mit dem Inforadio des Hessischen Rundfunks Anfang Mai zusammen. Die Kammer hatte ihre vorwiegend deutschen Mitgliedsunternehmen im Frühjahr 2021 nach ihren Erfahrungen im bilateralen Handel befragt. 67% schätzten die tatsächlichen Auswirkungen des Brexits negativer ein, als diese zum Jahresbeginn 2021 erwartet wurden. Lediglich 13% der Umfrageteilnehmer wurden positiv überrascht.

Brexit setzt dem britischen Außenhandel zu

Die neuen Regelungen im Handel mit der EU haben den britischen Außenhandel mit dem EU-Binnenmarkt im ersten Quartal 2021 stark beeinträchtigt. Die Exporte in die EU sanken um 18,1% zum Vorjahr und die Importe von dort um 21,7%. Der Handel mit anderen Ländern blieb vergleichsweise stabil. Erstmals war der Warenhandel mit Ländern außerhalb der EU höher als der Austausch mit der EU. Langfristig dürfte der Handel über den Kanal jedoch wieder an Bedeutung gewinnen.

Die deutschen Exporte in das Vereinigte Königreich sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im ersten Quartal 2021 um 17,4% gesunken. Vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse waren von den Lieferhemmnissen betroffen, ihre Ausfuhr sank um 44,8%. Die mit einem Anteil von 26,3% wichtigste Warengruppe der Kraftfahrzeuge verzeichnete einen durchschnittlichen Rückgang. Die Maschinenexporte, auf die 12,9% der Gesamtexporte entfielen, sanken um lediglich 6,5%.

Noch stärker betroffen von den neuen Regelungen waren die deutschen Importe aus dem Vereinigten Königreich, die im ersten Quartal 2021 um 27,7% sanken. Auch hier verzeichneten landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie fast sämtliche anderen Warengruppen zweistellige Rückgänge. Lediglich Metalle (+44,4%), Metallerzeugnisse (–6%) und Kraftfahrzeuge (–6,1%) konnten sich dieser Entwicklung entziehen.

Dokumentationspflichten belasten

Schmidt nannte gegenüber HR-Info als Grund für die aktuellen Schwierigkeiten die neuen Regelungen, die trotz des Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und UK zu beachten seien. Dazu gehörten Verwaltungsanforderungen, Deklarationen und Herkunftsnachweise. Eine weitere Belastung stellten die logistischen Herausforderungen dar, die den Transport verteuerten. „Das führt im Ergebnis dazu, dass von den in unserer aktuellen Studie befragten Unternehmen 17% sagen: Das schaffen wir nicht mehr, wir stellen das Geschäft ein“, erklärte Schmidt.

Viele Unternehmen haben sich gerade erst mit den neuen EU-Import- und -Exportregeln, einschließlich der komplexen Ursprungsregeln, vertraut gemacht, berichtete Arne Mielken, Geschäftsführer, Customs Manager Ltd. in einem Beitrag für den „ExportManager“. Die Unternehmen hatten sich mit der Einführung neuer gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher (SPS) Kontrollen bei der Einfuhr von tierischen und pflanzlichen Produkten, einschließlich sogenannter Hochrisikolebensmittel wie Wurstwaren, auf weitere Brexit-Bürokratie eingestellt. Diese Importkontrollen, die ab April in Kraft treten sollten, werden um mehrere Monate verschoben, um den Unternehmen mehr Zeit zu geben, sich auf die Zunahme des Papierkrams einzustellen.

Perspektiven in der Infrastruktur

Doch nicht nur bürokratische Belastungen dürften den deutsch-britischen Handel in Zukunft prägen. Die Neuausrichtung der britischen Wirtschaft hält auch einige Geschäftschancen bereit. So plant die britische Regierung die Vergabe des neuen Status einer „Economic Zone“ an acht sogenannte Freeports mit Vorteilen für internationale Unternehmen. Außerdem entstehen gerade durch den Ausbau von Windkraftanlagen und Wasserstoffgewinnung Chancen für deutsche Hersteller. Ein weiteres Feld sind der Schienenverkehr und die Gesundheitsversorgung, die die britische Regierung ausbauen will.

Weiterhin bedeutend dürfte die britische Finanzindustrie bleiben, auch wenn einige Aktivitäten in die EU verlagert wurden. Hier dürften sich ebenfalls neue Strukturen herausbilden und interessante Angebote entstehen. Denn der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU bedeutet auch neue Gestaltungsmöglichkeiten im internationalen Wettbewerb. Gerade im transatlantischen Handel und gegenüber einzelnen Handelspartnern könnte UK als Standort Vorteile bringen. Die Regierung könnte Handelsabkommen mit Ländern schließen, mit denen sich die EU bislang nicht einigen konnte.

Zur aktuellen Situation im bilateralen Handel mit dem Vereinigten Königreich und den Perspektiven für eine engere Zusammenarbeit veranstaltet das Online-Magazin „ExportManager“ gemeinsam mit der Santander Consumer Bank AG am 9. Juni 2021 von 14 bis 16 Uhr ein „Forum UK“. Sprecher sind unter anderem BCCG-Präsident Michael Schmidt und Zollexperte Arne Mielken. Anmeldungen sind HIER noch möglich.

 

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