Die türkische Wirtschaft erweist sich als wachstumsstark. Doch die starke Abwertung der Türkischen Lira lastet auf der Kaufkraft.                                                                                                                                                                                                                                           

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Der IWF erwartet in seinem Weltwirtschaftsausblick von Oktober 2021 für die Türkei im Jahr 2021 einen Anstieg des realen BIP um 9%. Das starke Wirtschaftswachstum beeindruckt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die türkische Wirtschaft – im Gegensatz zu vielen anderen Volkwirtschaften – im vergangenen Jahr nicht schrumpfte, sondern um 1,8% wuchs. Die Wachstumsprognosen für 2022 sind weniger beeindruckend, liegen jedoch bei stabilen 3,3%.

Verschiedene Faktoren haben 2021 zu diesem beträchtlichen Wachstum beigetragen, darunter die wirtschaftliche Diversifizierung, die hohe Impfquote (beinahe 60% der Bevölkerung sind vollständig geimpft) und die starke Nachfrage im In- und Ausland. Das Wachstum ist außerdem auf die steuerlichen und steuerähnlichen Maßnahmen der Regierung sowie die sehr expansive Geldpolitik zurückzuführen. Allerdings bleibt eine lockere Geldpolitik nicht folgenlos für die Inflationsrate.

Hohe Inflation bietet Anlass zur Sorge

Seit 2016 ist die jährliche Inflation zweistellig und liegt damit deutlich über dem Zielwert der Zentralbank in Höhe von 5%. Diese massive Inflation – im Oktober 2021 lag sie laut offiziellen Angaben bei 19,9% – wird durch globale Faktoren (hohe Rohstoffpreise, globale Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage) und nationale Faktoren (Wechselkursverluste und eine sehr expansive Geldpolitik) bedingt. Während die Zentralbanken vieler Schwellenmärkte ihren Referenzzinssatz anheben, um den Inflationsdruck einzudämmen, senkte die türkische Zentralbank ihren einwöchigen Repo-Satz im November 2021 auf 15%, nachdem sie ihn erst im März dieses Jahres kurzzeitig auf 19% erhöht hatte. Daher liegt der reale Referenzzinssatz weiterhin im negativen Bereich.

Die jüngsten Zinssenkungen und die wiederholten Entlassungen von Zentralbankchefs sowie von Mitgliedern des geldpolitischen Ausschusses schwächen die Glaubwürdigkeit der Zentralbank, die nur auf dem Papier unabhängig ist. In den vergangenen Jahren hat die politische Ungewissheit zugenommen. Die Geldpolitik ist nur ein Beispiel dafür. Bei einem Blick auf die Worldwide Governance Indicators (WGI) der Weltbank wird deutlich, dass viele weitere Indikatoren sich verschlechtert haben. Der Wert für den Indikator „staatliche Ordnungspolitik“ sank von 66,3 im Jahr 2014 auf 51,9 im Jahr 2020; der Wert für „Rechtsstaatlichkeit“ fiel von 57,2 auf 40,4 und die Einstufung der „Leistungsfähigkeit der Regierung“ von 68,3 auf 52,4. Die fehlende Glaubwürdigkeit der Geldpolitik und die Verschlechterung der oben genannten Indikatoren schwächen das Vertrauen ausländischer Investoren und machen das Land unattraktiver für ausländische Direktinvestitionen. Angesichts verhaltener Langzeitinvestitionen baut die Wirtschaft auf kurzfristige Kapitalströme zur Finanzierung ihres strukturellen Leistungsbilanzdefizits – eine offene Flanke angesichts der geringen Liquidität des Landes.

Höhere Bruttowährungsreserven

Seit geraumer Zeit stehen die Bruttowährungsreserven unter Druck. Aufgrund ihrer stetigen Erosion hat Credendo das kurzfristige politische Risikorating auf 5/7 herabgestuft. Seit dem Tief im September 2020 steigen die Bruttowährungsreserven jedoch wieder an, insbesondere aufgrund der SZR-Zuweisung des IWF im August, höherer kurzfristiger Kredite der Zentralbank (z.B. Swaps) und höherer Portfolioinvestitionen. Der jüngste steile Anstieg der nominalen Währungsreserven ist durchaus positiv. Trotz eines gestiegenen Ölpreises und einer starken Binnennachfrage ist dadurch mit einem Rückgang des Leistungsbilanzdefizits von 5,2% des BIP im Jahr 2020 auf 2,4% im Jahr 2021 zu rechnen. Aufgrund der starken Nachfrage aus Europa, einer sich erholenden Tourismusbranche und einer gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure (zurückzuführen auf die schwache Lira) ist in der Tat zu erwarten, dass eine deutliche Erholung der Leistungsbilanzeinnahmen höhere Importausgaben mehr als ausgleichen wird.

Dennoch bleibt die kurzfristige politische Risikoprognose vorerst auf dem aktuellen Niveau, da die Bruttowährungsreserven die massive kurzfristige Auslandsverschuldung nicht ausreichend decken können. Des Weiteren bleibt die Türkei aufgrund ihrer Abhängigkeit von kurzfristigen Kapitalzuflüssen anfällig für Veränderungen auf dem globalen Finanzmarkt. Die Lage könnte sich durch inländische und globale Ereignisse verschlechtern (z.B. könnte die US-Notenbank Fed bei ihrer Geldpolitik stärker durchgreifen als momentan erwartet, um dem Inflationsdruck in den USA entgegenzuwirken). Zu guter Letzt merkte der IWF bei seiner jüngsten Artikel-IV-Konsultation an, dass die Qualität der Währungsreserven 2020 nachgelassen habe. Ein größerer Anteil der Reserven bestehe aus Währungen außerhalb des SZR-Korbs und/oder aus Schulden bei Banken in Form von Depots bei der Zentralbank und Swaps. Verdichtete Daten aus dem Bankensektor lassen tatsächlich auf einen Anstieg der Forderungen gegenüber der Zentralbank im Jahr 2020 schließen (um mehr als 60%), in diesem Jahr auf beinahe 11% des BIP.

Angesichts einer geringen Liquidität sowie einer unglaubwürdigen Geldpolitik steht die Türkische Lira (TRY) seit einigen Jahren unter Druck. Der dramatische Wertverlust der Währung ist besorgniserregend. Die Unternehmensverschuldung ist hoch: Im ersten Quartal 2021 lag sie geschätzt bei 72% des BIP, nachdem sie 2018/19 deutlich gesunken war. Da ein Teil der Unternehmensschulden auf Fremdwährungen basiert, kostet es mehr, sie bei einem schlechten Wechselkurs in der Lokalwährung zu begleichen. Immerhin handelt es sich bei diesen Schulden größtenteils um Inlandsschulden, die bei einer sehr expansiven Geldpolitik vom Bankensektor finanziert werden. Daher liegen die Bruttoauslandsverschuldung und damit auch die Zahlungsfähigkeit der Türkei immer noch auf einem angemessenen Niveau (bei etwa 60% des BIP im Jahr 2020 laut Daten der Weltbank).

Trotzdem macht dies den Bankensektor anfällig für Währungsschocks. Die Qualität der Aktiva der Banken könnte sinken, wenn der anhaltende Wertverlust der Lira Unternehmen erschwert, ihre Schulden in Fremdwährungen zu begleichen (die notleidenden Kredite lagen 2020 bei 5%, ein kontrollierbarer Rahmen, der teilweise auf Stundungsmaßnahmen zurückzuführen ist). Auf der Passivseite ist der Bankensektor stark auf Fremdfinanzierung angewiesen und reagiert daher empfindlich auf eine angepasste Risikowahrnehmung. Immerhin ist die Abhängigkeit des Bankensektors von Fremdfinanzierung im Verhältnis zum BIP von 16,6% im Dezember 2017 auf 10,2% im Jahr 2021 gesunken – eine beruhigende Entwicklung.

Solide Finanzen der Zentralregierung

Ein Aspekt ist positiv hervorzuheben: Eine Stärke der türkischen Volkswirtschaft sind weiterhin die soliden Finanzen der Zentralregierung. Daher konnte der türkische Staat der Wirtschaft mit steuerlichen (etwa 2% des BIP) und steuerähnlichen Maßnahmen (etwa 10% des BIP) unter die Arme greifen. Dies führte 2020 zu einem Anstieg der Staatsverschuldung auf fast 40% des BIP, ein immer noch gutes Schuldenniveau, sowie zu einem Anstieg des Anteils an Lokalwährungen (auf 56% im Jahr 2020). Somit ist die Zentralregierung zunehmend einem Wechselkursrisiko ausgesetzt.

Stabile Länderrisikoprognose

Die Credendo-Länderrisikoanalysen bleiben bei einer stabilen Prognose. Das beträchtliche Wachstum, solide Staatsfinanzen, ein starker Anstieg der Brutto-währungsreserven sowie eine moderate Auslandsverschuldung und Schuldendienstquote sprechen für diese Einordnung. Diese wird jedoch von einer hohen Abhängigkeit von Fremdfinanzierung, einer kaum glaubwürdigen Geldpolitik und dem anhaltenden Druck auf die Türkische Lira beeinträchtigt.

Ausführliche Länderberichte finden Sie auf der Seite www.credendo.com.

k.koch@credendo.com

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