Das Konjunkturjahr 2023 steht in vielen Ländern im Zeichen der Wachstumsabkühlung oder gar Stagnation. Dies gilt nicht für Japan – ein Land, das aufgrund seiner extremen Überalterung und restriktiven Arbeits- und Einwanderungspolitik üblicherweise von schwachen Wachstumsraten geprägt ist.
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Konjunkturell lief es in Japan in den vergangenen Jahren so wie in den meisten entwickelten Ländern: Nach dem pandemiebedingten Konjunktureinbruch 2020 (–4,3% zum Vorjahr) kam durch die Aufhebung einiger Covid-19-Maßnahmen der Aufschwung im Jahr 2021 (2,1%), der in Japan allerdings verhältnismäßig gering ausfiel. 2022 stand dann nur noch ein Wachstumsplus von 1,1% zu Buche. Die Gründe dafür sind bekannt: hohe Rohstoffpreise, Lieferkettenprobleme durch Chinas Lockdowns und weiterhin Covid-19. Der private Konsum, der 55% des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, sowie die Bruttoinvestitionen (25%) konnten sich in der zweiten Jahreshälfte 2022 zwar stärker erholen.
Größtes Handelsdefizit seit 1979
Der Außenhandel entwickelte sich aber zunehmend zu einer Wachstumsbremse – aufgrund hoher Importpreise, einer Verlangsamung des globalen Handels und fehlender Tourismuseinnahmen, denn Japan wurde erst im Oktober 2022 wieder für den internationalen Tourismus geöffnet. Die Folge: Im Jahr 2022 verzeichnete Japan mit 19,97 Bio Yen (ca. 140 Mrd EUR) das größte Handelsdefizit seit 1979.
Eine Besonderheit Japans gegenüber anderen entwickelten Ländern ist, dass die Covid-19-Maßnahmen noch relativ lange in Kraft waren und jetzt das erste Jahr ist, in dem die meisten Maßnahmen, bspw. im Tourismus, abgeschafft sind. Japan holt also einen Teil der Konjunkturerholung aus 2021 erst in diesem Jahr nach. Die Öffnungsdynamik sollte daher den Konsum der privaten Haushalte weiter ankurbeln und die freiwillige Zurückhaltung der Konsumenten gerade im Dienstleistungsbereich abschwächen. Hinzu kommt wohl eine positive Entwicklung der Kaufkraft aufgrund der erwarteten starken Lohnanstiege im Anschluss an die sog. Shuntō-Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und führenden japanischen Unternehmen, die traditionell im Februar begannen.
Inflation hält sich im internationalen Vergleich in Grenzen
Hierbei ist zu beachten, dass Japan, das sonst unter chronischer Niedriginflation leidet, zwar ebenfalls ein Rekordhoch in puncto Inflation zu verzeichnen hat, die einen Teil der nominalen Lohnanstiege aufzehrt. Jedoch hält sich der Preisanstieg (jeweils gegenüber dem Vorjahr) mit 2,5% im Jahr 2022 und 2,3% in diesem Jahr (Coface-Prognose) im internationalen Vergleich sehr in Grenzen. Steigende Löhne gepaart mit einem Rückgang der überschüssigen Ersparnisse der privaten Haushalte, die auf 10% des BIP geschätzt werden, werden den Konsumausgaben zusätzlichen Rückenwind verleihen.
Eine starke Dynamik bei den Investitionsausgaben wird die japanische Wirtschaft ebenfalls unterstützen. Seit Mitte 2022 haben die Unternehmen begonnen, ihre Investitionen deutlich zu erhöhen, wobei im September 2022 ein enormer Anstieg von 9,8% im Jahresvergleich zu verzeichnen war. Die Investitionen beschränken sich nicht nur auf das verarbeitende Gewerbe, wie z.B. Produktionsmaschinen und Informations- und Kommunikationselektronik, sondern wurden auch im Bauwesen, im Groß- und Einzelhandel sowie im Dienstleistungsbereich getätigt.
1,5%-Wachstumsprognose für 2023
Neue Nachhaltigkeitsprojekte im Bereich der Produktion und digitalen Transformation sowie Investitionen in Arbeitsmarktmaßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels werden die Investi-
tionstätigkeit der Unternehmen 2023 stützen. Zudem werden nachlassende Versorgungsengpässe zur Erholung der Industrieproduktion beitragen, auch wenn der für Japan wichtige Automobilsektor weiterhin mit einigen Engpässen bei Komponenten konfrontiert sein könnte. 2022 hat die allmähliche Normalisierung der Lieferketten dazu beigetragen, dass Japans Exporte um 18% gegenüber dem Vorjahr steigen konnten. In diesem Jahr dürfte weniger die Angebotsseite, dafür aber die rückläufige ausländische Nachfrage nach japanischen Produkten das Wirtschaftswachstum beeinflussen. Alle Faktoren zusammengenommen, sollte die japanische Wirtschaft in diesem Jahr dennoch um robuste 1,5% zum Vorjahr zulegen.
Eine schwächere Entwicklung der Warenausfuhr in Kombination mit einer robusten Inlandsnachfrage, die ein starkes Importwachstum aufrechterhalten dürfte, sollten zu einem höheren Handelsbilanzdefizit führen. Die Leistungsbilanz dürfte allerdings weiterhin einen Überschuss von 2% des BIP (nach 1,4% 2022) aufweisen, da das Handelsbilanzdefizit durch einen Überschuss bei den Investitionseinkommen mehr als ausgeglichen wird. Dieser Überschuss spiegelt die hohen Einnahmen aus Japans Portfolioinvestitionen in Übersee wider.
Haushaltsdefizit im laufenden Fiskaljahr mit 5,0% des BIP prognostiziert
Die Ausgaben im Plan für den öffentlichen Haushalt für das Fiskaljahr 2023 belaufen sich auf 20% des BIP und sind insgesamt um 6% höher als im Vorjahr. Ein Fünftel des Gesamtbetrages geht auf den Schuldendienst zurück und ein Drittel auf den Anstieg der Verteidigungsausgaben, die angesichts der zunehmenden Sicherheitsbedrohungen durch Nordkorea und China bis 2027 auf 2% des BIP verdoppelt werden sollen. Die endgültigen öffentlichen Ausgaben werden wahrscheinlich noch höher ausfallen, da die Regierung seit 2009 im dritten oder vierten Quartal routinemäßig jedes Jahr einen Extrahaushalt aufstellt, was die Bemühungen um eine Haushaltskonsolidierung untergräbt. Insgesamt sollte das staatliche Haushaltsdefizit bei 5,0% des BIP liegen.
Durch die fortgesetzte Kreditaufnahme der Regierung wird die ausstehende langfristige Verschuldung voraussichtlich auf 1.279 Bio JPY (ca. 9 Bio EUR) oder rund 224% des japanischen BIP ansteigen. Dies ist im internationalen Vergleich ein extrem hoher Wert und würde normalerweise für ein erhebliches Ausfallrisiko japanischer Staatsanleihen sprechen. Allerdings werden über 90% der langfristigen Staatsschulden von Japanern selbst gehalten, wobei die Bank of Japan (BoJ) nach Jahren massiver Anleihekäufe etwas mehr als die Hälfte der ausstehenden Schulden hält. Daher ist das Risiko einer Schuldenkrise gering.
Weiterhin lockere BoJ-Geldpolitik
Die BoJ ist seit 2022 mit einer 180-Grad-Wende ihres Umfelds konfrontiert. Seit der japanischen Wirtschaftskrise in den 80er Jahren hat die BoJ ihre expansiven geldpolitischen Maßnahmen bis zum Äußersten ausgereizt, um Inflationserwartungen zu wecken. Doch 2022 wurde sie zum ersten Mal seit Jahren tatsächlich mit Inflation konfrontiert. Der wichtigste Inflationsindikator der BoJ, der Kerninflationsindex (ohne frische Lebensmittel), blieb seit April 2022 über 2% und erreichte im Dezember mit 4,1% den höchsten Wert seit über 41 Jahren.
Dies deutet darauf hin, dass der Preisdruck bei einer größeren Bandbreite von Waren und Dienstleistungen zunimmt. Nachdem die BoJ im Dezember überraschend eine leichte Ausweitung des Zinsbandes zur Steuerung der Renditekurve (Yield Curve Control, kurz YCC) von +/–25 Basispunkten auf +/–50 Basispunkte vorgenommen hat, wird die Zentralbank wahrscheinlich bei kleinen geldpolitischen Anpassungen in Richtung Normalisierung bleiben und die Negativzinspolitik fortsetzen. Mit Kazuo Ueda wird es ab April einen neuen Zentralbankchef geben, der die neue Geldpolitik bestimmen dürfte.
Die aktuelle Regierungskoalition, bestehend aus der Dauerregierungspartei LDP (wirtschaftlich liberal, ansonsten national-konservativ) und der Kōmeitō (pazifistische und etwas sozialere Variante der LDP), hält 63% der Sitze im Repräsentantenhaus und 58% der Sitze im Oberhaus, nachdem sie die Oberhauswahlen kurz nach der Ermordung des ehemaligen Regierungschefs Shinzo Abe (LDP) gewonnen hatte. Die Unterstützung für die Regierung von Ministerpräsident Fumio Kishida ist jedoch angesichts der Enthüllungen über die langjährigen Beziehungen zwischen der LDP und der umstrittenen, auch als Moon-Sekte bekannten Vereinigungskirche sowie einer Reihe von skandalbedingten Rücktritten von Ministern auf unter 30% gefallen. Die sinkende öffentliche Unterstützung dürfte es Kishida erschweren, die zerstrittene LDP auf Kurs zu halten und wirtschaftliche Herausforderungen, Inflation und geopolitische Spannungen zu bewältigen.
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christiane.von-berg@coface.com