Gerd Schwendinger und Renata Rehle beantworten Fragen des ExportManagers zu dem aufsehenerregenden EuGH-Urteil (C-124/20), Konsequenzen für Unternehmen und möglichen Strategien vor Gericht.

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Das Urteil des Europäischen Gerichtshof im Fall Bank Melli hat hohe Wellen geschlagen. Warum ist das so?

Zahlreiche Verfahren vor nationalen Gerichten drehten und drehen sich um die Anwendung und Reichweite der sogenannten Blocking-Verordnung (Blocking-VO) der EU. Obwohl es dieses EU-Gesetz schon seit 1996 gibt, ist das Hanseatische Oberlandesgericht (Hans­OLG) in Hamburg, vor dem der Fall Bank Melli auf nationaler Ebene verhandelt wird, das erste Gericht eines EU-Mitgliedstaates, das hierzu den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg angerufen hat.

Große Aufmerksamkeit zieht das EuGH-Urteil auch deshalb auf sich, weil die Blocking-VO ein Instrument mit außenpolitischer Dimension ist. Ihr Zweck ist es, die Souveränität des EU-Gesetzgebers und des europäischen Sanktionsrechts zu schützen. Die Verordnung soll einer aus Sicht der EU völkerrechtswidrigen Praxis von manchen Drittländern wie den USA entgegenwirken: Denn Letztere verhängen ihre Wirtschaftssanktionen extraterritorial, also insbesondere auch gegenüber europäischen Unternehmen, ohne jeglichen lokalen oder personellen Anknüpfungspunkt zu den USA. Dies wird von der EU nicht akzeptiert.

Was genau bezwecken die Amerikaner mit ihren Sanktionen?

Derzeit droht in der EU ansässigen Unternehmen insbesondere eine Sanktionierung durch die USA, wenn sie Geschäfte mit Iran- oder Kuba-Bezug machen, die aus Sicht der EU völlig legitim sind. Auf diese Weise wollen die USA ihre außenpolitischen Ziele im Hinblick auf Iran und Kuba durchsetzen. Die Blocking-VO verbietet es nun ihrerseits den der EU-Jurisdiktion unterliegenden Unternehmen, sich an die betreffenden US-Sanktionen zu halten. Dennoch beugen sich europäische Unternehmen unter Verstoß gegen die Blocking-VO häufig dem Druck der USA und befolgen deren Sanktionen, um negative Konsequenzen, insbesondere ihren Ausschluss vom US-Markt, zu vermeiden. Für die betroffenen Unternehmen stellt dieser Konflikt zwischen EU- und US-Recht ein echtes Dilemma dar.

Konkret hatte in dem vom EuGH entschiedenen Fall eine Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom der Hamburger Niederlassung der Bank Melli Ende 2018 den Telekommunikationsanschluss gekündigt, ohne den Letztere nicht am Geschäftsverkehr teilnehmen kann. Was waren die Beweggründe für dieses Vorgehen?

Der in der Berufungsinstanz vor dem Hans­OLG anhängige Rechtstreit dreht sich um die Wirksamkeit der Kündigung und dabei letztlich um die Frage, was die Beweggründe der Telekom für die Kündigung waren. Die Telekom hatte der Bank Melli eine sogenannte ordentliche Kündigung erklärt, d.h. eine fristgebundene Kündigung, bei der gerade kein besonderer Kündigungsgrund genannt werden muss.

Die Bank vermutet allerdings, dass die Kündigung der Verträge allein aus Sorge vor der Sanktionierung durch die USA erfolgte. Denn die Bank Melli steht auf einer US-Sanktionsliste, namentlich der SDN-Liste. SDN bedeutet „Specially Designated Nationals and Blocked Persons“. Nachdem die USA im Jahr 2018 unter der Regierung Trump aus dem Iran-Atomabkommen, dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), ausgetreten waren, sind die zwischenzeitlich ausgesetzten US-Iran-Sanktionen wieder in Kraft getreten und teilweise verschärft worden.

Obwohl die Telekommunikationsverträge, um die es vorliegend geht, in Deutschland geschlossen worden sind und die an dem Vertrag Beteiligten keine US-Personen sind, steht – wegen der extraterritorialen US-Sekundär-Sanktionen – möglicherweise eine Sanktionierung der Telekom durch die USA im Raum. Ein in einem solchen Fall drohender Ausschluss vom US-Markt würde den Telekom-Konzern freilich hart treffen, da er angeblich etwa die Hälfte seines Umsatzes mit seiner Tätigkeit in den USA erwirtschaftet.

Die größte staatliche Bank Irans ging gegen diese Entscheidung vor und erzielte mit der EuGH-Urteilsverkündung kurz vor Weihnachten einen wichtigen Teilerfolg. Warum ist der Fall bei der höchsten Instanz gelandet?

Die Bank Melli Iran hatte in einem Zivilrechtsstreit vor dem Landgericht Hamburg ohne Erfolg gegen die ordentliche Kündigung geklagt und ihr Begehren nun in der Berufungsinstanz vor dem HansOLG weiterverfolgt. Aus Sicht der Bank Melli verstößt die Kündigung gegen das in Art. 5 Abs. 1 der Blocking-VO geregelte Verbot, Forderungen oder Verboten nachzukommen, die auf dem in ihrem Anhang gelisteten Rechtsakten beruhen. Derzeit sind im Anhang der Blocking-VO ausschließlich US-Rechtsakte gelistet, die Sanktionen in Bezug auf Iran und Kuba vorsehen. Die Blocking-VO ist ein EU-Gesetz, das unmittelbar verbindlich und in den Mitgliedstaaten anzuwenden ist. Stellen sich in einem Rechtsstreit Zweifelsfragen im Hinblick auf die Auslegung eines EU-Gesetzes, kann bzw. muss das zuständige nationale Gericht den EuGH anrufen.

Unternehmen dürfen demnach nur dann gegen das EU-Regelwerk zur Abwehr von US-Sanktionen gegen den Iran verstoßen, wenn andernfalls unverhältnismäßige Auswirkungen – insbesondere wirtschaftlicher Natur – drohen. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Diese Darstellung ist so nicht ganz zutreffend. Es stimmt, dass der EuGH den nationalen Gerichten auferlegt hat, bei der Prüfung, ob eine Kündigung wegen eines Verstoßes gegen die Blocking-VO unwirksam ist, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen. Dies gebiete die Achtung der in Art. 16 der Grundrechtecharta verankerten unternehmerischen Freiheit. Ein nationales Gericht kann also zu dem Ergebnis kommen, dass die Kündigung des Vertrages trotz Befolgung der US-Sanktionen wirksam ist, wenn dem Kündigenden andernfalls unverhältnismäßige Auswirkungen drohen.

Diese EuGH-Position ist auch insofern bemerkenswert, als er hier über die Schlussanträge des Generalanwalts hinausgeht. Aus Sicht des Generalanwalts ist das Vertragsverhältnis aufrechtzuerhalten, sobald ein nationales Gericht festgestellt hat, dass eine Kündigung gegen Art. 5 Abs. 1 der Blocking-VO verstößt. Die Verhältnismäßigkeit des in Art. 5 Abs. 1 der Blocking-VO geregelten Verbots hat er bejaht.

Was bedeutet das konkret?

Die Schlussanträge des Generalanwalts scheinen im Vergleich zum Ansatz des EuGH strenger, aber auch klarer und konsequenter zu sein. Der EuGH ist zwar erkennbar um „Einzelfallgerechtigkeit“ bemüht und „öffnet“ mit der von ihm postulierten Verhältnismäßigkeitsprüfung „eine Tür“, um im Individualfall – trotz eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 der Blocking-VO – eine Loslösung des Kündigenden von geschlossenen Verträgen zu ermöglichen. Aber dieser auf den Einzelfall abstellende Ansatz des Gerichtshofs wirft weitere Fragen auf und schafft neue Rechtsunsicherheiten.

Selbst wenn ein nationales Gericht die Unwirksamkeit einer Kündigung als unverhältnismäßig erachten sollte, kann dem kündigenden Unternehmen dennoch Ungemach drohen. Nach deutschem Recht ist ein Verstoß gegen das Verbot der Blocking-VO eine Ordnungswidrigkeit und mit einer Geldbuße bis zu 500.000 EUR belegt. In anderen Mitgliedstaaten der EU sind in einem solchen Fall sogar strafrechtliche Konsequenzen vorgesehen.

Das EuGH-Urteil ändert im Grundsatz nichts daran, dass es sich bei einer auf der Befolgung von US-Sanktionen beruhenden Kündigung um einen Verstoß gegen die Blocking-VO handelt – auch wenn die Kündigung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit wirksam sein mag. Insofern ist der kuriose Fall denkbar, dass sich jemand unter diesen Umständen zwar zivilrechtlich von einem Vertrag lösen kann, jedoch gleichwohl wegen des darin liegenden Verstoßes gegen die Blocking-VO hierfür straf- oder bußgeldrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Hier scheint das EuGH-Urteil möglicherweise noch nicht ganz konsequent zu Ende gedacht: Kann es wirklich sein, dass die Unwirksamkeit einer Vertragskündigung unverhältnismäßig wäre, eine hierauf bezogene straf- oder bußgeldrechtliche Sanktion aber verhältnismäßig?

Wie kann die Prüfung der Verhältnismäßigkeit in der Gerichtspraxis erfolgen?

Es ist fraglich, in welcher Weise sie durch die nationalen Gerichte in der Praxis zur Anwendung kommen und zugunsten welcher Vertragspartei sie im Einzelfall ausfallen wird. Der EuGH scheint ersichtlich darauf hinwirken zu wollen, dass die Unternehmen vor Befolgung der US-Sanktionen einen Antrag bei der Kommission nach Art. 5 Abs. 2 der Blocking-VO auf Befreiung von dem in Art. 5 Abs. 1 normierten Verbot stellen. Wenn einem Unternehmen tatsächlich unverhältnismäßige Auswirkungen drohen, sollte die Kommission ihm – eigentlich – genehmigen, den US-Sanktionen nachzukommen. Denn sie hat zu prüfen, ob die Interessen der betroffenen Personen andernfalls geschädigt würden, wobei auch erhebliche wirtschaftliche Verluste zu berücksichtigen sind.

Es wäre kaum nachvollziehbar, wenn der vom EuGH vorgegebene Verhältnismäßigkeitsmaßstab bei der Gerichtsentscheidung über eine Vertragskündigung ein anderer sein sollte als bei der Entscheidung der – als Unionsorgan ebenfalls an den allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit gebundenen – Kommission über eine Ausnahmegenehmigung. Wir verstehen den EuGH so, dass ein nationales Gericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zulasten des Unternehmens zu berücksichtigen hätte, wenn es keinen Genehmigungsantrag gestellt haben sollte. Das Argument des EuGH ist, dass das Unternehmen in einem solchen Fall die Möglichkeit gehabt hätte, bereits vorab die Beschränkung der unternehmerischen Freiheit zu vermeiden. Aber was ist, wenn das Unternehmen zwar einen Genehmigungsantrag gestellt, die Kommission diesen aber abgelehnt hat und nun das nationale Gericht in einem Zivilprozess die Frage der Verhältnismäßigkeit anders beurteilt als die Kommission?

Hier drohen mit Blick auf ein und denselben Sachverhalt möglicherweise divergierende Entscheidungen der Kommission, der nationalen Zivilgerichte sowie der für Bußgeld- oder Strafsachen zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte.

In der Praxis dürfte sich ein solcher Nachweis unverhältnismäßiger Auswirkungen eher schwierig gestalten. Welche Möglichkeiten sehen Sie hierfür?

Es ist letztlich Aufgabe der nationalen Gerichte zu bewerten, wie wahrscheinlich eine Sanktionierung der Unternehmen durch die USA wäre und ob die drohenden wirtschaftlichen Verluste die Unwirksamkeit einer Kündigung unverhältnismäßig erscheinen lassen. Das kündigende Unternehmen könnte im Zivilprozess bspw. Unterlagen – wie etwa Gutachten US-amerikanischer Experten – vorlegen, um die Wahrscheinlichkeit eines Einschreitens der US-Behörden zu belegen, sofern keine konkreteren Hinweise, wie etwa dahingehende Äußerungen der US-Behörden, vorliegen. Diese haben bei der Anwendung der einschlägigen US-Gesetze erheblichen Spielraum, was die Vorhersehbarkeit ihres Vorgehens erschwert.

Im konkreten Fall wird das HansOLG außerdem entscheiden müssen, inwieweit die dem Telekom-Konzern angeblich drohenden wirtschaftlichen Verluste von 50% des Umsatzes in den USA ausreichend wären, um die Kündigung aus Verhältnismäßigkeitsgründen ausnahmsweise als wirksam anzusehen. Die Frage der Verhältnismäßigkeitsprüfung stellt sich für das HansOLG allerdings nur, wenn die Telekom keine anderen tragfähigen wirtschaftlichen oder geschäftspolitischen Gründe für die Kündigung vortragen und beweisen kann.

Die Einholung einer Ausnahmegenehmigung der Kommission nach Art. 5 Abs. 2 der Blocking-VO wäre doch eigentlich eine weniger komplizierte und aufwendige Lösung für die betroffenen europäischen Unternehmen?

In der Tat sieht die Blocking-VO die Möglichkeit vor, dass die Kommission im Benehmen mit dem Ausschuss für extraterritoriale Rechtsakte solche Ausnahmegenehmigungen erteilen kann. Soweit ersichtlich, scheuen es betroffene europäische Unternehmen bislang, das Instrument der Ausnahmegenehmigung in Anspruch zu nehmen. Das ist auch nachvollziehbar: Die Genehmigung nach Art. 5 Abs. 2 der Blocking-VO muss nach verbreiteter Auffassung vor einer Befolgung der US-Sanktionen eingeholt werden. Da die Beantragung einer Genehmigung keine aufschiebende Wirkung hat, ist der Antragsteller während der Dauer des Genehmigungsverfahrens verpflichtet, die Bestimmungen der Blocking-VO vollumfänglich einzuhalten. In diesem Zeitraum droht dem europäischen Unternehmen aber bereits eine Sanktionierung durch die US-Behörden. Zudem war die Kommissionspraxis zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen bisher augenscheinlich eher restriktiv. Belastbare Auskünfte über die Erfolgsquote von Genehmigungsanträgen sind nicht zu erhalten.

Inwieweit könnte sich die Kommissionspraxis nun angesichts des EuGH-Urteils ändern?

Es ist davon auszugehen, dass die europäischen Unternehmen die Beantragung einer Kommissionsgenehmigung von nun an vermehrt in Betracht ziehen, da jedenfalls die „Taktik“ der Telekom, die Beweggründe des Agierens zu verschweigen, nicht erfolgversprechend ist, wenn prima facie das Verhalten des kündigenden Unternehmens für eine Befolgung von US-Sanktionen spricht. Letztlich ist jedoch fraglich, ob die Kommission das Genehmigungsverfahren künftig „attraktiver“ gestalten wird, d.h. vor allem zügiger, transparenter und mit mehr Aussicht auf Erfolg für die Antragsteller. Denn für die Kommission und die in dem vorgenannten Ausschuss vertretenen EU-Mitgliedstaaten stellt sich in diesem Zusammenhang folgendes Problem: Die Effektivität der Blocking-VO wurde ohnehin schon vor der Entscheidung des EuGH vielfach in Zweifel gezogen.

Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des amerikanischen Marktes und des US-Einflusses auf das internationale Finanzsystem wirkt sie auf manche schon jetzt wie ein zahnloser Tiger in Anbetracht der zahlreichen unionsansässigen Unternehmen, die offenkundig trotz des in der EU insoweit geltenden Verbots US-Sekundär-Sanktionen befolgen. Wenn die Kommission nun unter dem Eindruck des EuGH-Urteils noch beginnen sollte, in weitem Umfang Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, wäre es um die praktische Wirksamkeit der Blocking-VO wohl vollends geschehen – was letzten Endes nicht im Interesse der EU sein kann. Vor diesem Hintergrund dürfte nicht unbedingt mit einer merklichen Lockerung der bisherigen restriktiven Genehmigungspraxis zu rechnen sein.

Die Blocking-VO legt außerdem fest, dass europäische Firmen für mögliche Kosten und Verluste, die durch die Anwendung der im Anhang der Blocking-VO aufgeführten US-Gesetze entstehen, Entschädigung verlangen können. Was hat es damit auf sich und gegenüber wem kann Schadenersatz gefordert werden?

Ein solcher Schadenersatzanspruch der europäischen Unternehmen ist in Art. 6 der Blocking-VO vorgesehen. In der Praxis ist die Auslegung der Regelung aber weitestgehend unklar. Nach welchen Kriterien die Schadenhöhe zu ermitteln ist und wer als Schadenverursacher zur Zahlung verpflichtet ist, bleibt weiterhin offen, da die Auslegung von Art. 6 der Blocking-VO nicht Thema der Entscheidung des EuGH war. Soweit ersichtlich, haben jedenfalls deutsche Gerichte noch keinen Schadenersatz nach Art. 6 der Blocking-VO zugesprochen.

Im nächsten Schritt muss nun das HansOLG das EuGH-Urteil aufnehmen und entscheiden, ob die Kündigung der Telekom-Tochtergesellschaft 2018 rechtens war. Die Beklagte hat bisher damit argumentiert, dass die Blocking-VO nicht ihr Recht berühre, die ordentliche Kündigung eines Vertrages ohne Angabe von Gründen auszusprechen. Inwieweit könnte diese Strategie doch noch zum Erfolg führen?

Es ist davon auszugehen, dass die Telekom vor Gericht erklären muss, warum sie gekündigt hat. Die Indizien, dass sie aus Sorge vor US-Sanktionen agiert hat, sind recht eindeutig. Die Telekom hat ihre Verträge mit der Bank Melli innerhalb von zwei Wochen nach dem erneuten Inkrafttreten der US-Sanktionen gekündigt und ein mehr oder weniger gleichlautendes Schreiben an vier weitere Kunden gerichtet, von denen jeder Verbindungen in den Iran hatte. In einer solchen Situation legt der EuGH der kündigenden Partei die Beweislast dafür auf, dass die Kündigung doch aus anderen Gründen als der Befolgung von US-Sanktionen erfolgte. Es bleibt abzuwarten, ob die Telekom andere wirtschaftliche oder geschäftspolitische Gründe vortragen und beweisen kann. Nur wenn das nicht der Fall sein sollte, hat das HansOLG in einem weiteren Schritt die Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen – mit all den Schwierigkeiten, die das mit sich mitbringt, wie bereits ausgeführt.

Inwieweit hat Ihrer Meinung nach die Blocking-VO der EU Zukunft?

Sollten die Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran zu einer Rückkehr zum JCPOA und einer dauerhaften Aufhebung der US-Iran-Sekundär-Sanktionen führen, hätte sich die Anwendung der Blocking-VO insoweit erledigt. Von dieser Verordnung sind aber auch die US-Kuba-Sanktionen erfasst. Und es ist nicht ersichtlich, dass die USA unter der Regierung Biden grundsätzlich von der extraterritorialen Anwendung von Wirtschaftssanktionen abweichen wollen. Daher könnten auch künftige Disparitäten der Sanktionsregime der EU und der USA in der Blocking-VO ihren Niederschlag finden, indem weitere US-Gesetze in den Anhang der Verordnung aufgenommen werden. Außerdem könnte mit der Blocking-VO auch künftigen extraterritorialen Wirtschaftssanktionen anderer Drittländer begegnet werden.

Wird die EU die Blocking-VO nachjustieren?

Ja, das ist beabsichtigt. Wie eine solche Änderung der Verordnung aus Sicht der  EU aussehen könnte, erscheint im Einzelnen noch konturlos. Da der Konsultationsprozess hierzu Ende 2021 abgeschlossen wurde, ist davon auszugehen, dass wir in diesem Jahr mehr Klarheit erhalten.

Ein politischer Wille des EU-Gesetzgebers zu wesentlichen Veränderungen der Blocking-VO ist derzeit noch nicht erkennbar – weder in Richtung einer Aufhebung noch mit Blick auf eine deutliche Ausweitung des Anwendungsbereichs der Blocking-VO. Das rechtliche und politische Grundproblem, dass sich zwei Sanktionsregime widersprechen, wird sich mit der – wie auch immer künftig möglicherweise modifizierten – Blocking-VO allein jedenfalls nicht lösen lassen. Der bestehende Konflikt kollidierender Rechtssysteme wird daher wohl leider weiterhin auf dem Rücken der europäischen Unternehmen ausgetragen werden. Hieran dürfte im Ergebnis auch das neue EuGH-Urteil nicht wirklich durchgreifend etwas ändern.

g.schwendinger@gvw.com

r.rehle@gvw.com

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