Nach dem 25. Februar 2022 hat die EU als Antwort auf den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine zusätzliche Sanktionen gegen Russland und Belarus beschlossen (siehe unseren Beitrag in ExportManager 2/2022, S. 23 ff.). Welche Auswirkungen hat dieses EU-Embargo im Vergleich mit dem US-Russland-Embargo für Exporteure in der EU und was bedeutet es für die Beratungspraxis?

Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)

Ausgangsfall 1: D in Deutschland möchte eine nicht gelistete Anlage an R in Russland liefern. Diese Lieferung enthält einen Schaltschrank, in dem sich Mikroprozessoren mit einer Taktfrequenz größer als 25 MHz befinden. Ist dieser Export nach Russland zulässig?

Abwandlung: Im Ausgangsfall 1 ist der Kunde in Russland die Firma Rosneft. Was ändert sich?

Ausgangsfall 2: D in Deutschland bestellt im Januar 2022 Stahlprodukte bei F in Frankreich, die auch noch veredelt werden müssen. Im März 2022 werden diese – als die Veredelung gerade beginnen sollte – von französischen Behörden beschlagnahmt, weil die Mutter von F ein russischer Stahlkonzern ist, an dem der russische Oligarch O mehr als 50% der Anteile hält. Letzterer ist seit 28. Februar 2022 gelistet. Kann D die Freigabe dieser beschlagnahmten Stahlprodukte verlangen?

Weitere Russland-Sanktionen von 26. Februar bis 15. März 2022

Es gibt zahlreiche kleine Änderungsverordnungen zur Russland-VO 833/2014: Sie führen zu einer Sperrung des Luftraums der EU für russische Flugzeuge (VO 2022/334), einem Verbot der Nutzung von SWIFT für Zahlungsdienste von sieben russischen Banken (neuer Anhang XIV: Bank Otkritie, Novikombank, Promsvyazbank, Bank Rossya, Sovcombank, VEB, VTB Bank) und einem Verbot der Lieferung von Euro-Banknoten nach Russland (VO 2022/345), einem Sendeverbot der in Anhang XV gelisteten Sender (Russia Today und Sputnik, VO 2022/350), einem Verbot von Verkauf und Ausfuhr der in Anhang XVI gelisteten Güter der Schifffahrt sowie einem Transaktionsverbot mit der russischen Zentralbank (VO 2022/394).

Wichtige Änderungen zur Russland-VO enthält die VO 2022/428: die Neufassung von Art. 3 und 3a (Beteiligungsverbot am russischen Energie-Sektor), ein EU-Einfuhrverbot für Eisen- und Stahlerzeugnisse (neuer Anhang XVII), ein Ausfuhrverbot von Luxusgütern nach Russland (neuer Anhang XVIII), ein Verbot aller Transaktionen mit staatseigenen Betrieben, die im neuen Anhang XIX gelistet sind (zwölf Unternehmen, u.a. Rosneft, Transneft, Gazprom Neft, KAMAZ, Rostec), ein Verbot von Ratingdiensten sowie eine umfassende Ergänzung des Anhangs IV.
Zudem wurde das Belarus-Embargo (die Belarus-VO 765/2006) durch die großen Änderungsverordnungen VO 2022/355 und VO 2022/398 so angepasst, dass das Belarus-Embargo weitgehend dem Russland-Embargo entspricht.

Gleichzeitig kam es zu zahlreichen weiteren Listungen auf der Ukraine-VO 269/2014; dies betraf mehrere Oligarchen, Minister Russlands und Vertraute Putins (VO 2022/336), russische Geschäftsleute (VO 2022/396), weitere russische Oligarchen/Firmenvertreter und zehn russische Firmen (VO 2022/427). Außerdem erfolgten eine Korrektur von Listungen (VO 2022/408) und eine Listung von belarussischen Militärs und Ministerialmitarbeitern (VO 2022/353).

Durch den GASP-Beschluss 2022/338 wurden von der EU 450 Mio EUR für die Bereitstellung von Rüstung (im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität) an die Ukraine genehmigt. Mit dem Durchführungsbeschluss 2022/382 hat Brüssel einen Massenzustrom von Flüchtlingen festgestellt und einen vorübergehenden Schutz für diese Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine eingeräumt.

Prüfungen nach EU-Recht und Vergleich mit dem US-Embargo

Prüfung 1 – Dual-Use-Gut: Wenn es um ein gelistetes Dual-Use-Gut geht, ist die Ausfuhr grundsätzlich nach EU-Recht verboten, falls es nicht um einen der sieben nicht militärischen Zwecke geht; sonst muss die Altvertragsregelung (durch bis zum 1. Mai 2022 zu beantragende BAFA-Genehmigung) genutzt werden. Im US-Recht ist dieser Prüfungspunkt insofern weiter, weil er auch direkte Produkte aus US-Software/US-Technologie (und aus US-Produktionsanlagen, die entsprechende direkte Produkte aus dieser US-Software/-Technologie sind) einbezieht: Für ausländische Güter unter EAR-Jurisdiktion, die direkte Produkte aus US-Software/US-Technologie bzgl. der Güterkategorien 3 bis 9 der CCL (Commerce Control List) sind, besteht eine Genehmigungspflicht, sofern Kenntnis über die Bestimmung Russland/Belarus besteht.

Und für ausländische Güter unter EAR-Jurisdiktion, die direkte Produkte aus US-Software/US-Technologie bzgl. aller Güterkategorien der CCL sind, besteht eine Genehmigungspflicht, falls der Käufer ein militärischer Endverwender in Russland/Belarus ist (§ 746.8 EAR). Auch im US-Recht muss einer der genannten zugelassenen Verwendungszwecke (z.B. Flug- oder Schiffssicherheit, humanitäre Zwecke, Anträge für Lieferungen an US-Tochtergesellschaften bzw. ausländische Töchter von US-Gesellschaften) vorliegen.

Prüfung 2 – spezifische Güterverbote: Im EU-Recht sind spezifische Lieferverbote nach Russland zu beachten: Anhang II (Öl-Exploration), Anhang VII (Güter für militärische und technologische Stärkung Russlands), Anhang X (Güter für Erdölraffination), Anhang XI (Güter für Luft- und Raumfahrt), XVI (Güter der Seeschifffahrt), Anhang XVII (Eisen- und Stahlerzeugnisse: gegenwärtig ist dies nur ein Einfuhrverbot), XVIII (Luxusgüter). Für jeden dieser Anhänge gibt es spezifische Altvertragsregelungen (mit oder ohne BAFA-Genehmigung).

Das US-Embargo kennt vor allem Lieferverbote für Güter zur Ölförderung (§ 746.5 EAR) und für Luxusgüter (§ 746.10 EAR). Das US-Verbot für Luxusgüter ist insofern weiter, weil es nicht nur Lieferungen nach Russland/Belarus betrifft, sondern es gilt auch weltweit für Lieferungen an russische Oligarchen (und „bösartige Akteure“), also auch bei Lieferungen innerhalb eines Landes („in-country transfer“). Für den Bereich der Energie haben die USA umfassende Restriktionen erlassen, u.a. ein Verbot des Importes von Öl, LNG (Liquified Natural Gas), Kohle, Kohleprodukten, ein Verbot neuer Investitionen im russischen Energiesektor, SDN-Listungen von Nord Stream 2 etc.

Prüfung 3 – Risiko Krim/Donezk: Spezifische Beschränkungen sind nach EU-Recht zu beachten, falls die Güter in die besetzten Ukraine-Regionen Krim (VO 692/2014) oder Donezk/Luhansk (VO 2022/263) gelangen könnten: Dann gilt ein Export- und Verkaufsverbot für Güter nach Anhang II (Güter für Verkehr, Telekommunikation, Energie, Öl- und Gasexploration/-förderung), ein EU-Einfuhrverbot sowie bestimmte Verwendungs- und Dienstleistungsverbote und sehr umfassende Investitionsverbote. Im US-Recht sind die Regelungen etwas strikter: Es gelten Genehmigungspflichten für jeden Export in diese Regionen bzw. Transfer durch diese Regionen (§ 746.6 EAR) mit nur sehr wenigen Ausnahmen.

Prüfung 4 – sensitive Verwendungen: Nach EU-Recht sind sensitive Verwendungen (vor allem: Catch-all, Militär, Öl) zu prüfen: Eine Genehmigung wird verboten bei potenziell militärischer Verwendung/bei potenziell militärischem Nutzer, wenn eine Nutzung für Ölexplorationen feststeht oder wenn Anhaltspunkte für die Verwendung im Kontext mit ABC-Waffen/-Trägern oder mit Nuklearanlagen bestehen. Die Prüfung nach US-Exportrecht ist hier weitgehend gleich.

Prüfung 5 – Personenprüfung: Nach EU-Recht besteht ein Verkaufs- und Lieferverbot, wenn eine der in der Lieferkette involvierten Personen/Firmen oder Banken – unmittelbar oder mittelbar – auf EU-Sanktionslisten gelistet ist (vgl. v.a. VO 269/2014; vgl. auch die spezifischen Personenanhänge der Russland-VO 833/2014, u.a. den neuen Anhang XIX). Nach US-Recht ist die Prüfung weitgehend gleich (vgl. SDN-Listungen, E.O. 13662 und die Ukraine-Related Sanctions Regulations des OFAC).

Prüfung 6 – Finanzierungsprüfung: Im EU-Recht bestehen bei Krediten von mindestens 30/90 Tagen Laufzeit und bei vielen Geldmarktinstrumenten Verbote, v.a. wenn sie von bestimmten Firmen oder Banken kommen; es gibt auch zahlreiche Investitionsverbote. Nach US-Recht ist die Prüfung weitgehend gleich (vgl. u.a. Directives 1–3 der SSI-Liste, die Directives unter E.O. 14024).

Lösung Ausgangsfall 1

Die Anlage von D ist nicht als Dual-Use-Gut gelistet. Es wird weiter davon ausgegangen, dass die Anlage auch nicht von einem der Russland-Anhänge (vor allem nicht von Anhang VII) gelistet ist. Wenn allerdings auch Bestandteile der Anlage anhand von Anhang VII zu prüfen wären, hätte D ein Lieferverbot, weil Mikroprozessoren mit einer Taktfrequenz größer als 25 MHz in Anhang VII gelistet sind. Es geht um ein Lieferverbot nach Art. 2a. Es ist verwirrend, dass sich anfangs Satz 3 der Präambel zu Anhang VII allein zu Art. 2b äußerte, obwohl Anhang VII ein Anhang für Art. 2a und 2b ist. Daher gab es zunächst die Auffassung, dass vorsichtshalber auch alle Bestandteile der Anlage nach Anhang VII geprüft werden müssen. Demnach wäre D hier von der Altvertragsregelung abhängig gewesen, sodass er vor dem 1. Mai 2022 eine BAFA-Genehmigung hätte beantragen müssen. Inzwischen liegt eine Berichtigung durch den Gesetzgeber vor, sodass dies nicht mehr geprüft werden muss.

Abwandlung zu Ausgangsfall 1: Ist der russische Kunde jedoch die Firma Rosneft, ist es nach Art. 5 aa verboten, unmittelbar oder mittelbar Geschäfte zu tätigen. Denn Rosneft gehört zu den in Anhang XIX gelisteten Firmen. D ist jetzt abhängig von der Altvertragsregelung: Es muss um einen Vertrag gehen, der vor dem 16. März 2022 geschlossen wurde, und die Lieferverpflichtung muss „bis zum 15. Mai 2022 erfüllt“ sein. Falls der Zoll hierfür auf einer BAFA-Genehmigung besteht, stellt sich die Frage, ob es ausreicht, dass diese vor dem 15. Mai 2022 (oder einem früheren Datum) beim BAFA beantragt wurde. Voraussichtlich wird sich das BAFA auf diese Auslegung nicht einlassen.

Lösung Ausgangsfall 2

Nach Art. 2 Abs. 1 VO 269/2014 werden sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Eigentum oder Besitz der in Anhang I Gelisteten sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, eingefroren. Stahl ist eine wirtschaftliche Ressource. Nach den FAQ der Bundesbank kann dieses Verfügungsverbot auch zu Beschlagnahmen führen; für die Umsetzung ist aber nicht – wie es dort heißt – das BAFA zuständig, sondern hierfür sind (nach BAFA-Informationen) die Polizeibehörden der Bundesländer zuständig. Da der Oligarch O seit dem 28. Februar 2022 gelistet ist und über 50% der Anteile am Unternehmen F hält, wird F behandelt wie der gelistete Oligarch O, sodass auch ein Verfügungsverbot für F gilt. Demnach hätten die französischen Behörden den Stahl beschlagnahmen dürfen, wenn nicht das Eigentum am Stahl vorher auf den Käufer D übergegangen wäre. Sollte D noch nicht bezahlt haben, ist er im Zweifel noch nicht Eigentümer. D müsste mit den französischen Behörden verhandeln, ob sie bereit sind, die Altvertragsregelung der VO 269/2014 entsprechend anzuwenden, weil D den Stahl gekauft hat, zwei Monate bevor O gelistet wurde.

Resümee

Das Russland-Geschäft macht ständige Überprüfung notwendig. Täglich können sich die Russland-Sanktionen verschärfen, sodass der Russland-Export, der gestern noch zulässig gewesen war, morgen schon verboten ist. Dies ist bedauerlich, aber – angesichts des russischen Kriegs – unvermeidlich. Beratungen durch Exportanwälte sind notwendig und unvermeidbar. Dass es bisher keine konsolidierten Fassungen der vielen Änderungen der Russland-VO erhältlich ist, erhöht weiter den Umsetzungsaufwand für die Exportfirmen und den Beratungsbedarf. Auch für die Genehmigungsbehörden ist die Situation nicht ganz einfach, weil noch Abstimmungen für Auslegungen fehlen, sodass auch das geplante neue BAFA-Merkblatt zum Russland-Embargo noch etwas Zeit brauchen wird (eine BAFA-Matrix zu den bestehenden Russland-Sanktionen findet sich HIER, Stand: 21. März 2022).

Es bleibt zu hoffen, dass Zollämter nicht darauf beharren werden, dass sämtliche Russland-Exporte nur mit BAFA-Genehmigung stattfinden dürfen – selbst dann, wenn keine Exportrisiken bestehen; denn dies führt zu einer unnötigen Überlastung des BAFA. Exporteuren sollte klar sein, dass wirklich sensitive Russland-Exporte – v.a. solche, bei denen es um Güter nach Anhang VII (Güter für die militärische und technologische Stärkung Russlands) oder Kunden nach Anhang XIX (vom russischen Staat kontrollierte Unternehmen) geht – bald beendet werden müssen. Wegen der Altvertragsregelungen müssen diese Russland-Geschäfte spätestens zum 1. Mai (BAFA-Antrag) bzw. zum 16. Mai 2022 (hier ohne BAFA-Antrag) beendet werden. Gut wäre, wenn der deutsche Staat die Aufgabe der Beschlagnahme von Oligarchen-Eigentum ernst nehmen würde: Denn was nutzt das Einfrieren von Oligarchen-Eigentum, wenn dem keine Beschlagnahme folgt? Und warum nimmt bisher von den EU-Mitgliedstaaten praktisch allein Deutschland diese Aufgabe nicht wahr?

Wegen aktueller Hinweise zum Russland-Embargo vgl. HIER und zum EU-Exportrecht vgl. HIER

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