Nach dem Krisenjahr 2020 stehen Polen, die Tschechische Republik und die Slowakische Republik vor einer kräftigen Zunahme der Industrieproduktion. In anderen Branchen verzögert sich der Aufschwung.                                                                                                                                                                                              

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Die Tschechische Republik gehört zu den osteuropäischen Staaten, in denen das BIP am deutlichsten gesunken ist. 2020 lag das reale BIP 5,6% unter Vorjahr, während die Slowakische Republik einen Rückgang von 5,2% und Polen lediglich 2,7% weniger Wirtschaftsleistung zu verzeichnen hatten. Diese Länder sind eng mit der Wirtschaft Deutschlands verknüpft. Ein bedeutender Teil ihrer Exporte stammt aus der Automobil- und Zulieferindustrie sowie aus der Fertigung elektrischer und mechanischer Maschinen.

Vier Gründe für den Aufschwung

Trotz der unverändert gravierenden Auswirkungen von Covid-19 dürften die europäische Produktion und Nachfrage im Laufe des Jahres 2021 zulegen. Diese Prognose beruht auf mehreren Faktoren: Erstens hat der extreme Rückgang im Jahr 2020 zu einer derart schwachen Ausgangslage geführt, dass das Folgejahr nur besser werden kann.

Zweitens dürften Fortschritte im europäischen Impfprogramm im Laufe von 2021 zu einer Immunisierung großer Teile der Bevölkerung führen, was eine Rückkehr zur alten Normalität ermöglicht. Dies sollte einen Anstieg des Privatkonsums von einem sehr niedrigen Ausgangsniveau erlauben, und einige Haushalte und Unternehmen werden dank der gesunkenen Unsicherheit in der Lage sein, die während der Pandemie gesparten Barmittel auszugeben. Konsumausgaben – in Verbindung mit staatlichen Hilfsmaßnahmen – dürften die Erholung der europäischen Wirtschaft vorantreiben.

Drittens ist es der Wirtschaft gelungen, sich bestmöglich an den Verlust persönlicher Kontakte und zwischenmenschlicher Interaktion anzupassen. Viertens dürfte die von verschiedenen Staaten und der Europäischen Kommission für 2021 angekündigte finanzpolitische Unterstützung (insbesondere das Aufbaupaket „Next Generation EU“ und das von der Regierung Biden angekündigte umfangreiche Konjunkturpaket) eine Belebung der Investitionen und der Verbrauchernachfrage bewirken.

Doch wenngleich die Wirtschaftstätigkeit gegenüber dem Vorjahr steigt, bedeutet das noch keine Rückkehr zum Niveau von 2019. In Europa dürfte es noch bis 2022 dauern, bis die Wirtschaftsaktivität das Vorkrisenniveau erreicht hat, wobei mit großen Unterschieden zwischen den einzelnen Staaten zu rechnen ist. Darüber hinaus ist der Ausblick angesichts der ungewissen Entwicklung der Covid-19-Pandemie weiterhin mit großer Unsicherheit verbunden.

Branchen unterschiedlich betroffen

Die Auswirkungen der Krise auf die Sektoren in Tschechien, Polen, der Slowakei und Deutschland spiegeln sowohl deren Unterschiede als auch deren Ähnlichkeiten wider. Besonders hart traf die Krise die Automobilbranche, auch wenn es zwischen den einzelnen Ländern beträchtliche Unterschiede gibt. In Deutschland schrumpfte die Automobilfertigung 2020 um 27% gegenüber Vorjahr, in Polen um 26%. Relativ gesehen erscheint der Rückgang in Tschechien und der Slowakei weniger drastisch (jeweils –13% und –10%). In absoluten Zahlen ist die Abnahme in Deutschland stärker, da dort nahezu zwölfmal so viel produziert wird wie in Polen. Vom Volumen her war der Produktionsrückgang in Deutschland größer als die Gesamtproduktion des Jahres 2020 in den drei übrigen Ländern.

Nach Angaben des Europäischen Automobilherstellerverbands ACEA blieb der Durchschnittsumsatz im Jahr 2020 in Deutschland und Tschechien 19% hinter dem Wert von 2019 zurück (der wiederum schlechter war als im Jahr 2018). In der Slowakei liegt dieses Minus bei 25%, in Polen bei 23%. Dies verdeutlicht einerseits den Produktionsstillstand, andererseits aber auch das Einbrechen der Nachfrage aufgrund des ausgesprochen strengen Lockdowns und der Unsicherheit rund um die Entwicklung der Pandemie.

Es liegt auf der Hand, dass auch der Tourismus von den Lockdown-Maßnahmen stark gebeutelt wird. Laut Angaben von Fitch Solutions gingen internationale Touristenankünfte in Deutschland um 69%, in Tschechien um 64% sowie in Polen und der Slowakei jeweils um 50% zurück. Diese Abnahme des internationalen Tourismus ist in erster Linie durch Grenzschließungen und Einkommenseinbußen zu erklären. Die Auswirkungen auf die Einnahmen der in der Branche tätigen Unternehmen sind erheblich. Die Folgen auf makroökonomischem Niveau blieben allerdings begrenzt, da die Branche nur einen geringen Anteil an der Gesamtwirtschaft ausmacht: 2,8% des BIP in Tschechien, 2,6% in der Slowakei und 1,2% in Polen (OECD-Angaben für 2018, 2017 und 2015).

Ein weiterer stark angeschlagener Bereich ist der Transport- und Logistiksektor, wobei das Luftfahrtsegment in Deutschland mit einem Rückgang des realen Umsatzes um 45% im Jahr 2020 besonders schwer getroffen wurde. Auch die Schifffahrt, die bei der Warenbeförderung aus dem Ruhrgebiet eine wichtige Rolle spielt, musste 2020 in Deutschland einen Rückgang von etwa 17% hinnehmen. In den drei anderen Ländern waren die Auswirkungen auf diese beiden Segmente weniger stark ausgeprägt.

Dahingegen war der Landverkehr (Straßen- und Schienenverkehr) mit einem Rückgang des realen Umsatzes zwischen 6 und 10% in allen vier Ländern in gleichem Maße beeinträchtigt. Allerdings ist hinsichtlich der beförderten Produkte ein Unterschied festzustellen; so blieb der Handel mit Pharma- und IT-Produkten im vergangenen Jahr auf einem stabilen Niveau. Von den positiven Auswirkungen, die der zunehmende Onlinehandel ermöglicht hätte, scheint der Sektor nicht profitiert zu haben, da dies bei den meisten Unternehmen Veränderungen in der Flotte bzw. im Fuhrpark erfordert hätte.

Abschließend sei noch die Pharmabranche erwähnt, die in den vier betrachteten Ländern die stärksten Ergebnisse erzielt hat. So hat die Inlandsproduktion in allen vier Ländern zugenommen, wie es in Zeiten einer globalen Gesundheitskrise zu erwarten ist.

Wie geht es 2021 weiter?

Angesichts des niedrigen Niveaus im Vorjahr ist 2021 in allen Sektoren mit einem Wachstum zu rechnen. Aufgrund der ausgesprochen niedrigen Ausgangswerte überrascht es nicht, dass die Automobilbranche in Deutschland, Tschechien, Polen und der Slowakei 2021 am stärksten zulegen dürfte. Allerdings dürfte es mehrere Jahre dauern (in Deutschland möglicherweise weniger), bis das Produktionsvolumen sein Vorkrisenniveau erreicht hat. Aktuell bilden Lieferengpässe bei Halbleitern das größte Risiko für die Erholung der Automobilbranche – eine globale Herausforderung, die zu Produktionsverzögerungen, in manchen Ländern sogar zu vorübergehenden Stillständen führt. In Anbetracht der Bedeutung der Autoindustrie für die tschechische, polnische und slowakische Volkswirtschaft ist dies eine besorgniserregende Entwicklung.

In den Bereichen Tourismus, Transport sowie Maschinen -und Anlagenbau dürfte sich die Lage in diesen Ländern deutlich erholen. Allerdings sind die Aussichten der Tourismusbranche in hohem Maße von der Entwicklung des Impfprogramms und der Covid-19-Pandemie abhängig. Allzu große Verzögerungen beim EU-Impfprogramm werden unweigerlich zu einer späteren Wiedereröffnung der Wirtschaft führen und damit die Tourismusbranche beeinträchtigen. Angesichts des relativen Erfolgs der Pharmabranche im Jahr 2020 dürfte das Jahreswachstum 2021 niedrig bleiben, unter Umständen sogar negativ ausfallen.

Ein weiteres zentrales Element zum Verständnis der Leistung der Sektoren in diesen Volkswirtschaften ist das Zusammenspiel zwischen den unterschiedlichen Ländern (und Sektoren) und insbesondere ihre Abhängigkeit von Deutschland. Die polnischen, tschechischen und slowakischen Warenexporte (jeweils 28%, 33% und 22% des Gesamtexports) hängen in hohem Maße von Deutschland ab. Dies gilt besonders für die Slowakei und Tschechien, deren Wirtschaftswachstum eng mit dem Export verknüpft ist (ähnlich wie in anderen Ländern der Region wie z.B. Ungarn). Polnische Exporte sind hiervon ein Stück weit ausgenommen, auch wenn Deutschland ein bedeutender Handelspartner bleibt.

Folglich wird die Inlandsproduktion dieser drei Länder ganz erheblich von der Nachfrage aus Deutschland beeinflusst (z.B. bei der Automobilfertigung), während sie von der Nachfrage nach deutschen Waren aus dem nichteuropäischen Ausland indirekt profitiert.

Darüber hinaus ist die Europäische Union (einschließlich Deutschland) der vorrangige Wirtschaftspartner dieser drei Länder, da etwa 75–80% ihrer Exporte in die EU gehen. Die erwartete Erholung des realen BIP in Deutschland (2021: 3,5%, 2022: 3,1%) und in der Euro-Zone (4,2% und 3,6%) ist ein positives Signal für die Wirtschaftstätigkeit in Tschechien, Polen und der Slowakei, obgleich die Ungewissheit unverändert groß ist. In einer Hochkonjunktur ist diese Abhängigkeit von der EU für die kleinen, offenen Volkswirtschaften eine Stärke; in Zeiten einer (globalen) Rezession allerdings eine Schwäche, wie das Jahr 2020 gezeigt hat.

Welche Hauptrisiken dämpfen die Aussichten?

Wie bereits dargestellt, gehen die beiden Hauptrisiken der besprochenen Länder auf die Konzentration ihrer Exportmärkte (Europa, Deutschland) sowie die Konzentration ihres Exportsektors (Automobil, elektrische und mechanische Maschinen usw.) zurück. Die Abhängigkeit von der Automobilbranche könnte kurz-, mittel- und auch langfristig ein Risiko bilden, da der Bereich vor großen Herausforderungen steht (Brexit, CO2-Emissionsziele, Ende des Verbrennungsmotors, steigender Absatz von E-Fahrzeugen, hoher Investitionsbedarf, Lieferengpässe bei Halbleitern).

Ein weiterer Faktor, der die kurzfristigen Aussichten trüben kann, ist die Entwicklung der Impfkampagnen in Europa. Während das Impftempo stagniert und die Rückkehr zur Normalität hinausgezögert wird, könnte das Aufkommen bestimmter Virusvarianten die Dauer der Pandemie verlängern, die Wirksamkeit der Impfstoffe reduzieren und damit die Auswirkungen auf die Wirtschaftstätigkeit verschärfen. Demzufolge könnte die wirtschaftliche Erholung schwächer ausfallen als derzeit prognostiziert, es könnten mehr Arbeitsplätze verloren gehen und mehr Unternehmen insolvent werden. Bisher ist eine große Insolvenzwelle ausgeblieben, da die Staaten umfangreiche Hilfspakete verabschiedet haben (im Umfang von 30,8% des BIP in Deutschland, 5% in Polen, 4,5% in der Slowakei und 15,5% in Tschechien laut IWF-Schätzungen von Oktober 2020).

Um die Risiken, die diese Länder bedrohen, vollumfänglich zu verstehen, müssen allerdings noch weitere Faktoren betrachtet werden. So ist als Erstes der Brexit zu nennen, der zwar bereits vollzogen ist, dessen Auswirkungen aber immer noch nicht voll zum Tragen kommen. Auch Spannungen zwischen den USA und der EU sowie in geringerem Maße zwischen den USA und China sind ein potenzielles Risiko für künftige Entwicklungen. Hinzu kommt, dass Unternehmen, die weniger kreditwürdig sind, durch die hohen Rohstoffpreise und die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen sowie durch die sukzessive Rücknahme staatlicher Hilfen in Schwierigkeiten geraten könnten, da höhere Rohstoffpreise einen potenziellen Anstieg ihrer Betriebskosten bedeuten.

Restriktivere Finanzierungsbedingungen würden nicht nur die Finanzierungskosten erhöhen, sondern gleichzeitig den Zugang zu Krediten erschweren, die durch die Corona-Krise schwer getroffene Unternehmen oftmals dringend benötigen. KMU sind für restriktivere Finanzierungsbedingungen besonders anfällig, da sie einerseits eine hohe Abhängigkeit vom Bankensektor, andererseits überwiegend geringe Eigenkapitalpolster, niedrige Liquiditätspuffer sowie eine nicht diversifizierte Ertragsstruktur aufweisen. Eine voreilige Rücknahme staatlicher Unterstützungen könnte schließlich nicht nur zu einer deutlichen Verschärfung der Finanzierungsbedingungen führen, sondern auch die beginnende konjunkturelle Erholung gefährden.

Ein letztes, wenn auch längerfristiges Risiko besteht darin, dass die Arbeitskosten in Tschechien, der Slowakei sowie (in geringerem Maße) in Polen im Vergleich zu den übrigen Ländern der Region steigen. Dies würde dem Binnenkonsum zugutekommen, jedoch die Wettbewerbsfähigkeit schwächen.

Ausführliche Länderberichte finden Sie auf der Seite www.credendo.com.

k.koch@credendo.com

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