Am 21. Dezember 2021 wurde das EuGH-Urteil in Sachen Bank Melli zur Antiboykott-VO 2271/96 bzw. Blocking-Verordnung (Blocking-VO) verkündet. Was bedeutet dieses Urteil für die Tätigkeit deutscher Exporteure, vor allem dann, wenn US-Sanktionen drohen?                                                         

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Ausgangsfall: Die BMI-D, die deutsche Zweigniederlassung der Bank Melli Iran (BMI), hatte mit der Telekom (nachfolgend T), einer Tochter der Deutschen Telekom AG, einen Vertrag über die Erbringung von Telekom-Dienstleistungen geschlossen. Diese Dienstleistungen waren für die BMI-D unentbehrlich, um am Geschäftsverkehr in Deutschland teilzunehmen. Die Deutsche Telekom AG wies darauf hin, dass sie die Hälfte ihrer Umsätze in den USA erwirtschaftet. Nachdem sich die USA im August 2018 aus dem Wiener Atomvertrag (JPOA) mit Iran zurückgezogen hatten, verhängten sie ab dem 5. November 2018 neue Sekundär-Sanktionen gegen den Iran. In diesem Zusammenhang wurde die BMI wieder auf der SDN-Liste mit Sekundär-Sanktionen gelistet. Am 16. November bzw. 11. Dezember 2018 kündigte die T sämtliche Verträge der BMI-D „mit sofortiger Wirkung“ bzw. „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“, ohne Gründe hierfür zu nennen.

Auf eine Klage der BMI-D verurteilte das LG Hamburg die T, die Verträge bis zum Ablauf der ordentlichen Klagefristen zu erfüllen. Dabei ging es davon aus, dass die ordentliche Kündigung der Verträge durch die T mit Art. 5 der Antiboykott-VO 2271/96 (nachfolgend AB-VO oder „Blocking-VO“) vereinbar sei, u.a. deswegen, weil hier Weisungen der USA fehlten; vgl. das Urteil des OLG Köln vom 7. Februar 2020: Solche Weisungen seien erforderlich, um Art. 5 Abs. 1 AB-VO anwenden zu können (vgl. Schwendinger/Rehle, Export-Manager 5/2020, S. 13 f).

Die Auslegungsfragen

Auf die Berufung der BMI-D legte das OLG Hamburg im Wege der Vorabent-scheidung dem EuGH sinngemäß folgende vier Fragen vor:

  • Frage 1: Findet Art. 5 Abs. 1 AB-VO nur dann Anwendung, wenn an den handelnden EU-Wirtschaftsteilnehmer entsprechende US-Anweisungen ergangen sind, oder reicht es, dass das Handeln des EU-Wirtschaftsteilnehmers auch ohne solche Anweisungen darauf gerichtet ist, US-Sekundär-Sanktionen zu befolgen?
  • Frage 2: Falls Frage 1 im Sinn der zweiten Alternative beantwortet wird: Steht Art. 5 Abs. 1 AB-VO einem Verständnis entgegen, dass es dem Kündigenden möglich ist, jede Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses mit einem SDN-Gelisteten auszusprechen, ohne beweisen zu müssen, dass der Kündigungsgrund nicht darin liegt, US-Sanktionen zu befolgen?
  • Frage 3: Sofern Frage 2 bejaht wird: Ist eine ordentliche Kündigung, die gegen Art. 5 Abs. 1 AB-VO verstößt, zwingend als unwirksam anzusehen, oder ist dem Zweck der VO auch mit anderen Sanktionen (z.B. mit einem Bußgeld) genügt?
  • Frage 4: Sofern Frage 3 im Sinne der ersten Alternative beantwortet wird: Gilt dies in Ansehung von Art. 16 und 52 EU-Grundrechtecharta und der Möglichkeit von Ausnahmegenehmigungen nach Art. 5 Abs. 2 AB-VO auch dann, wenn dem EU-Wirtschaftsteilnehmer mit der Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zum SDN-Gelisteten erhebliche Verluste auf dem US-Markt drohen?

Zur Blocking-VO

Art. 5 Abs. 1 AB-VO verbietet es Personen/Unternehmen, die in der EU ansässig sind, den im Anhang genannten völkerrechtswidrigen US-Sanktionen gegen Kuba bzw. Iran nachzukommen, sofern keine Ausnahmegenehmigung nach Art. 5 Abs. 2 vorliegt. Hier ging es um einen dieser gelisteten US-Akte gegen den Iran, weil der IFCPA (Iran Freedom and Counter-Proliferation Act) u.a. verbietet, erhebliche Unterstützungen für SDN-gelistete Personen bereitzustellen. Nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 AB-VO war es somit der T verboten, die Kündigung auf die SDN-Listung der BMI zu stützen. Die T war somit in einer Zwickmühle:

  • Nach US-Recht durfte sie (wegen der SDN-Listung der BMI mit Sekundär-Sanktionen) keine erhebliche Unterstützung der BMI leisten und
  • nach EU-Recht durfte sie diese US-Sekundär-Sanktionen nicht befolgen, weil (ohne Einholen einer Ausnahmegenehmigung) eine Ordnungswidrigkeit wegen eines Verstoßes nach § 7 AWV droht (hier sind Bußgelder bis zu 500.000 EUR möglich).

Bei diesem – eigentlich zivilen – Rechtsstreit ging es um eine Auslegung der

Blocking-VO, die sowohl den gesetzgeberischen Interessen der EU (Schutz vor der Anwendung völkerrechtswidriger extraterritorialer US-Sanktionen in der EU) als auch der Privatautonomie der Wirtschaftsbeteiligten Rechnung tragen sollte: Wenn es ausreichen würde, dass der Kündigende bloß behaupten muss, dass die Kündigung nicht dazu dient, eine der gelisteten US-Sanktionen zu befolgen, dann könnte die Blocking-VO jederzeit umgangen werden durch solche Behauptungen, zumal innere Tatsachen (Motive) schwer nachzuweisen bzw. Geschäftsgeheimnisse sind („symbolischer Aktionismus“). Daher wäre es für eine optimale Durchsetzung zu begrüßen, wenn anstelle einer schwer umsetzbaren Motivkontrolle eine Beweislastumkehr stattfinden würde: Dann müsste der Kündigende nachweisen, dass die Kündigung nicht durch die Befolgung von US-Sanktionen motiviert ist (vgl. Plath/Schrömbges, Foreign Trade 2/2021, S. 40 ff). Nur mit diesem Nachweis wäre seine Kündigung trotz Art. 5 Abs. 1 AB-VO zulässig. Dieser Argumentation ist der Gerichtshof unter Wahrung der Grundsätze der Privatautonomie auch weitgehend gefolgt. Im Einzelnen:

Auslegung der Fragen 1 und 2

Mit guten Gründen macht der Gerichtshof (im Rahmen der Frage 1) die Anwendung von Art. 5 Abs. 1 nicht davon abhängig, dass es vorher zu entsprechenden US-Anweisungen gekommen ist. Hierfür sprechen in der Tat Wortlaut und Effektivität. Zu Frage 2 hatte der Generalanwalt vorgeschlagen, eher von der Beweislast­umkehr auszugehen und dass der Kündigende immer eine Begründung für seine Kündigung angeben muss, welche das Gericht auf seine Richtigkeit überprüfen muss. Ganz so weit will der Gerichtshof nicht gehen: Der Kündigende muss nicht zwingend eine Begründung angeben, denn grundsätzlich sind Vertragsparteien in ihren geschäftlichen Entscheidungen autonom. Wenn allerdings alle Beweismittel, über die das nationale Gericht verfügt, auf den ersten Blick dafürsprechen, dass es dem Kündigenden um die Befolgung der US-Sanktionen geht, dann kann wohl von einer Umkehr der Beweislast ausgegangen werden. Dann ist von einem Eingreifen von Art. 5 Abs. 1 auszugehen; anders ist die Rechtslage nur dann, wenn entweder eine Ausnahmegenehmigung nach Art. 5 Abs. 2 vorliegt oder wenn der Kündigende nachweist, dass sein Verhalten nicht darauf abzielte, diesen US-Sanktionen nachzukommen.

Auslegung der Fragen 3 und 4

Hier kommen Gerichtshof und Generalanwalt – wegen des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 GR-Charta) und der Verhältnismäßigkeit (Art. 52 GR-Charta) – zu divergierenden Ergebnissen, was u.a. daraus zu erklären ist, dass dem Text der Blocking-VO selbst nicht zu entnehmen ist, was die exakten Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Blocking-VO sind, außer dass Schadenersatz verlangt werden kann (Art. 6) und dass die Mitgliedstaaten Sanktionen für einen Verstoß festlegen müssen (Art. 9). Da der Generalanwalt in Art. 5 Abs. 1 einen gerechtfertigten verhältnismäßigen Eingriff in die Unternehmerfreiheit sieht, sprach er sich für die Unwirksamkeit der Kündigung aus – also dafür, dass der Vertrag im Fall eines solchen Verstoßes gegen die Blocking-VO fortgesetzt werden muss, weil die anderen Sanktionen allein für die Effektivität nicht reichten. Hingegen verlangt der Gerichtshof hier erst eine aufwendige Verhältnismäßigkeitsprüfung, bevor die Kündigung als unwirksam angesehen werden darf: Die Verfolgung der Ziele von Art. 5 Abs. 1 muss mit der Wahrscheinlichkeit und dem Ausmaß der US-Sanktionen abgewogen werden; erst wenn diese Abwägung verhältnismäßig ist, darf die Kündigung als unwirksam angesehen werden.

Hierbei hielt der Gerichtshof die Beschränkung der Unternehmerfreiheit durch Art. 5 Abs. 1 der Blocking-VO grundsätzlich für geeignet und erforderlich im Sinn der Ziele der Blocking-VO. Zweifel gab es nur bzgl. der Angemessenheit, vor allem dann, wenn sehr hohe wirtschaftliche Einbußen aus der Nichtbeachtung der US-Sanktionen resultierten. Hierfür will der Gerichtshof u.a. die Kriterien von Art. 4 der DVO 2018/1101 berücksichtigen: wahrscheinliche spezifische Gefährdung der geschützten Interessen, das Bestehen einer wesentlichen Verbindung zur USA, die nachteiligen Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit etc. Dabei darf auch berücksichtigt werden, ob der Kündigende einen Ausnahmeantrag nach Art. 5 Abs. 2 gestellt hat, weil er es damit selbst in der Hand hat, solche schwerwiegenden Auswirkungen zu vermeiden – denn bei einem erfolgreichen Antrag nach Art. 5 Abs. 2 muss der Kündigende nicht mehr Art. 5 Abs. 1 befolgen.

Resümee

Es handelt sich um ein wegweisendes Urteil zur Blocking-VO, weil es vor allem durch die Auslegung der Fragen 1 und 2 den Anwendungsbereich und die Auslegung präzisiert: Ihr Eingreifen unabhängig von US-Anweisungen und vor allem die Beinahe-Umkehr der Beweislast sind hier sehr zu begrüßen. Diese Auslegung war erforderlich, um zu vermeiden, dass die Blocking-VO zum bloßen „symbolischen Aktionismus“ wird; sie hat jetzt das Potenzial für die erforderliche strikte Auslegung.

Hingegen ist die Auslegung der Fragen 3 und 4 nicht ganz frei von Zweifeln und außerdem mit erneutem Prüfaufwand im Einzelfall verbunden: In dem Bestreben, dem von US-Sanktionen bedrohten Kündigenden einen Freiraum zu verschaffen, damit er nicht unverhältnismäßig belastet wird, kommt der Gerichtshof hier zu einer u.E. wenig überzeugenden Schlussfolgerung. Wenn diese aufwendige Abwägung zum Ergebnis kommen sollte, dass die Kündigung hier wirksam (also nicht unwirksam) ist, würde dies bedeuten, dass der Kündigende trotz wirksamer Kündigung Schadenersatzforderungen (vgl. Art. 6) und Bußgeldern (vgl. Art. 9) ausgesetzt wird.

Macht es wirklich Sinn, die Kündigung als wirksam anzusehen, den Kündigenden aber trotzdem mit Schadenersatz und Geldbußen zu überziehen? (Oder wollte der Gerichtshof sagen, dass in diesem Fall auch diese beiden Rechtsfolgen, die sich unmittelbar aus Art. 6 und 9 ergeben, nicht gelten sollen? Wir meinen, nein). U.E. hätte es näher gelegen, diesen Freiraum vor unverhältnismäßigen US-Eingriffen vor allem dadurch zu schaffen, dass der Gerichtshof den Kündigenden zwingend auf die Notwendigkeit des Ausnahmeantrags nach Art. 5 Abs. 2 verweist und hierbei Hinweise für eine weniger strikte Auslegung der EU-Kommission als die bisherige für den Erfolg des Ausnahmeantrags aufzeigt. Das wäre u.E. ein sehr viel effektiverer und praxisnäherer Weg – als die jetzt erforderliche aufwendige Verhältnismäßigkeitsabwägung – gewesen, um die o.g. „Zwickmühle“ für den Kündigenden zu beseitigen und ihn vor unverhältnismäßigen US-Sanktionen zu schützen.

Praktische Folgen dieser Entscheidung

U.E. sind zwei Schlussfolgerungen für die praktische Handhabung der Blocking-VO zwingend:

Erstens sollte jeder, der eine Vertragskündigung aussprechen will, die wegen des Kontextes mit den völkerrechtswidrigen US-Sanktionen gegen Iran und Kuba in den Anwendungsbereich der Blocking-VO fällt, vorher eine Ausnahmegenehmigung bei der EU-Kommission nach Art. 5 Abs. 2 beantragen und in diesem Rahmen das Risiko von unverhältnismäßigen US-Sanktionen darlegen. Dann bestehen gute Chancen, dass sein Antrag erfolgreich ist, sodass die „Zwickmühle“ für ihn beseitigt wird.

Zweitens sollten die Voraussetzungen für einen Ausnahmeantrag nach Art. 5 Abs. 2 von der EU-Kommission weniger strikt ausgelegt werden, um unverhältnismäßige Ergebnisse für die Betroffenen zu vermeiden. Ein Beispiel: Für die Frage der Wahrscheinlichkeit von US-Sanktionen für einen Antragsteller hat die EU-Kommission bei drei unserer Anträge vor allem darauf abgestellt, ob Äußerungen des OFAC, der dem US-Finanzministerium unterstellten Kontrollbehörde (Office of Foreign Assets Control), vorlagen, dass es voraussichtlich diese Aktivitäten unter US-Sanktionen stellen würde. Im Lichte des Melli-Urteils darf u.E. kaum auf solche Äußerungen der US-Regierung abgestellt werden (vgl. Frage 1). Von daher dürfte es nicht ganz unproblematisch sein, für die Frage der Wahrscheinlichkeit von US-Sanktionen auf solche Ankündigungen von US-Sanktionen abzustellen, zumal dies schwierige Situationen für die Betroffenen schaffen kann. Im Lichte des Melli-Urteils sollte der Nachweis der US-Nähe ausreichen, also dass ein erheblicher Teil der Umsätze in den USA generiert wird und/oder dass US-Töchter vorhanden sind. Wenn dann weiter nachgewiesen wird, dass ohne den EU-Ausnahme-Bescheid nach Art. 5 Abs. 2 US-Sanktionen drohen, die für den Antragsteller gravierende finanzielle Folgen haben oder seine wirtschaftliche Liquidität bedrohen könnten, dann muss u.E. dieser Antrag erfolgreich sein.

Wenn auch diese zwei Punkte umgesetzt würden, spricht einiges dafür, dass die Blocking-VO eventuell zu einer Erfolgsstory (vgl. hierzu unsere Beiträge in ExportManager 3/2019, S. 25 f.  und in ExportManager 8/2018, S. 22 f.) werden könnte.

Wegen aktueller Hinweise zum US-Exportrecht vgl. HIER und zum EU-Exportrecht (inklusive Blocking-VO) vgl. HIER

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