Das südkaukasische Land hat sich im vergangenen Jahr dank russischer Geldzuflüsse und des Transithandels sehr erfreulich entwickelt. So gibt es auch eine positive Prognose für das Geschäftsumfeldrisiko. Doch der Ukraine-Krieg und Spannungen mit dem benachbarten Aserbaidschan sorgen für Unsicherheit.

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Nach dem Einmarsch in die Ukraine und den schwerwiegenden Sanktionen gegen Russland hatte Credendo das Geschäftsumfeld für Armenien auf die Kategorie F/G herabgestuft. Das Schrumpfen der russischen Wirtschaft, so die Überlegung, beeinflusst das Geschäftsumfeld in der kleinen ehemaligen Sowjetrepublik überaus negativ, da Armenien auf Handel mit Russland sowie auf Energieimporte, Investitionen und Rücküberweisungen von dort angewiesen ist. Diese Prognose sollte sich jedoch nicht bewahrheiten. Ganz im Gegenteil, der Dram (AMD) gewann gegenüber dem US-Dollar an Wert. Im vergangenen Jahr entwickelte sich das reale Bruttoinlandsprodukt äußerst stark und erreichte nach Schätzungen eine Wachstumsrate von nahezu 11%.

Ausgeprägte Widerstandskraft der Wirtschaft

Die ausgeprägte Widerstandskraft der Wirtschaft hat unterschiedliche Gründe; der wichtigste ist der große Zustrom von Russen nach Armenien und damit verbundene umfangreiche Geldzuflüsse. Sie trieben den Binnenkonsum in die Höhe. Bei Armeniens Leistungsbilanzeinnahmen kam es im zweiten und dritten Quartal 2022 außerdem zu einem deutlichen Anstieg von Warenexporten, Dienstleistungen und privaten Überweisungen. Der Zuwachs an Dienstleistungen ist auf Tourismuseinnahmen zurückzuführen, private Überweisungen sind wahrscheinlich durch Geldzuflüsse aus Russland zu erklären. Das Plus an Warenexporten könnte aufgrund des Transithandels nach Russland entstanden sein, auch wenn der Reexport offiziellen Statistiken zufolge begrenzt ist.

Die Prognose für das Geschäftsumfeldrisiko bleibt positiv. Das Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts wird zwar im Vergleich zu 2022 heuer geringer ausfallen, könnte sich jedoch immer noch im Bereich von 4% bewegen. Gleichzeitig bleibt das Geschäftsumfeld aufgrund der relativ hohen Kreditzinsen, des beschränkten Zugangs zu Krediten und des risikobehafteten institutionellen Rahmens gehemmt, obgleich sich die von der Weltbank veröffentlichten „Worldwide Governance Indicators“ für Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung verbessert haben.

Leistungsbilanz mit Überschuss

Trotz eines deutlichen Anstiegs der Energiekosten wies Armeniens Leistungsbilanz im ersten und zweiten Quartal 2022 einen Überschuss auf; die Bruttowährungsreserven schossen in die Höhe, jüngst sind sie jedoch wieder zurückgegangen. Obgleich sich die Liquidität und das vorsorgliche Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds (IWF) positiv entwickelt haben, bleibt die Prognose für das kurzfristige politische Risiko stabil. Dies liegt v.a. an den anhaltend hohen Spannungen mit Aserbaidschan in der Region Bergkarabach. Im Dezember errichtete Aserbaidschan eine Blockade auf der einzigen Straße, die Armenien mit seiner Enklave verbindet. Seitdem kommt es in Bergkarabach zu Versorgungsengpässen bei Waren und Medikamenten. Die Lage spitzt sich aus zahlreichen Gründen zu, insb. weil Russland Armenien kaum unterstützt und sich Aserbaidschan zu einem immer wichtigeren Gaslieferanten für die Europäische Union entwickelt.

Die Spannungen zwischen beiden Nachbarstaaten in dem umkämpften Gebiet reichen bis 1991 zurück, als die vorwiegend von christlichen Armeniern geprägte Region ihre Unabhängigkeit vom (eher muslimischen) Aserbaidschan erklärte. Es folgte ein bewaffneter Konflikt zwischen den Staaten, der erst 1994 mit einem UN-Waffenstillstandsabkommen ein Ende fand. Obwohl Russland und westliche Mächte vermittelten, sind die Verhandlungen über den Status der von Armenien unterstützten abtrünnigen Region Bergkarabach weiterhin festgefahren.

Wie nachhaltig ist der Aufschwung?

2020 flammte der Konflikt erneut auf. Es folgte ein kurzer Krieg, der mit einem fragilen, von Russland verhandelten Waffenstillstand endete. Aufgrund der komplexen Situation werden die Spannungen in den nächsten Jahren vermutlich anhalten. Jegliche Zugeständnisse an Aserbaidschan wären in Armenien hochgradig unbeliebt und könnten zu Protesten führen, bei denen dann wohl der Rücktritt des Premierministers Nikol Pashinyan gefordert würde. Die kürzlich angekündigte zivile EU-Beobachtermission dürfte jedoch verhindern, dass die Spannungen in einen neuen Konflikt ausarten.

Die Probleme mit Aserbaidschan und das – trotz jüngster erfolgreicher Annäherungsversuche – angespannte Verhältnis zur Türkei beeinflussen das mittel- bis langfristige politische Risiko deutlich. Hinzu kommen die hohe Auslandsverschuldung und die damit verbundenen Schuldendienste. Die bedachte Geld- und Steuerpolitik ist hingegen positiv hervorzuheben. Seit Januar 2021 hat die Zentralbank ihren Leitzins schrittweise angehoben, um den Inflationsdruck einzudämmen. Daher geht die Inflationsrate langsam wieder zurück. Gleichzeitig wird der steuerrechtliche Rahmen dem Staat dabei helfen, die öffentlichen Gelder unter Kontrolle zu halten.

Wie nachhaltig ist der Aufschwung?

Es ist unwahrscheinlich, dass sich der wirtschaftliche Boom aus dem vergangenen Jahr 2023 wiederholt, da er teilweise auf den großen Zustrom russischer Bürger zurückzuführen ist. Andere makroökonomische Indikatoren (z.B. Staatsverschuldung, Auslandsverschuldung, Leistungsbilanz und Inflation) dürften sich daher in diesem Jahr nicht weiter verbessern. Sollte sich der Aufwärtstrend jedoch nachhaltiger als momentan prognostiziert erweisen, wäre Credendo geneigt, das mittel- bis langfristige politische Risiko besser zu bewerten, um Armeniens erhöhter Bonität Rechnung zu tragen.

k.koch@credendo.com

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